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Ein Jahr nach der Lexfox-Entscheidung des BGH: Legal Tech am Schei­deweg?

Gastkommentar von Dr. Christoph A. Baus und Stefan Patzer und Dr. Christoph P. von Laufenberg

11.12.2020

Legal Tech (Symbolbild)

thodonal - stock.adobe.com

Trotz eines für sie positiven BGH-Urteils ist der von vielen erwartete Triumphzug der Legal Techs ausgeblieben. Nun müssen sie sogar neue Konkurrenz fürchten, wie Christoph A. Baus, Stefan Patzer und Christoph P. von Laufenberg erläutern.

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Mit Spannung war vor gut einem Jahr die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) in Sachen Lexfox erwartet worden (Urt. v. 27.11.2019, Az. VIII ZR 285/18). Wer sich nicht mehr erinnert: Das Legal-Tech-Unternehmen Lexfox ermöglichte es Verbrauchern über einen standardisierten Onlinerechner, die Erfolgsaussichten von Ansprüchen im Zusammenhang mit der Berliner Mietpreisbremse zu prüfen. Bei hinreichenden Erfolgsaussichten konnte der Verbraucher seine Ansprüche an Lexfox abtreten und das Unternehmen machte diese anschließend im eigenen Namen geltend. Kosten fielen für den Verbraucher nur im Erfolgsfall an, in dem Lexfox einen Teil des Erlöses einbehielt. Obwohl es zumeist nur um kleinere Beträge ging – im BGH-Fall um gerade einmal 23,49 Euro – blickte die gesamte Branche nach Karlsruhe, da das Geschäftsmodell anderer Plattformen wie etwa myRight (Dieselklagen) oder Flightright (Fluggastrechte) weitgehend identisch ist. 

Im Kern geht es immer um das vielbeschworene rationale Desinteresse des Verbrauchers. Eine jüngere Befragung des Instituts für Demoskopie Allensbach kommt zu dem Ergebnis, dass Verbraucher regelmäßig erst ab einem Streitwert von 1.840 Euro bereit sind, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. Dem begegnen Legal-Tech-Unternehmen, indem sie einerseits durch eine hohe Standardisierung den zeitlichen Aufwand für den Verbraucher minimieren, und diesem andererseits das gesamte Kostenrisiko abnehmen. Da Anwälte keine Erfolgshonorare vereinbaren dürfen, stützen sich die Legal-Tech-Unternehmen für ihr Geschäftsmodell zumeist auf eine Registrierung als Inkassodienstleister nach dem Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG). 

In seiner Lexfox-Entscheidung hatte sich der BGH erstmals zu dem erbittert geführten Streit über die grundsätzliche Zulässigkeit dieses Vorgehens positioniert und zu Gunsten der Legal-Tech-Unternehmen einen weiten Inkassobegriff zugrunde gelegt. Deutschlands höchste Richter sahen sich damit auf der Linie des Gesetzgebers, der ein "modernes, zukunftsfähiges und liberalisiertes Rechtsdienstleistungsgesetz" habe schaffen wollen. Einen Freibrief hat der BGH jedoch nicht erteilt: Nur Tätigkeiten, die eng mit der Einziehung der Forderung zusammenhängen sowie deren Verwirklichung dienen, sollen zulässig sein. Im Fall Lexfox sah der BGH die Tätigkeit als "noch" von der Inkassoerlaubnis gedeckt an. 

Rückschläge bei Kartellschadensersatz- und Dieselklagen

Die Legal-Tech-Szene feierte die Entscheidung als Meilenstein – erstmalig waren Erfolgshonorare quasi für zulässig erklärt worden. Kurz darauf machten sich aber bereits die ersten Sorgenfalten breit, die bis heute eher tiefer geworden sein dürften. Der Rechtsdienstleister Financialright erlitt zunächst Anfang Februar 2020 eine Niederlage beim Landgericht (LG) München I, das eine Sammelklage mit Ansprüchen von mehr als 3.000 Spediteuren im Zusammenhang mit dem Lkw-Kartell abwies. Ende April folgte das LG Braunschweig zu einer Klage über Ansprüche von 2.000 Schweizer Dieselkunden. Nicht besser ist es dem Inkassodienstleister myRight ergangen: Anfang August 2020 wies das LG Ingolstadt eine Klage mit Ansprüchen von 2.800 Dieselkunden ab, Ende Oktober 2020 folgte eine weitere abweisende Entscheidung des LG Augsburg (Urt. v. 27.10.2020, Az. 11 O 3715/18). 

Alle Gerichte sahen die Tätigkeit im konkreten Fall als nicht von der Inkassoerlaubnis gedeckt an. Was unterscheidet diese Fälle von Lexfox? Die Bedenken der Gerichte konzentrieren sich vor allem auf die vier folgenden Punkte: 

Erstens befürchten die Gerichte Interessenkonflikte bei der Bündelung und massenhaften Geltendmachung von Ansprüchen. Die Lexfox Entscheidung betraf demgegenüber nur einen einzelnen Anspruch. 

Zweitens halten die Gerichte ein Geschäftsmodell, das von vornherein auf die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche gerichtet ist und die außergerichtliche Geltendmachung nur im Ausnahmefall vorsieht, nicht mehr von der Inkassoerlaubnis gedeckt. 

