Der vermehrte Einsatz von Legal Technology in Kanzleien wird auch die Art und Weise verändern, wie dort zusammengearbeitet wird. Braucht es deshalb neue Führungsqualitäten? Einige Überlegungen von Carmen Schön.
Viele Industrieunternehmen wandeln sich derzeit stark: Durch die fortschreitende Digitalisierung und Themen wie "Industrie 4.0" oder "Internet der Dinge" verändert sich die Arbeitsweise massiv. Die Komplexität der Anforderungen steigt, und darauf reagieren nicht nur die Mitarbeiter. Auch der Führungsstil muss angepasst werden. Unter Schlagworten wie "digitale Führung", "Führung 4.0" oder "transformationale Führung" wird in zahlreichen Firmen schon intensiv darüber diskutiert und auch erprobt, wie ein neuer Führungsstil im digitalen Zeitalter aussehen könnte.
Diese Entwicklung bei ihren Mandanten dürfte auch für Kanzleien interessant sein. Wie könnte sich beispielsweise die Zusammenarbeit zwischen Rechtsabteilung und externen Beratern verändern? Welche Auswirkungen hat die Digitalisierung bei den Mandanten für die Sozietät? Und nicht zuletzt: Kann die Kanzlei etwas davon lernen und auf ihre eigene Arbeitsweise übertragen?
Denn auch in der Kanzleienbranche schreitet die Digitalisierung fort: Legal Technology hält Einkehr und verändert die Strukturen und Prozesse in den Sozietäten. Damit wandelt sich auch die Arbeitsweise, was wiederum Auswirkungen auf den Führungsstil der Partner haben wird.
Personalführung: In Kanzleien oft kein Thema
Mit dem Thema Führung setzen sich Kanzleien allerdings nur selten auseinander. Viele Partner führen intuitiv, und nur wenige Kanzleien bieten Führungstrainings an. Professionelle Personalführung wird vielfach als verzichtbar gesehen.
Doch es wäre sinnvoll, über neue Methoden der Führung nachzudenken. Denn in einer neuen, von Digitalisierung geprägten Kanzlei wird die Teamarbeit wichtiger, während Einzelarbeit in den Hintergrund rückt. Deshalb sollte ein Partner auch ein Team führen und steuern können. Zentral ist dabei vor allem, die Arbeitsbelastung fair zu verteilen und eine bessere Arbeitsatmosphäre zu schaffen. Gerade letzteres ist auch ein wichtiges Mittel zur Mitarbeiterbindung. Denn wenn die Mitarbeiter zufrieden sind, dann bleiben sie auch in der Kanzlei.
Eine neue Arbeitsweise in Kanzleien wird geprägt sein durch ein vernetztes Denken, die Arbeit in Projektteams und eine stärkere Teamorientierung. Die klassische pyramidenförmige Hierarchie wird nicht mehr gelebt. Der Teamleiter ist der Fähigste, also derjenige, der für die Aufgabe am besten geeignet ist. Das muss nicht unbedingt der Partner oder Abteilungsleiter sein. Wichtig werden auch Schnelligkeit, Agilität, Veränderungsfreudigkeit und die Neugierde, über den Tellerrand zu blicken.
2/2 Von Unternehmen lernen
Kanzleien, die sich über einen neuen Führungsstil Gedanken machen wollen, sollten sich zunächst Fragen, ob die Partnerschaft für das Thema Führung überhaupt schon sensibilisiert ist. Wird eine professionelle Mitarbeiterführung tatsächlich für wertig und wichtig gehalten? Sieht man den Bedarf, hier etwas zu verändern? Oder kommt man mit dem alten Modell – autoritäre Ansagen von oben – doch noch gut aus? In einem zweiten Schritt wäre zu überlegen, wie ein neuer Führungsstil aussehen müsste, damit er zur Kanzleikultur passt. Und wie könnte man ihn in die Praxis umsetzen?
In Unternehmen wird dazu oftmals zunächst das Organigramm umstrukturiert. Man denkt eher in Matrixstrukturen, nicht im klassischen Baum-Modell. So kann es beispielsweise vorkommen, dass ein Abteilungsleiter die fachliche Führung für zwei völlig unterschiedliche Bereiche hat. Häufig halten die Firmen außerdem Schulungen und Trainings ab, um Agilität als Bestandteil der Unternehmenskultur zu verankern. Schließlich wird die neue Art der Herangehensweise in einzelnen Pilotprojekten ausprobiert.
Auf Augenhöhe mit dem Mandanten
Dieses Vorgehen der Unternehmen lässt sich natürlich nicht eins zu eins auf Kanzleien übertragen. Es ergibt keinen Sinn, wenn ein Anwalt – nur um eine Matrixstruktur abzubilden – seinen Fachbereich verlässt und fachfremd arbeitet. Aber eine Partnerschaft sollte sich überlegen, wo genau die Herausforderungen liegen, die mit der Digitalisierung auf sie zukommen. Leitfragen wären beispielsweise: Wie stehen wir zum Einsatz von Technik? Wie sehr sind wir bereit, auf Veränderungen zu reagieren, indem wir unsere Strukturen anpassen? Wollen wir unsere Arbeitsabläufe überdenken?
Die meisten Kanzleien zeichnen sich zwar noch nicht durch eine besondere Innovationsfreude und Agilität aus. Doch es wird wichtig sein, wenn sie ihren Mandanten auch in Zukunft auf Augenhöhe begegnen wollen. Die Anwälte können ihrem Auftraggeber so zeigen, dass sie die gleichen Werte, Haltungen und Arbeitsstrukturen teilen. Hinzu kommt: Unternehmen werden andere Anforderungen an die Kanzleien stellen, die sie mandatieren, etwa was die Zusammenarbeit angeht. Auch dafür sollten die Sozietäten gewappnet sein.
Die Volljuristin Carmen Schön berät seit vielen Jahren Rechtsanwälte, Unternehmensjuristen und Wirtschaftskanzleien bei Fragen zur strategischen Ausrichtung, Positionierung im Markt, Akquise und Ausbau von Mandanten sowie Führung von Mitarbeitern.
Carmen Schön, Mitarbeiterführung: "Neue Führung" dank Legal Tech? . In: Legal Tribune Online, 27.04.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22764/ (abgerufen am: 18.04.2024 )
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