Fast jede große Wirtschaftskanzlei, die etwas auf sich hält, gibt mittlerweile einen Corporate-Social-Responsibility-Report heraus. Doch so richtig ist das Thema der sozialen Verantwortung in der Kanzleibranche noch nicht angekommen. Während sich ihre Mandanten längst auf einen Verhaltenskodex verpflichtet haben, diskutieren Kanzleien noch über die Frage, ob sie überhaupt pro bono beraten dürfen.
Es klingt beeindruckend: Responsible Business Report, Global Social Impact Report oder Citizenship Report – so heißen die Berichte, in denen Kanzleien von ihrer unternehmerischen Verantwortung für die Gesellschaft Zeugnis ablegen. Sie handeln von Bildungsprojekten und Spenden, von gesellschaftlichem Engagement, Diversity und Umweltschutz.
Aber an den unterschiedlichen Titeln und Themen macht sich gleich ein Grundproblem der Debatte bemerkbar: Worüber sprechen wir eigentlich? Es ist alles andere als eindeutig, was mit dem Schlagwort Corporate Social Responsibility (CSR) überhaupt gemeint ist. Für CSR gibt es keine inhaltlichen oder formellen Standards, an die sich Kanzleien oder Unternehmen halten müssen.
Daher präsentieren Kanzleien ihre CSR-Aktivitäten auf ganz unterschiedliche Arten: Mal sind die Berichte ganze 41 Seiten dick wie bei Baker & McKenzie, dann lediglich acht (Linklaters) oder es öffnet sich imInternet durch Klick auf einen Link eine Microsite mit interaktiven Karten und Videos (White & Case).
Orientierung von offizieller Seite ist kaum zu erwarten. Unzählige Organisationen und politische Institutionen verbreiten ihre jeweils eigenen Vorstellungen davon, was unter CSR zu verstehen ist.
So ließ die EU-Kommission schon 2011 in einer Mitteilung verlauten, dass ein "strategischer CSR-Ansatz" für "die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen (…) von zunehmender Bedeutung" sei (KOM(2011)681). Neben der Internationalen Arbeitsorganisation hat auch die OECD Leitsätze mit Handlungsempfehlungen herausgegeben. Ebenso die Vereinten Nationen, unter dem Dach des UN Global Compact. Es gibt sogar eine ISO-Zertifizierungsnummer (ISO 26000), die aber ausdrücklich nur als Leitlinie verstanden werden soll.
CSR ist mehr als Pro Bono
Die großen deutschen Wirtschaftskanzleien haben sich im Vergleich zur angelsächsischen Kanzleiwelt erstaunlich lange dem CSR-Trend entzogen. Und doch hat das ehrenamtliche Engagement von Anwälten in Stiftungen oder Förderkreisen von Hochschulen hierzulande eine lange Tradition. Vor allem in den älteren Anwaltsgenerationen gehört es zum guten Ton.
Im angelsächsischen Raum hingegen, insbesondere in den USA, dreht sich in puncto Wohltätigkeit viel um Pro-Bono-Beratung. Da es etwa in den USA keine Prozesskostenhilfe gibt, ist die kostenlose Rechtsberatung für Menschen wertvoll, die sich keinen Anwalt leisten können. Weil in Deutschland in solchen Fällen der Staat einspringt, waren die Kanzleien nie in der gesellschaftlichen Pflicht, finanziell Schwachen zu helfen. Zumal rechtlich nicht abschließend geklärt ist, ob und unter welchen Umständen die unentgeltliche Rechtsberatung überhaupt zulässig ist.
Code of Conduct verbietet exzessive Arbeitszeiten - eigentlich
Auch in den Unternehmen hierzulande ist CSR trotz aller Verwirrungen um Definitionen und Inhalte längst etabliert. Nachhaltigkeitsberichte werden mit derselben Selbstverständlichkeit wie Geschäftsberichte veröffentlicht. Insbesondere vor dem Hintergrund politisch gewollter und vom Verbraucher geforderter Transparenz sehen sich viele Firmen in der Pflicht, ihre Wertschöpfungsketten offen zu legen.
Rechtsberater kommen daher zunehmend in die Situation, dass ihnen ihr Mandant eine Art Verhaltenskodex zur Unterzeichnung vorlegt. "Mit diesem Code of Conduct als Bestandteil des Mandatsvertrags sichert sich der Mandant rechtlich ab", sagt Dr. Birgit Spießhofer (54), CSR-Beraterin und Of Counsel bei Dentons.
"Unternehmen, die einer Verpflichtung zur Berichterstattung über nichtfinanzielle Informationen unterliegen, sollen auch die wesentlichen Risiken negativer Auswirkungen, die von Geschäftsbeziehungen ausgehen, in ihrer Erklärung berücksichtigen", so Spießhofer weiter. In einem derartigen Fall unterliegen alle Dienstleister - also auch die Rechtsberater - den CSR-Richtlinien eines Unternehmens.
Bei einem einzigen Mandanten wäre dies wohl machbar. Schwierig wird es dann, wenn jeder Mandant seine eigene Vorstellung durchsetzen möchte. "Das ist ein echtes Problem für Anwaltskanzleien", meint Spießhofer. "Denn die Codes of Conduct sind im Regelfall nicht identisch, sollen aber jeweils für das gesamte Geschäftsgebaren der Kanzlei gelten. Es ist kaum möglich, jeden einzelnen Verhaltenskodex umzusetzen."
