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LG Kleve zum Schadensersatz für totes TV-Huhn Sieglinde: "Es gibt doofe Hühner und es gibt Talente"

22.11.2019

Ein Superhuhn (nicht Sieglinde, die ist schließlich tot)

Jess rodriguez - stock.adobe.com

Ein Hund reißt ein auf einem Hof herumlaufendes Huhn in Stücke. Sein Halter bietet einen Zehner als Wiedergutmachung an. Nur was er nicht wusste: Das Huhn war ein TV-Star und womöglich Tausende Euro wert.

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Zehn bis 15 Euro kostet ein gewöhnliches Legehuhn, Küken gibt es sogar für 50 Cent. Doch wenn ein Tier erst mal prominent im Fernsehen zu sehen war, sieht die Sache anders aus. 4.000 Euro forderte die Eigentümerin des TV-Huhns Sieglinde am Freitag vor dem Landgericht (LG) Kleve vom Eigentümer eines Hundes, der das Huhn 2017 totgebissen hatte. Begründung: Sieglinde war ein Star. Sie habe zum Beispiel für den in der ARD ausgestrahlten Film "Wir sind doch Schwestern" mit großem Erfolg vor der Kamera gestanden, so die Huhneigentümerin Ute Milosevic.

Die Hundeattacke vom Juni 2017 schilderte sie vor Verhandlungsbeginn noch einmal den Journalisten: Sie habe auf ihrem Hof einen Stall ausgemistet, Sieglinde habe friedlich auf dem Hof herumgepickt. Da sei der Hund angerannt gekommen, habe das Huhn regelrecht zerfetzt und sei dann mit Sieglindes Überresten im Maul noch eine Weile herumgelaufen. Der Halter konnte seinen Hund nicht stoppen. Als Entschuldigung habe er stattdessen Milosevics Mann einen Zehner angeboten. "Es ist doch nur ein Huhn", soll der Hundehalter gesagt haben. Frau Milosevic reagierte empört und tief getroffen. Weinend habe sie die Tiertrainerin angerufen, die das Huhn TV-tauglich ausgebildet hatte.

Vor Gericht ging es nun nicht mehr um Emotionen, sondern um Schadensersatz. Schließlich sei Sieglinde mit zwei Jahren noch jung gewesen und habe bereits neue Angebote für Filmauftritte gehabt, so die klagende Frau. Tierauftritte in Kino und TV seien durchaus lukrativ, bestätigte Sieglindes Tiertrainerin Aurelia Franke-Hornung vor Verhandlungsbeginn. Hohe dreistellige Summen pro Drehtag würden regelmäßig bezahlt. TV-Hühner müssten am Filmset nämlich stets die Ruhe bewahren, flatternde Artgenossen trauten sich Schauspieler sonst oft gar nicht anzufassen. Sieglinde aber sei die Ruhe selbst und entsprechend wertvoll gewesen. Wie viel war der tierische TV-Star also nun wert?

Ein besonders begabtes TV-Huhn (?)

Das Amtsgericht (AG) Geldern hatte auf diese Frage in der ersten Instanz eine nüchterne Antwort gefunden: 15 Euro für das Huhn, 600 Euro für die Ausbildung bei der Tiertrainerin, entgangene Honorare seien nicht Sache des Verfahrens. Die 615 Euro Wert von Sieglinde müssten wegen Mitschuld der Besitzerin durch zwei geteilt werden, weil Milosevic das Tier auf ihrem Hof frei hatte herumlaufen lassen - machte am Ende also 307,50 Euro Schadensersatz.

Das LG bewertete den Sachverhalt nun aber etwas weniger streng. Zumindest eine Mitschuld der Huhneigentümerin sei nicht anzunehmen, wenn sie ein Tier auf ihrem eigenen Grund und Boden laufen lasse, so der Vorsitzende Richter. Entgangene Gewinne seien aber auch in dieser Instanz kein Thema.

Die Milosevics Anwältin beharrte dennoch auf einer Schadensersatzsumme von 4.000 Euro. Sieglinde sei besonders begabt gewesen und habe in nur zehn Stunden Ausbildung alles Nötige für den TV-Einsatz gelernt, begründete die Rechtsanwältin die hohe Forderung. Ein neues Huhn werde möglicherweise deutlich länger mit der TV-Ausbildung brauchen und deshalb auch höhere Kosten verursachen - wenn es überhaupt wieder so ein Talent gebe.

Talentierte Hühner sind rar

"Ja, es gibt keine Tierhandlung für Filmstars", räumte der Vorsitzende Richter daraufhin ein. Und ob eine teure Ausbildung eines anderen Huhns zum Erfolg führe, sei ja völlig offen. "Es gibt doofe Hühner und es gibt Talente", sagte er. "Sie kaufen ein neues Huhn, haben Glück und nach zehn Stunden kann das Huhn Fahrradfahren."

All das sei aber nicht Sache des Schadensersatzprozesses, betonte der Vorsitzende Richter daraufhin erneut. Ansonsten müsse man mit einem Urteil jahrelang warten, bis die Ausbildungskosten eines Sieglinde-Nachfolgers feststünden - unmöglich sei das. "Wir müssen schätzen - es geht nicht anders", beschloss er deshalb. Nach einem Volltreffer für Sieglindes Eigentümerin klang das nicht. Am 20. Dezember will das Gericht seine Entscheidung verkünden.

dpa/acr/LTO-Redaktion

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LG Kleve zum Schadensersatz für totes TV-Huhn Sieglinde: "Es gibt doofe Hühner und es gibt Talente" . In: Legal Tribune Online, 22.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38855/ (abgerufen am: 01.10.2023 )

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