Vom "next big thing" haben viele Juristen noch nie gehört. Dabei wirkt die Blockchain wie ein Notar, auch Anwalts-Jobs kann die Technologie. Und Mandanten investieren längst enorme Summen. Zeit, sich damit anzufreunden, meint Micha-Manuel Bues.
Sich mit Technologie zu beschäftigen, ist in Juristenkreisen nicht gerade beliebt. Während alle Welt von BioTech, EdTech, FinTech oder MedTech spricht, hat das Thema LegalTech (Legal Technology) in vielen Kanzleien noch Exotenstatus. Juristen sind meistens schon froh, wenn PC, Smartphone und Drucker einwandfrei funktionieren. Technik ist für die meisten Anwälte bloßes Hilfsmittel ohne wirkliche Relevanz.
Für viele Juristen wird daher auch das Thema Blockchain Neuland sein. Das Blockchain-Prinzip, das beispielsweise hinter der Kryptowährung Bitcoin steht, sorgt derzeit insbesondere in der Finanzwelt für helle Aufregung. Kommentatoren und Investoren überschlagen sich in Begeisterung und bezeichnen das Prinzip schlichtweg als das "next big thing". Milliardensummen werden investiert.
Nasdaq-CEO Bob Greifeld ist sich der grundlegenden Bedeutung der Blockchain für die Wallstreet sicher und setzt voll auf diese Technologie. Neun Großbanken planen den gemeinsamen Einsatz von Blockchain, bedeutende Unternehmen wie IBM, Samsung und Microsoft investieren ebenfalls hohe Summen.
Für das WEF ein Megatrend
Hiermit nicht genug. Das World Economic Forum (WEF) hat die Blockchain-Technologie in ihrem letzten Bericht als Megatrend geadelt, der die Welt nachhaltig verändern wird. Auch am Rechtsmarkt wird er nach Meinung der Experten nicht vorbei gehen. Das Grundprinzip ist einfach zu verstehen. Die Einzelheiten sind zwar komplex, zum Verständnis der grundlegenden Funktionsweise aber glücklicherweise nicht erforderlich: Die Blockchain ist, vereinfacht gesagt, eine Datenbank, in der sämtliche jemals vorgenommenen Vorgänge abgespeichert werden.
Stellen Sie sich eine sehr umfangreiche Excel-Tabelle vor. Die einzelnen Informationen - jede beliebige Information kann abgespeichert werden - werden in der Datenbank in Blöcken ("Blocks") hinterlegt. Die Blöcke sind chronologisch angeordnet. Daher auch der Name "Blockchain", Kette von Blöcken. Jeder Block enthält einen sogenannten Hashverweis auf den vorherigen Block und somit gewissermaßen den Fingerabdruck seines Vorgängers. Das ermöglicht eine einheitliche Sichtweise auf die Transaktionshistorie.
Die Blockchain wirkt wie ein Notar
Das Besondere an der Blockchain ist, dass sie - wie das Internet - dezentral organisiert und für alle Teilnehmenden öffentlich einsehbar ist. Sie befindet sich auf bestimmten Computern (Nodes) des Blockchain-Netzwerkes, die durch ein ausgeklügeltes System die abgespeicherten Daten nachvollziehbar und verifizierbar machen. Wird ein neuer Block erschaffen, wird er über das Netzwerk verteilt und in einem komplexen Verfahren auf seine Richtigkeit hin überprüft.
Bevor ein neuer Block erstellt werden kann, muss er von sogenannten Minern bestätigt werden. Diese müssen dazu eine komplexe Rechenaufgabe lösen. Der Miner, dem dies gelingt, ist befugt, einen neuen Block zu schreiben, in dem alle neuen Transaktionen zusammengefasst werden. Der neue Block wird der Blockchain hinzugefügt. Die Nodes erweitern daraufhin jeder für sich ihre Blockchain mit einer Kopie des neuen Blocks.
Unaufhörlich werden auf diese Weise neue Blöcke angefertigt, über das ganze Netzwerk verteilt und dort überprüft. Hierdurch wird es praktisch unmöglich, Transaktionen zu manipulieren oder Daten zu verfälschen. Die Blockchain wirkt im Ergebnis also wie ein Notar, der jede Transaktion beglaubigt und unmanipulierbar in eine Datenbank einträgt.