"Mandanten haben widersprüchliche Erwartungen: Sie verhandeln mit ihren Anwälten oft nächtelang und am Wochenende, verlangen aber gleichzeitig die Einhaltung des Code of Conduct, der meist exzessive Arbeitszeiten verbietet." In der deutschen Kanzleiwelt wird daher momentan heiß diskutiert, wie man am besten mit diesen Anforderungen der Mandanten umgeht.
Gestritten wird auch um die Frage, wie transparent die Sozietäten ihre Wertschöpfungskette machen müssen. Spießhofer, die lange Jahre bei Hengeler Mueller im Öffentlichen Wirtschaftsrecht tätig war und seit mehr als zwölf Jahren zu dem Thema CSR berät, sagt: "Das kann soweit gehen, dass Kanzleien nachweisen sollen, woher das Blei in ihren Bleistiften kommt oder ob die Kaffeeproduzenten ihrer Kaffeelieferanten auch keine Kinder auf der Plantage beschäftigen. Das ist, sofern es nicht Zertifizierungen gibt, in der Praxis nur mit unverhältnismäßigem Aufwand umzusetzen."
Warum Kanzleien trotz aller Diskussionen mit ihrem CSR-Engagement immer öfter an die Öffentlichkeit gehen, ist auch der steigende Wettbewerb um talentierten und anspruchsvollen Nachwuchs. "Gerade Wirtschaftskanzleien haben erkannt, dass es zu wenig ist, die jungen Leute nur mit Geld zu locken", erklärt Spießhofer.
"Die Kanzleien fördern damit auch die Identifikation der jungen Anwälte mit dem Arbeitgeber. Für den Nachwuchs ist es wichtig, zu sehen, ob sein Arbeitgeber die relevanten Themen der Zeit erkannt hat." Die sogenannte Generation Y fordert also nicht nur flexible Arbeitszeiten und alternative Karrierewege, sondern auch sinnvolles Engagement für Gesellschaft und Umwelt.
Viele Absichtserklärungen, kaum Verpflichtungen
Doch Spießhofer bleibt vorsichtig: "Das sind häufig lediglich Absichtserklärungen, keine harten Verpflichtungen." Sich etwas auf die Fahnen schreiben, reicht eben nicht. Auf die Umsetzung und reale Ergebnisse kommt es an. "Die Sozietäten bemühen sich in unterschiedlicher Weise, ihr Bekenntnis zu unternehmerischer Verantwortung zum Ausdruck zu bringen, beispielsweise durch Unterzeichnung des UN Global Compact oder der Charta der Vielfalt", sagt Spießhofer. "Dies ist ein erster Schritt, allerdings kommt es darauf an, diesem Bekenntnis dann Taten folgen zu lassen."
Das Grundproblem ist, dass die CSR-Berichte kaum überprüfbar sind. Ob etwa bei Clifford Chance tatsächlich 60 Prozent der Anwälte weltweit Pro-Bono-Beratung leisten, wie es als Zielsetzung für 2015 ihrem jüngsten Bericht formuliert ist, kann von außen niemand nachzählen. Spießhofer: "Eine Kanzlei verpflichtet sich meist nur begrenzt zu konkreten Zielen, in vielen Fällen sind es Absichtserklärungen."
Um diesem weit verbreitetem Dilemma beizukommen, formulierte etwa die Global Reporting Initiative offizielle Leitlinien, um "die Nachhaltigkeitsberichterstattung von abstrakten Themen greifbarer und konkreter zu machen", wie es in den G4-Guidelines heißt.
Ein Gegenbeispiel, wo sich Maßnahmen von Externen tatsächlich nachvollziehen lassen, findet sich bei Linklaters. In ihrem aktuellen CSR-Bericht zeigen sich die deutschen Standorte umweltbewusst. Das Münchener Büro zertifizierte sich nach ISO 14001, die anderen deutschen Standorte wollen nachziehen. Mit diesem Zertifikat kann ein Büro seinen ökologischen Fußabdruck messen und reduzieren.
Zustände innerhalb der Kanzlei nicht vernachlässigen
Ein großes Missverständnis ist außerdem, dass CSR sich rein nach außen richte, also Engagement außerhalb der eigenen Kanzlei betreffe. "Dabei hat CSR zwei Zielrichtungen: Einmal betrifft es den Binnenbereich der Kanzlei, etwa bei den Arbeitsbedingungen oder der Umweltfreundlichkeit", erklärt Spießhofer. "Andererseits richtet sich CSR auch nach außen, umfasst die Berücksichtigung der Rechte Dritter und der örtlichen Gemeinschaft sowie soziales, kulturelles und Pro-Bono-Engagement."
Das sieht auch die EU-Kommission so: "CSR setzt ein Zusammenspiel von internen und externen Stakeholdern voraus", hebt sie in ihrer Mitteilung hervor. Und weiter: "Wenn sich die Unternehmen ihrer sozialen Verantwortung stellen, können sie bei den Beschäftigten, den Verbrauchern und den Bürgern allgemein dauerhaftes Vertrauen als Basis für nachhaltige Geschäftsmodelle aufbauen."
Philanthropisch handeln und sich karitativ zeigen, reicht also nicht. Wer es ernst meint mit der unternehmerischen Verantwortung für die Gesellschaft, der fängt am besten gleich innerhalb der Kanzlei an.
Désirée Balthasar, Corporate Social Responsibility in der Kanzleiwelt: Der Unterschied zwischen gut gemeint und gut gemacht . In: Legal Tribune Online, 03.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14828/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag