Im Zusammenhang mit der VW-Abgasaffäre wird über Schadensersatzforderungen in zweistelliger Milliardenhöhe spekuliert. Zumindest deutsche Verbraucher werden dazu aber kaum etwas beitragen können, erklärt Thomas Riehm.
Seit dem 20. September 2015 beherrscht die "Dieselgate" getaufte Affäre um manipulierte Abgaskontrollsysteme bei Europas größtem Autohersteller VW die Medien. Viel wird über die horrenden Kosten spekuliert, die für das Unternehmen mit ihrer Aufarbeitung verbunden sein sollen. Die Rede ist von Schadensersatzforderungen in zweistelliger Milliardenhöhe; sogar über eine teilweise Zerschlagung des VW-Konzerns zur Deckung der Ansprüche wird in der Presse schon spekuliert.
Soweit bislang bekannt, hat VW in einen Teil seiner weltweit verkauften Fahrzeuge eine Software eingebaut hat, die die Abgaskontrolleinrichtungen im gewöhnlichen Straßenverkehr außer Kraft setzt. Die Abgaskontrolle wird offenbar nur dann aktiviert, wenn das Auto sich auf einem Abgasprüfstand befindet. Außerhalb des Prüfstandes erhöht sich der Ausstoß von Stickoxiden (NOx) erheblich und überschreitet teilweise die Grenzwerte der für die betroffenen Autos gültigen Euro 5-Norm. Allein in Deutschland sollen 2,8 Millionen Fahrzeuge verschiedener Marken des VW-Konzerns (VW, Audi, Škoda, Seat) aus den Baujahren 2009 bis 2014 betroffen sein, wobei die Software offenbar nicht in allen Fahrzeugen aktiviert ist.
Unerlaubte Software als Sachmangel
Angesichts dieses Sachverhalts stellt sich zunächst die Frage nach kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüchen gegen den Verkäufer. Das ist beim Neuwagenkauf nicht die VW AG, sondern der jeweilige Händler. Auch die VW-Niederlassungen werden nicht von der VW AG selbst betrieben, sondern von 100%igen Tochtergesellschaften, die rechtlich selbständig als Händler auftreten. Beim Gebrauchtwagenkauf ist Schuldner der Gewährleistungsansprüche der Gebrauchtwagenverkäufer, wobei insoweit regelmäßig ein Gewährleistungsausschluss vereinbart sein dürfte. Solange dieser wirksam ist, bestehen hier keinerlei kaufrechtliche Ansprüche.
Im Vordergrund des Gewährleistungsrechts steht zunächst der Anspruch auf Nachbesserung gem. §§ 437 Nr. 1, 439 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Der Sachmangel liegt hier in der aktivierten Manipulationssoftware, denn der Einsatz solcher Programme ist nach Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 ("Fahrzeugemissionen-VO") unzulässig. Gem. § 434 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB entspricht das Kfz damit nicht der üblichen Beschaffenheit und ist auch nicht für die gewöhnliche Verwendung geeignet, weil es die gesetzlichen Anforderungen an die Emissionskontrolle nicht einhält.
Wo möglich Nachbesserung, andernfalls Minderung
Unklar ist derzeit allerdings, ob eine Nachbesserung technisch überhaupt möglich ist. Zwar ist davon auszugehen, dass die betreffende Software so eingestellt werden kann, dass die Autos auch im Normalbetrieb die Abgasgrenzwerte der Euro 5-Norm einhalten. Experten haben jedoch die Vermutung geäußert, dass dies nur um den Preis eines erhöhten Kraftstoffverbrauchs oder geringerer Motorleistung möglich sei. Beide sind jedoch regelmäßig Teil der Sollbeschaffenheit i.S.v. § 434 Abs. 1 S. 3 BGB.
Die Rechtsprechung toleriert beim Kraftstoffverbrauch zwar gewisse Abweichungen gegenüber den in der Werbung angegebenen Messwerten vom Prüfstand, weil in der Serienfertigung gewisse Schwankungen unvermeidlich sind. Gleiches gilt für die Motorleistung. Wird diese Grenze jedoch überschritten, so liegt ein Sachmangel vor. Sollte sich erweisen, dass mit vertretbarem technischem Aufwand die Abgasgrenzwerte nicht eingehalten werden können, ohne dass zugleich Motorleistung und Kraftstoffverbrauch im Toleranzbereich bleiben, so blieben die betroffenen Autos trotz Nachbesserung der Abgaskontrolle mangelhaft. Insoweit kommen weitergehende Rechte der Käufer in Betracht, insbesondere eine Minderung und nur in Extremfällen (ab 10% Mehrverbrauch) der Rücktritt vom Kaufvertrag.
