2017 jähren sich die Bastille-Beschlüsse des BVerfG zum 30. Mal. Damals kippte Karlsruhe das alte Standesrecht, das Anwälten Werbung strengstens verbot. Diese Konditionierung wirkt bis heute in allen Marktsegmenten fort.
Dabei hatten das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Anwälte in den revolutionären Entscheidungen (vom 14. Juli 1987, Az. 1 BvR 537/81) dazu ermutigt, aktiv zu kommunizieren. Die Befugnis zur Information der Öffentlichkeit könne nicht nur auf eine Ausnahme reduziert und auf essentielle, die Öffentlichkeit bewegende Vorfälle beschränkt werden, so der 1. Senat. In dem die Anwaltswerbung betreffenden Beschluss hatte die zuständige Rechtsanwaltskammer einen Anwalt abgemahnt, weil er ein Foto von sich an die Presse lanciert hatte, die dann über ihn berichtete. Und so heißt es heute ganz unspektakulär in § 6 Absatz 1 Berufsordnung der für Rechtsanwälte (BORA): Der Rechtsanwalt darf über seine Dienstleistung und seine Person informieren, soweit die Angaben sachlich unterrichten und berufsbezogen sind.
Dabei kommt der Werbung im Anwaltsmarkt, in dem immer mehr Berufsträger identische Beratungsprodukte anbieten, längst existenzielle Bedeutung zu. Denn nur diejenige Kanzlei, die sich von der Konkurrenz abgrenzt und als Markenpersönlichkeit und Vertrauensmarke wahrgenommen wird, hat nach einhelliger Meinung der einschlägigen Kanzleiberater heutzutage eine Überlebenschance.
Umso erstaunlicher ist es, dass von den Großkanzleien über Boutiquen im High-End-Geschäft bis hin zu kleinen Generalisten gut gemachte Anwaltswerbung in Deutschland Seltenheitswert hat. "Anwälte haben erst vor 10, 15 Jahren die Werbung für sich entdeckt. Im Unterschied zu amerikanischen Kanzleien tun sie sich insbesondere noch mit der Markenführung schwer", weiß Stephan Marx, Geschäftsführer der gleichnamigen Essener Werbeagentur, die sich auf Anwälte spezialisiert hat.
Was will der Mandant statt höher, schneller, weiter
Wen wundert's. Schließlich haben Anwälte im Studium nicht gelernt, wie man wirbt. Deshalb nehmen viele Robenträger in der Werbung Anleihen aus fremden Branchen. Und ergießen sich dabei in Superlativen, Abstraktionen und Allgemeinplätzen. Ein aktuelles Beispiel aus einer Kanzleianzeige: "Transaktion trifft Innovation". Dass Anwälte bei Transaktionen innovativ sein müssen, ist aus Sicht des Mandanten eine Selbstverständlichkeit. Ein weiteres Beispiel: "Exzellente Rechtsberatung von der größten Kanzlei der Welt". Ob es den Mandanten mehrheitlich wirklich darauf ankommt, von der größten Kanzlei der Welt beraten zu werden, darf bezweifelt werden. Sie könnten auch denken: Wer derart prahlt, bei dem fällt auch die Rechnung entsprechend hoch aus.
Doch das sind längst nicht die einzigen Fettnäpfchen, in die Anwälte hineintreten, wenn sie sich in Sachen Werbung falsch oder gar nicht beraten lassen. "Die Bronzemedaille geht an alle Aktionen, die halbherzig geplant und konzept- und ideenlos umgesetzt werden. Wer sich denkt 'Ich muss ja was im Marketing tun, aber eigentlich möchte ich gar nicht', sollte es gleich lassen", rät Peter Marquardt. Auf Platz zwei der No Gos sieht der Inhaber der Düsseldorfer Agentur zB3 Kanzleimarketing "die unterschätzte Wirksamkeit der gestalterischen Aspekte. Häufig entspricht die Güteklasse des Designs und der Bildsprache nicht dem Beratungsanspruch der Kanzlei. Hier steckt ein unglaubliches, empirisch nachgewiesenes Potenzial, das häufig ungenutzt bleibt."
Doch der Spitzenreiter unter den Fehlern, die Anwälten in Sachen Werbung unterlaufen, ist laut Marquardt die Unfähigkeit einiger Anwälte, häufiger die Position der potenziellen Mandanten einzunehmen und sich die Frage zu stellen, welche Informationsbedürfnisse sie wohl haben. "Ist hier die Selbstdarstellung der Kanzlei oder sind eher Problemlösungen für den Mandanten gefragt? Eine intensive Customer Journey, wie es neudeutsch heißt, hilft dabei enorm", weiß Marquardt.
