Jan Stemplewski ist Mitgründer von iubel.de, ein Startup, das Gerichtsverfahren finanziert. Er hat schon mehrere Unternehmen gegründet, nicht alle erfolgreich. Ein Gespräch über das Gründen, das Scheitern und was man daraus lernen kann.
Die Brüder Jan und Niclas Stemplewski haben iubel.de gegründet: Das Start-up finanziert gegen eine Erfolgsbeteiligung Prozesse von Verbrauchern. Dabei prüft ein Algorithmus zunächst die Erfolgschancen und das Risiko des Falls. Wird er als aussichtsreich bewertet, finanziert iubel den Fall und vermittelt den Kunden bei Bedarf einen von rund 150 Partneranwälten. Aktuell sind es nach Angaben von iubel über 100 Fälle mit Streitwerten von 1.000 bis 50.000 Euro. Die Erfolgsquote der bereits beendeten Verfahren soll bei über 90 Prozent liegen. Die Gründer haben ehrgeizige Ziele: In zwei Jahren wollen sie mit einer "hohen fünfstelligen Zahl" an betreuten Fällen einen Umsatz von 58 Millionen Euro erwirtschaften.
LTO: Sie bewerben iubel als "Sofort-Rechtsschutz", dabei sind Sie doch gar keine Rechtsschutzversicherer…
Dr. Jan Stemplewski: Das sagen wir auch nicht. Technisch betrachtet machen wir Prozessfinanzierung. Da Privatpersonen und kleine Unternehmer mit dem Begriff aber oft wenig anfangen können und wir ihnen tatsächlich zur Durchsetzung ihrer Rechte verhelfen, erklären wir es ihnen als Sofort-Rechtsschutz. Zentral an unserem Geschäftsmodell ist, die Erfolgsaussichten eines Falls zu analysieren. Dass wir das Mandat nach unserer Vorprüfung auf Wunsch an Partneranwälte weitergeben, gehört zum Angebot. Ich glaube übrigens, dass wir in bestimmten Konstellationen mehr bieten als Rechtsschutzversicherer, denn beim Dieselskandal kann man beobachten, dass sie teilweise mit zweifelhaften Argumenten eine Deckung verweigern.
Wie berechnen Sie die Erfolgschancen eines Mandats?
Derzeit fließen rund 20 Faktoren in die Erfolgsprognose ein. Dazu zählen unter anderem der Streitwert, die rechtliche Anspruchsgrundlage, der Spruchkörper und die voraussichtliche Verfahrensdauer. Wir werten Daten aus den Fällen aus, die wir selbst begleitet haben, nutzen beispielsweise aber auch veröffentlichte Gerichtsurteile und andere externe Daten.
Wie oft fällt Ihre Erfolgsprognose positiv aus?
Über unser Online-Tool melden sich viele Menschen, teils nur um das Tool zu testen und teils mit offensichtlich nicht ernst gemeinten Anfragen. Deshalb wird viel aussortiert. Damit wir einen Fall annehmen, müssen außerdem zwei Bedingungen erfüllt sein: Es muss Zivilrecht sein und - untechnisch gesprochen - eine Zahlungsklage. Strafrechtliche Verfahren betreuen wir also nicht, und aktuell auch keine Verfahren, in denen der Mandant der Beklagte ist. Aber von den Fällen, die wirklich in Frage kommen, nehmen wir dann auch Fälle im höheren zweistelligen Prozentbereich an.
Sie haben schon einmal ein Legal Tech gegründet, Holiday-Hero. Was ist daraus geworden?
Mit Holiday-Hero haben wir einen anderen Ansatz verfolgt. Das Modell war auf Pauschalreisen zugeschnitten. Es sollte Ansprüche von Reisenden prüfen und Entschädigungen einfordern. Die Idee war, die Abläufe für die beteiligten Anwälte möglichst zu automatisieren. Wir hatten auch gute Erfolge, aber es hat sich gezeigt, dass die Marge nicht hoch genug war, um daraus dauerhaft ein Geschäftsmodell zu machen. Wir haben überlegt, ob wir das Modell im Rahmen von Holiday-Hero anpassen können, kamen aber zu dem Ergebnis, dass das eher nicht möglich sein wird..