Drittens kann es bei Einschaltung eines Prozessfinanzierers nach Auffassung der Gerichte zu einem Konflikt zwischen den Interessen des Finanzierers und der Kunden kommen. Dies sei insbesondere der Fall, wenn der Finanzierer faktisch Einfluss auf das Verfahren oder einen Vergleichsschluss nehmen könne. 

Viertens soll die Rechtsnatur des Anspruchs Auswirkung auf die Wirksamkeit der Abtretung haben. Insbesondere die Durchsetzung komplexerer Ansprüche erfordere eine Sachkunde, die nicht mehr vom Leitbild der Inkassodienstleistung gedeckt sei. 

Reform des anwaltlichen Berufsrechts

Die Reaktion der Anwaltschaft auf die Lexfox Entscheidung war gespalten. Während die einen die Entwicklung begrüßten, forderten die anderen ein Eingreifen des Gesetzgebers, um die Rechte der Anwaltschaft zu stärken. Der kürzlich veröffentlichte Referentenentwurf zur Reform des anwaltlichen Berufsrechts verfolgt nunmehr den Ansatz "Gleiches Recht für alle" und will Anwälten zukünftig im Grundsatz in allen Bereichen die Vereinbarung eines Erfolgshonorars erlauben, in denen auch Inkassodienstleister tätig sind. In der Praxis dürfte sich dadurch wenig ändern, zumal ohnehin schon feste Kooperationen zwischen Anwälten und Legal-Tech-Anbietern bestehen. 

Darüber hinaus hat der Referentenentwurf die dargestellten Bedenken der Gerichte aufgegriffen und sieht stärkere Informationspflichten zugunsten der Kunden vor, die zumindest manche der Bedenken entfallen lassen könnten. Zugleich soll die Zulassung als Inkassodienstleister einer stärkeren Prüfung unterstellt werden, um zu verhindern, dass das Geschäftsmodell und damit die Wirksamkeit der Abtretung erst Jahre später in einem Gerichtsverfahren erstmals auf den Prüfstand gestellt werden. 

Die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) und der Deutsche Anwaltverein (DAV) sehen den Entwurf dennoch kritisch und lehnen insbesondere die vorgeschlagenen Änderungen zu Prozessfinanzierung und Erfolgshonoraren ab. Eine kontroverse Diskussion ist vorprogrammiert. 

Konkurrenz durch die EU-Verbandsklage

Die ebenfalls auf das rationale Desinteresse abzielende Musterfeststellungsklage hat mit dem Erfolgszug der Legal-Tech-Unternehmen nicht mithalten können und ist bislang deutlich hinter den ursprünglichen Erwartungen zurückgeblieben. Eine aktuelle BGH-Entscheidung streut weiteren Sand ins Getriebe: Ein Verband, der nur formal Verbraucherinteressen, praktisch aber weit überwiegend kommerzielle Interessen verfolgt, soll keine Klagebefugnis haben. 

Ein deutlich ernsthafterer Konkurrent könnte der Legal-Tech-Branche dagegen in der neuen EU-Verbandsklage erwachsen. Anders als nach der vielfach als zahnlos empfundenen Musterfeststellungsklage sollen qualifizierte Einrichtungen zukünftig unmittelbar auf Leistung zugunsten der Verbraucher klagen können. Damit entfällt die bisherige Notwendigkeit eines Anschlussprozesses – und damit zugleich einer der strukturellen Vorteile der Lega-Tech-Branche. Darüber hinaus soll künftig auch die Einschaltung von Prozessfinanzierern erlaubt sein, solange diese keinen Einfluss auf den Gang des Gerichtsverfahrens nehmen können. 

Der mit der Lexfox Entscheidung zunächst erwartete Triumphzug der Legal-Tech-Branche ist bislang ausgeblieben, vielmehr hat sie mehrere unerwartete Rückschläge hinnehmen müssen. Die grundsätzliche Zulässigkeit des Geschäftsmodells ändert nichts daran, dass der Einzelfall weiterhin Tücken bereithält. Mit der geplanten Reform des anwaltlichen Berufsrechts und der EU-Verbandsklage steht bereits jetzt fest, dass die Optionen für Verbraucher zur Geltendmachung von Ansprüchen mehr werden. Aus Verbrauchersicht sind dies gute Neuigkeiten, aus Sicht von Unternehmen weniger. 

Die Rechtsanwälte Dr. Christoph A. Baus und Stefan Patzer sind am Hamburger Standort, Dr. Christoph P. von Laufenberg am Münchner Standort von Latham & Watkins tätig. Sie beraten deutsche und ausländische Mandanten in komplexen wirtschaftsrechtlichen Gerichts- und Schiedsverfahren und haben langjährige Erfahrung mit Massenverfahren. Dr. Christoph A. Baus ist Chair des deutschen Litigation & Trial Departments.

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Ein Jahr nach der Lexfox-Entscheidung des BGH: Legal Tech am Scheideweg? . In: Legal Tribune Online, 11.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43712/ (abgerufen am: 31.05.2023 )

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