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23382

BGH zu fahrlässiger Tötung einer Radfahrerin: Stra­f­aus­set­zung für Kölner Raser auf­ge­hoben

06.07.2017

Unfall mit Fahrrad (Symbol)

© Konstanze Gruber - stock.adobe.com

Nach dem Tod einer Fahrradfahrerin wurden zwei Kölner Raser wegen fahrlässiger Tötung verurteilt. Die Aussetzung zur Bewährung hat der BGH nun aufgehoben. Die Begründung für die Aussetzung zur Bewährung reichte dem BGH nicht aus.

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Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Entscheidung vom Donnerstag die Strafaussetzung zur Bewährung gegen zwei junge Männer aufgehoben (Urt. v. 06.07.2017, Az. 4 StR 415/16). Die beiden waren nach einem Autorennen, bei dem eine Fahrradfahrerin zu Tode gekommen war, wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden. Die Höhe der Freiheitsstrafe sei dagegen nicht zu beanstanden, fanden die Karlsruher Richter.

Nach den Erkenntnissen der Vorinstanz trug sich das Tatgeschehen folgendermaßen zu: Die beiden Angeklagten, zu dieser Zeit 21 und 22 Jahre alt, fuhren am 14. April 2015 gegen 18:45 Uhr mit zwei leistungsstarken Fahrzeugen (Motorleistungen 171 und 233 PS) in Richtung der Rheinterrassen in Köln-Deutz. Im Laufe der Fahrt entschlossen sich die jungen Männer spontan zu einem Wettrennen, um sich voreinander aufzuspielen.

Daher fuhren sie eng hintereinander mit stark überhöhter Geschwindigkeit durch das Kölner Stadtgebiet. In einer langgezogenen Linkskurve, die der vorausfahrende Angeklagte mit 95 km/h anstelle der zulässigen 50 km/h durchfuhr, verlor er, bedrängt vom Mitangeklagten, die Kontrolle über sein Fahrzeug. Der Wagen kam von der Fahrbahn ab und erfasste eine auf dem angrenzenden Radweg fahrende 19-jährige Studentin, die wenig später ihren schweren Verletzungen erlag. 

BGH: Verurteilte haben günstige Bewährungsprognose

Die beiden Angeklagten waren deshalb vom Landgericht (LG) Köln zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren bzw. einem Jahr und neun Monaten verurteilt worden. Daneben ordnete die Kammer für die Neuerteilung der den Angeklagten entzogenen Fahrerlaubnisse Sperrfristen von drei Jahren und sechs Monaten an. Die Freiheitsstrafen hatte das Gericht zur Bewährung ausgesetzt, womit die beiden Männer auf freiem Fuß bleiben würden, sollten sie nicht gegen ihre Auflagen verstoßen.

Die Aussetzung der Strafen zur Bewährung wollte die Staatsanwaltschaft nicht hinnehmen und wandte sich im Wege der Revision an den BGH. Der 4. Strafsenat in Karlsruhe folgte den Anklägern nun insoweit, als die Aussetzungsentscheidung nicht rechtsfehlerfrei zustande gekommen sei.

Das LG habe den Angeklagten zwar rechtsfehlerfrei eine günstige Legalprognose nach § 56 Strafgesetzbuch (StGB) bescheinigt. Danach setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß die bloße Verurteilung als Warnung ausreicht und der Verurteilte künftig nicht mehr straffällig wird. Dies gilt nach Abs. 1 allerdings grundsätzlich nur bei Freiheitsstrafen bis zu einem Jahr.

Liegt die Höhe aber über einem und noch unter zwei Jahren, so schreibt Abs. 2 vor, dass es für eine Aussetzung besonderer Umstände bedarf, die sich aus einer Gesamtwürdigung der Tat ergeben müssen. Eben dies sei nicht ausreichend geprüft worden, warf der BGH nun dem LG vor.