Warum hat Holiday-Hero nicht gezündet?
Es hat sich herausgestellt, dass die Anwälte die Automatisierungslösungen, die wir entwickelt haben, nicht wollten. Genauer gesagt: Sie wollten nicht eigens für diese Dienstleistung bezahlen.
Alle Welt spricht von Legal Tech – und Sie sagen jetzt, dass die Anwälte das gar nicht wollen?
Wenn man anschaut, wer diese Anwälte sind, ist das durchaus verständlich: Oft sind es kleine oder Ein-Mann-Kanzleien, die schon eigene Abläufe entwickelt haben. In diese Abläufe hätten unsere Prozesse eingepasst werden müssen. Letztlich wollten die Anwälte keine Zeit zum Einarbeiten aufbringen, weil sie dann keine Mandate hätten bearbeiten können. Sie haben also vielfach das zeitliche Anfangsinvestment gescheut. Und wir müssen auch sagen, dass sich ein paar Anwälte mit Textbausteinen sehr gut funktionierende Systeme aufgebaut haben.
Mit einer guten Idee zu scheitern ist nicht schön. Was haben sie dann gemacht?
Man sollte keine übertriebene Angst vor dem Scheitern haben. Besser ist es, die Dinge schnell auszuprobieren und sich zu überlegen: Wenn es so nicht geht - wie geht es denn dann? Wir haben mit den Beteiligten qualifizierte Interviews geführt und uns weiterentwickelt. Auch hat sich unsere Zielgruppe verändert: Bei Holiday-Hero waren es neben den Rechtsuchenden auch Anwälte, mit iubel richten wir uns nun direkt und ausschließlich an Rechtsuchende.
Was glauben Sie, ist entscheidend dafür, dass eine Neugründung Erfolg hat?
Es gibt das Credo in der Gründerszene: Eine Idee ist wenig wert, die Umsetzung ist entscheidend. Es gehört aber natürlich auch Glück dazu. Den Zeitpunkt, zu dem man eine Geschäftsidee entwickelt, kann man nur bedingt beeinflussen. Ob es passt, weiß man am Ende nur, wenn man es ausprobiert hat. Wichtig ist, die Idee bekannt zu machen und zu erproben – bei Nutzern und potenziellen Geldgebern, aber auch in der breiten Öffentlichkeit.
Was war für Sie wichtig bei der Umsetzung ihrer Geschäftsidee: IT-Kenntnisse, juristisches Wissen oder betriebswirtschaftliche Kenntnisse?
Ohne Jura-Kenntnisse ist es schwierig, ein Unternehmen wie iubel zu gründen. Nicht umsonst dauert das Jurastudium einige Jahre. Aber mindestens genauso wichtig sind betriebswirtschaftliche Kenntnisse bzw. das Wissen, wie man ein Unternehmen führt.
Für das IT-Know-how haben wir zwei Entwickler an Bord geholt. Dass Juristen selbst auch programmieren können, halte ich nicht für erforderlich – auch wenn das natürlich nicht schadet. Wichtig ist allerdings, dass man ein methodisch-konzeptionelles Verständnis dafür hat, wie Software-Entwicklung funktioniert. Juristen und Entwickler müssen außerdem eine gemeinsame Sprache finden. Sie müssen sich gemeinsam darüber klar werden, wie die Prozesse ablaufen und wie die Workflows aussehen sollen.
Betreiben Sie Ihr Start-up eigentlich "nebenbei", also neben einem Brotjob?