Es winken spannende Mandate
Eine Datenbank, in der Daten unmanipulierbar abgelegt und durch ein Kontrollsystem dezentral verifiziert werden können, macht eine zentrale Vertrauensinstanz, beispielsweise eine Bank oder ein Clearinghaus, überflüssig. Ein Vertrauensverhältnis zwischen den Teilnehmern ist nicht erforderlich.
Für Juristen bedeutet das, ganz praktisch: Es winken viele spannende Mandate, insbesondere aus der Finanzbranche. Neue Unternehmen in diesem Bereich sprießen wie Pilze aus dem Boden und wollen rechtlich beraten, Investitionen in das Business anwaltlich begleitet werden. Es lohnt sich daher, sich früh mit der Technologie auseinanderzusetzen.
Macht die Blockchain Notare und Register überflüssig?
Wenn derzeitige Prognosen stimmen, wird sich durch das Blockchain-Prinzip auch die Art und Weise verändern, wie Rechtsdienstleistungen erbracht werden. Das Blockchain-Prinzip kann zum Beispiel genutzt werden, um bisherige Mittelmänner und zentrale Register zu ersetzen. Im derzeitigen System sind Mittelmänner bzw. Register erforderlich, um Vertrauen zu erzeugen. Wir brauchen Banken, Kreditkartenfirmen, Clearinghäuser und Buchhalter, um Geldschäfte vornehmen zu können.
Im juristischen Bereich sind Notariate und behördliche Register (Handelsregister, Grundbuch etc.) derzeit noch unentbehrlich. Diese Mittelmänner bzw. zentralen Register könnten durch das Blockchain-Prinzip ersetzt werden. Hausverkäufe ohne staatliche Zentralregister sind bereits Realität. Honduras hat sein Grundbuch unlängst auf die Blockchain-Technologie umgestellt. In Deutschland werden die Mühlen wohl langsamer mahlen. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wann und wie der Gesetzgeber auf diese technologischen Entwicklungen reagiert.
Smart Contracts - intelligente Verträge
Ein weiterer Bereich, der durch die Blockchain-Technologie möglich wird, sind intelligente digitale und automatische Verträge - sogenannte Smart Contracts. Hierunter kann man sich, vereinfacht gesagt, Programme vorstellen, welche die Bedingungen eines Vertrages computerbasiert kontrollieren und einzelne Vertragsbestandteile automatisiert ausführen können. Für die Abwicklung von Smart Contracts sind keine Mittelsmänner oder Anwälte erforderlich. Die Kontrolle und Ausführung der Verträge beruht auf Datenbanken.
Um die Integrität und Verlässlichkeit der Daten zu gewährleisten, kann die Blockchain-Technologie eingesetzt werden. Das Prinzip von Smart Contracts mag folgendes, einfaches Beispiel verdeutlichen: Zwei Sportfans wetten 100 Euro, dass eine bestimmte Fußballmannschaft den DFB-Pokal gewinnt. Die Wette wird in einem Smart Contract festgehalten. Nach Abpfiff des Endspiels wird der Wetteinsatz automatisch ausgezahlt. Der Smart Contract holt sich die Informationen zum Spielergebnis aus einer vorab festgelegten Datenquelle.
Legal Tech wird zum Arbeitsmittel
Durch Smart Contracts wächst die digitale Welt mit dem Recht immer weiter zusammen. Code und Recht verschmelzen, wie es bereits Lawrence Lessig in seinem berühmten Aufsatz formulierte: "Code is Law". Hierdurch wird der Anwalt zwar nicht überflüssig, aber entbehrlicher.
Sein Aufgabenspektrum ändert sich allerdings dramatisch. Programmierkenntnisse werden so wichtig wie das BGB AT. Legal Tech wird vom bloßen Hilfs- zum integralen Arbeitsmittel. Das Recht wird internationaler. Nationale Rechtgrenzen lösen sich auf.
Es ist an der Anwaltschaft, diesen Megatrend nicht nur kritisch aus der Ferne zu betrachten, sondern aktiv mitzugestalten. Und vielleicht sogar ein bisschen Begeisterung für die neuen technologischen Möglichkeiten und Entwicklungen aufzubringen.
Der Autor Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford), Anwalt und Legal Tech Experte, betreibt den Blog www.legal-tech-blog.de
Dr. Micha-Manuel Bues, MJur. (Oxford), Megatrend Blockchain: Wirkt wie das Grundbuch - und wie ein Notar . In: Legal Tribune Online, 29.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17365/ (abgerufen am: 24.04.2024 )
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