Eine womöglich wegweisende Entscheidung

2/2: Künftig wohl keine Bewährung mehr für tödliche Raserei

Die Angeklagten hätten zwar den Tod ihres Opfers fahrlässig herbeigeführt. Bei der Prüfung, ob besondere Umstände die Aussetzung der ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafen rechtfertigten, sei aber unberücksichtigt geblieben, dass bei dem Rennen gleich mehrere erhebliche Verkehrsordnungswidrigkeiten – u.a. den Verstoß gegen das in der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelte Rennverbot – vorsätzlich begangen worden waren. Das gelte auch in Hinblick auf das bewusste Herbeiführen der Gefahrenlage durch die aggressive Fahrweise. Dies habe als prägender Umstand der Tat nicht außer Acht bleiben dürfen.

Dr. Michael Kubiciel, Professor für Strafrecht an der Universität Augsburg, misst diesem Aspekt der Entscheidung eine sehr weitreichende Bedeutung zu, wie er im Gespräch mit LTO erklärte: "Wenn der BGH dieser Ansicht ist, dann bedeutet das, dass in künftigen Raserfällen, bei denen jemand zu Tode kommt, nicht mehr mit einer Bewährungsstrafe gerechnet werden kann". Schließlich sei es schlichtweg kaum denkbar, dass in einem solchen Fall nicht zuvor schwere Verkehrsverstöße begangen würden.

Im Übrigen merkte der Senat an, das LG habe eine Häufung von Verkehrsunfällen mit tödlichem Ausgang aufgrund überhöhter Geschwindigkeit in Köln und an anderen Orten festgestellt. Daher sei die Frage zu erörtern, wie sich eine Strafaussetzung zur Bewährung "auf das allgemeine Rechtsempfinden und das Vertrauen der Bevölkerung in die Unverbrüchlichkeit des Rechts auswirken würde". Dies gelte gerade unter dem Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung, die gemäß § 56 Abs. 3 StGB ebenfalls eine Rolle bei der Aussetzungsentscheidung spielt.

Strafhöhe rechtsfehlerfrei ermittelt

Diese Sichtweise kann Prof. Dr. Kubiciel nachvollziehen: "Wir haben es bei Raserfällen nicht mit normalen Verkehrsunfällen zu tun, sondern mit einer neuen Erscheinungsform schwerer Kriminalität. Die zahlreichen Fälle mit und ohne tödlichen Ausgang haben die Bevölkerung verunsichert und manches milde Urteil hat dieses Störgefühl eher bestärkt als beseitigt."

Neben der Strafaussetzung hatte die Staatsanwaltschaft mit ihrer Revision auch die Höhe der verhängten Strafen angegriffen. Hätten diese über zwei Jahren gelegen, so wäre eine Aussetzung zur Bewährung schon gar nicht mehr in Betracht gekommen.

Der BGH entschied nun, das LG habe die Strafhöhe rechtsfehlerfrei bestimmt. "Wenn die Vorinstanz alle wesentlichen Aspekte in ihre Würdigung mit einbezieht, ist der Beurteilungsspielraum für den Bundesgerichtshof sehr beschränkt" erklärte dazu BGH-Pressesprecherin Dietlind Weinland gegenüber LTO. Der Senat sei schließlich auf die Rechtsfehlerprüfung beschränkt. Bei fahrlässiger Tötung kann das Gericht nach § 222 StGB auf eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren erkennen.

Der Fall wurde nun wieder an das LG Köln zurückverwiesen. Das Gericht muss sich also erneut damit auseinandersetzen, ob nach der nun ergangenen Entscheidung noch eine Bewährungsstrafe für die beiden Angeklagten in Betracht kommen kann.

mam/LTO-Redaktion

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BGH zu fahrlässiger Tötung einer Radfahrerin: Strafaussetzung für Kölner Raser aufgehoben . In: Legal Tribune Online, 06.07.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23382/ (abgerufen am: 29.05.2023 )

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