Nein, das machen wir nicht nebenbei. Wir haben festgestellt, dass man damit weder den Anforderungen des Start-ups noch denen im eigentlichen Beruf gerecht wird. Wir arbeiten in Vollzeit für iubel. Ich habe dafür meinen Job als Unternehmensberater gekündigt.
Und wie finanzieren Sie das?
Wir haben für iubel drei Geldquellen für jeweils unterschiedliche Zwecke. Zunächst gibt es eine Förderung der Hamburgischen Investitions- und Förderbank in Höhe von 150.000 Euro.
Dann haben wir drei Investoren, die uns beim Unternehmensaufbau unterstützen und die von uns finanzierten Fälle mit Eigenkapital unterlegen. Das sind zwei Business Angel aus Hamburg und ein Berliner Fonds, der von einem ehemaligen Großkanzleipartner gegründet wurde. Sie bringen übrigens nicht nur Geld, sondern auch für uns wertvolles Know-how mit.
Drittens gibt es Investoren, beispielsweise vermögende Privatpersonen und Family Offices, für eine bestimmte Klasse von Verfahren, etwa die Dieselklagen. Dazu haben wir ein Investmentvehikel aufgelegt, das finanzielle Mittel im Millionen-Bereich eingesammelt hat. Unser Ziel ist es, weitere solcher Vehikel für andere Verfahrensklassen aufzubauen.
Ist es schwierig, an Geldgeber zu kommen?
Ich denke, in Deutschland ist es nicht so einfach wie in anderen Ländern, ein Unternehmen zu gründen und Investoren dafür zu gewinnen. Wichtig ist, dass man schon sehr früh ein Netzwerk aufbaut und nicht erst dann damit anfängt, wenn man dringend Geld braucht. Investoren haben nämlich auch Ideen und können ihre Erfahrung einbringen.
Am Anfang ist eigentlich auch gar nicht so viel Kapital erforderlich. Aber man muss beweisen, dass man nicht nur Ideen hat, sondern sie auch umsetzen kann. Das ist nicht trivial: Geldgeber wollen sehen, dass die Gründer kompetent sind, einen vernünftigen Business Case und das notwendige Marktverständnis haben. Für iubel war wichtig, Kunden einzusammeln, den Algorithmus zu entwickeln und Partneranwälte zu gewinnen.
Gibt es das, ein "Gründergen"?
Ja, ich glaube schon. Zumindest in meinem Fall. Ich habe schon in der Schulzeit mit Freunden ein Unternehmen gegründet, das T-Shirts vertrieben hat …
… ein recht erfolgreiches Cold-Brew-Start-up hatten sie auch …
Stimmt. Mein Bruder und ich haben das Getränk auf einer Reise durch Australien kennengelernt und wollten es nach Deutschland bringen. Die ersten Flaschen haben wir selbst abgefüllt – in der Nacht nach meiner ersten Klausur im zweiten Staatsexamen. Anderntags haben wir sie auf einem Hamburger Food Market verkauft. Wir haben uns aber schnell aus der operativen Führung zurückgezogen und das Unternehmen dann auch verkauft.
Mit iubel wird es nun wieder juristischer.
Ich mag den Gedanken, Leuten, die sich keinen Anwalt leisten können, zu ihrem Recht zu verhelfen. Und eine Idee in die Umsetzung zu bringen, hat mich schon immer mehr motiviert, als einen Schriftsatz abzugeben. Die Idee hat Marktpotenzial, und der ökonomische Erfolg stellt sich hoffentlich auch ein.
Was machen Sie, wenn es nicht klappt mit iubel?
Scheitern ist keine Option – zumal ich derzeit auch gar keine Anzeichen dafür sehe. Aber sollte es tatsächlich nicht klappen, bin ich sicher, dass das Wissen und die Kenntnisse, die wir mit iubel entwickeln, uns auch für andere Projekte nutzen werden.
Vielen Dank für das Gespräch, Herr Stemplewski
iubel-Gründer im Interview: . In: Legal Tribune Online, 08.06.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35823 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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