Aus der Sicht des Mandanten
Keine Frage: Die Rundreise des Kunden mit allen Berührungspunkten der Kanzlei im Entscheidungsprozess nachzustellen, schärft das Bewusstsein für den ganzheitlichen Blick auf den eigenen Kanzleiauftritt. Das ist etwa der auf Bau-, Immobilien- und Vergaberecht spezialisierten Kanzlei Leinemann & Partner mit ihrem Internetauftritt gelungen. Gleich auf der Homepage zeigt sie Baukonzernen ihre Leistungsfähigkeit, indem ganz unterschiedliche Projekte visuell dargestellt werden – von der Elbphilharmonie über Autobahnen bis hin zum Kraftwerks- und Anlagenbau.
Auch die auf das Steuerrecht fokussierte Kanzlei Streck Mack Schwedhelm holt die Mandanten auf ihrer in schwarz-weiß gehaltenen Website gleich mit einem starken Zitat ihres mittlerweile ausgestiegenen Gründungspartners Michael Streck ab: "Wir kommen ins Spiel, wenn eigentlich nichts mehr geht".
Gleich darunter werden die vier Kernkompetenzen Steuerstreit, Steuerfahndung, Steuergestaltung und Beraterhaftung aufgezählt. Die Kanzlei leistet sich zudem ein eigenes – dieses Mal farbiges - Kanzleimagazin, in dem nicht nur einzelne Kanzleistandorte mit ihren regionalen Besonderheiten wie der Currywurst in Berlin oder der Allianz-Arena in München vorgestellt werden, sondern auch einzelne Partner mit ihren privaten Sehnsüchten und Leidenschaften. Auf diese Art und Weise baut die Kanzlei eine menschliche Nähe zu ihren Mandanten auf. Schließlich wollen die Mandanten jenseits aller Fachkompetenz wissen, wie ihr Anwalt tickt.
2/2: Mehr Mut: Partner als Matrosen, Schienbeinschoner für Manager
Stephan Marx empfiehlt Anwälten außerdem mehr Mut zur Courage. Ziel der Werbung sei es, etwas ganz neu und vor allen Dingen anders zu machen. So hat Marx für die Corporate-Boutique Glade Michel Wirtz das Stilmittel der Illustration / Karikatur entwickelt. In Direktmailings werden so beispielsweise neue Partner den Mandanten auf selbstironische und witzige Art und Weise auf einer Doppelkarte vorgestellt. Der jüngste Partner sitzt im Matrosenkostüm in einer leeren Badewanne. Darunter heißt es: "Willkommen auf der Brücke!" Und Mandanten, die auch echte Seebären werden wollen, können ein auf der Innenseite der Karte eingelegtes Tattoo bestehend aus einem Herz und einem Anker auf einen beliebigen Körperteil aufkleben, fotografieren und dem neuen Partner mailen: "Er freut sich auf Ihre Bilder". Da die Kanzlei diese Art der Direktmailings seit Jahren verschickt, ist anzunehmen, dass sie viel positives Feedback hervorrufen.
Auch Peter Marquardt kennt positive Beispiele, wie Kanzleien mit klaren Marketingkonzepten richtig erfolgreich am Markt agieren. "Nehmen Sie etwa Noerr. Die haben sich als deutsche mittelständische Kanzlei kommunikativ klar international orientiert und sind damit erfolgreich gewachsen."
Unvergessen bleibt das Direktmailing, das Noerr anlässlich der Fußball-WM im eigenen Land an deutsche Manager verschickte. Es bestand aus einem Paket, in welchem sich Schienbeinschoner befanden. Die sollten sich Manager anziehen, die nicht offizieller Partner von FIFA oder UEFA waren, aber gleichwohl mit dem WM-Großereignis werben wollten. "So ersparen wir Ihnen Blessuren und Platzverweis. Damit Sie die Spannung genießen können und für meisterliche Erfolge Ihres Marketings..." Natürlich standen die Schienbeinschoner symbolisch für die anwaltliche Beratung.
Weniger ist mehr: mit Planung und Budget
Keine Frage: Eine Kanzlei, die aktuellen und künftigen Mandanten ein Lächeln oder Staunen abringen kann, bleibt in guter Erinnerung. Und Direktmailings sind schon deshalb anderen Werbeträgern vorzuziehen, weil sie ohne Streuverluste punktgenau diejenigen Zielgruppen erreichen, die sich der Anwalt als Mandanten wünscht. Dass Werbesendungen von Anwälten berufsrechtlich zulässig sind, bestätigt Prof. Dr. Volker Römermann: "Direktmailings im Sinne postalischer Zusendung sind grundsätzlich unproblematisch; im Übrigen kommt es auf den Inhalt an." Online-Newsletter sind laut dem Berufsrechtsexperten dagegen nur gestattet, wenn der Empfänger damit seine bei Verbrauchern ausdrückliche oder bei sonstigen Marktteilnehmern mutmaßliche Einwilligung erklärt hat ("Opt-In").
Beliebteste Zielgruppe der Wirtschaftskanzleien für Direktmailings sind vor allem Entscheidungsträger in Unternehmen. Entsprechend viel Werbung kommt bei ihnen täglich an. Peter Marquardt hält deshalb nichts von 0815-Lösungen: "Massenmailings in Standardformaten bringen erfahrungsgemäß nicht sehr viel. Man muss sich schon etwas Besonderes einfallen lassen und dafür auch entsprechendes Budget bereitstellen". Die besten Ergebnisse erziele, wer weniger Adressaten richtig gut und mehrfach - idealerweise über mehrere Kanäle - anspreche. "Bei einer mehrstufigen Mailingaktion an qualifizierte Empfänger haben wir über die Folge – Print, Email-Reminder, Print und telefonische Nachfassaktion – eine Interessentenquote von bis zu 30 Prozent erreicht", gibt Marquardt ein weiteres Erfolgsgeheimnis preis.
Es versteht sich von selbst, dass Anwaltskanzleien für Marketing und Werbung ein Jahresbudget aufstellen müssen. "Doch die meisten Kanzleien denken nicht über Budgets nach. In der Regel wird ad hoc irgendetwas gemacht, statt langfristig zu planen", kritisiert Agenturchef Marx. 40.000 bis 50.000 Euro sollte eine 10-Mann-Kanzlei schon einplanen und regelmäßig für Marketingmaßnahmen und Kommunikation (Anzeigen, Mailings etc.) ausgeben. Hinzu kommen weitere Maßnahmen wie Veranstaltungen, Social-Media-Aktivitäten etc.
Peter Marquardt spricht von zwei bis 5 Prozent vom Umsatz. Verglichen mit anderen Branchen, in denen leicht 20 bis 30 Prozent vom Umsatz für Werbemaßnahmen ausgegeben werden, ist das noch sehr bescheiden. Doch wer Aufmerksamkeit erreichen will, muss seine Alleinstellung schon nach außen kommunizieren.
Mit Erfolgen werben
Dazu kommt: Auf dem Marktplatz verhallen die Werbesprüche immer mehr. Denn der gesamte Wettbewerb der großen Wirtschaftskanzleien tummelt sich mehr oder weniger alphabetisch in den bekannten juristischen Fach- und Branchenblättern. "Stattdessen wäre es durchaus sinnvoll, sich mit der Auswahl des Mediums bzw. der Platzierung der Anzeige ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen. Warum nicht einmal im Lufthansa-Magazin, der Art oder einem hochwertigen Architektur-Magazin Anzeigen schalten", fragt Stephan Marx zu Recht.
Während die Kanzlei als Dachmarke positive Emotionen wecken soll, muss die Monomarke Anwalt zur Dachmarke passen, authentisch sein und durch Kompetenz überzeugen. Letzteres schaffen Anwälte vor allem durch nutzwertige Themen, die sie journalistisch aufbereiten und über die verschiedenen Medienkanäle publizieren – von der eigenen Website über eMail-Newsletter bis hin zu eigenen Kanzleimagazinen. "Diese Kompetenz kann die Kanzlei einkaufen, indem sie etwa einen Redakteur einstellt oder die Dienstleistung extern vergibt. Auch Kanzlei-Marken müssen Geschichten erzählen.", beschreibt Marx einen weiteren Zukunftstrend.
Seit der Landung angloamerikanischer Kanzleien in Deutschland vor rund 15 Jahren ist auch die Angabe von Umsatz- und Erfolgszahlen nicht mehr tabu. Umsatzrankings mit real von den Kanzleien mitgeteilten und/oder redaktionell hinzugeschätzten Zahlen sind mittlerweile Standard. Und auch mit den eigenen Prozesserfolgen halten Anwälte längst nicht mehr hinter dem Berg, wie das Beispiel der auf Arzthaftungsrecht spezialisierten Kanzlei ciper & coll. zeigt. Gleich auf der Homepage www.ciper.de listet die Kanzlei die jüngsten Prozesserfolge auf. Darunter heißt es: "Schauen Sie sich eine Auswahl von weiteren rund 700 Prozesserfolgen aus der jüngeren Vergangenheit an – bundesweit beispiellos!"
Nach § 6 Abs. 2 Satz 1 BORA ist die Angabe von Erfolgs- und Umsatzzahlen nur dann unzulässig, wenn sie irreführend ist. Daraus folgt: "Grundsätzlich ist eine solche Werbung erlaubt. Gleiches gilt dann auch für Prozesserfolge", erläutert Prof. Dr. Volker Römermann. Er macht aber auf eine wichtige Einschränkung aufmerksam: Sofern der Mandant in der Werbung erkennbar oder zumindest identifizierbar ist, muss der Anwalt die Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht einholen.
Marcus Creutz, 30 Jahre Bastille-Beschlüsse: Happy Birthday, Anwaltswerbung! . In: Legal Tribune Online, 04.05.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22815/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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