Schadensersatzansprüche scheiden aus
Schadensersatzansprüche, etwa zur Kompensation eines geringeren Wiederverkaufswertes, sind dagegen sowohl aus Kaufrecht als auch aus Deliktsrecht ausgeschlossen, weil die Verkäufer mangels Kenntnis von der Manipulationssoftware kein Verschulden trifft. Ein etwaiges Verschulden der VW AG wird den Händlern nach h.M. nicht gem. § 278 BGB zugerechnet. Ohnehin undenkbar sind nach deutschem Recht Ansprüche auf Strafschadensersatz (sog. punitive damages), wie sie der VW AG möglicherweise in den USA drohen.
Die Ansprüche gegen die Händler verjähren in zwei Jahren nach Ablieferung des Autos. Etwas anderes würde nur bei arglistigem Verhalten der Händler gelten (§ 438 Abs. 3 BGB). Daran fehlt es wohl, weil zwar möglicherweise relevante Entscheidungsträger der VW AG von der Manipulationssoftware wussten, nicht aber die Händler. Das gilt selbst für die VW-Niederlassungen, weil auch diese nicht nur rechtlich verselbständigt sind, sondern auch funktional aus dem Entwicklungs- und Herstellungsprozess herausgehalten werden und daher eher einem selbständigen Händler vergleichbar sind. Eine Zurechnung des "Konzernwissens" kommt insoweit nicht in Betracht.
2/2: Händler können Regress nehmen
Die VW AG selbst haftet den Endkunden nicht aufgrund des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts, weil sie nicht selbst Endverkäuferin der Autos ist. Ihre vertragliche Haftung besteht aber gegenüber den Händlern, die Regress nehmen können, soweit die erfüllten Ansprüche der Käufer noch nicht verjährt waren. Ist der Endabnehmer ein Verbraucher, hat der Händler hierfür einen verschuldensunabhängigen Ersatzanspruch für die Nachbesserungsaufwendungen nach § 478 Abs. 2 BGB. In den anderen Fällen dürfte sich ein vergleichbarer Ersatzanspruch aus den internen Absprachen zwischen den Servicepartnern und der VW AG ergeben.
Die Rückgriffsansprüche der Händler gegen die VW AG verjähren zwei Jahre nach Auslieferung an den Händler. Sollte relevanten Entscheidungsträgern der VW AG allerdings positive Kenntnis von der Manipulation nachgewiesen werden, so gilt für den Rückgriffsanspruch die regelmäßige Verjährung von drei Jahren, die erst mit Ende des Jahres 2015 (Bekanntwerden der Manipulationen) beginnt. Gleichwohl besteht auch dieser Rückgriffsanspruch nur für solche Aufwendungen oder Schäden, die die Händler infolge einer berechtigten Inanspruchnahme durch die Endkunden tatsächlich erlitten haben. Die ggf. verlängerte Verjährung der Rückgriffsansprüche gegenüber der VW AG hat daher grundsätzlich keine Auswirkungen auf den Kreis der anspruchsberechtigten Endkunden. Ein komplizierteres, hier nicht zu erörterndes Zurechnungsproblem stellt sich erst, wenn die Händler freiwillig eigene Garantieverlängerungen gewährt haben und aus diesen in Anspruch genommen werden sollten.
Direkte Ansprüche dank Herstellergarantie
Die VW AG haftet auch weder nach dem ProdHaftG noch nach den Grundsätzen der sog. deliktischen Produzentenhaftung gem. § 823 Abs. 1 BGB, weil nach gegenwärtigem Kenntnisstand keine deliktisch geschützten Rechtsgüter der Kunden oder Dritter betroffen sind, sondern lediglich das vertragliche Äquivalenzverhältnis. Die Kosten einer Mängelbeseitigung infolge eines Rückrufs unterfallen nach der "Pflegebetten-Rechtsprechung" des BGH nicht der Produkthaftung.
Als Herstellerin hat die VW AG jedoch freiwillig eine vertragliche Neuwagengarantie übernommen, die üblicherweise auf zwei Jahre befristet war. In ihrem Umfang orientiert sich diese an der kaufrechtlichen Gewährleistung, sodass insoweit vertragliche Direktansprüche der Endkunden gegen die VW AG (bzw. die entsprechenden Konzerntöchter Audi, Škoda und Seat) bestehen. Auch diese sind jedoch nur auf Nachbesserung gerichtet und bilden keine Grundlage für Schadensersatzforderungen. Für diese Ansprüche gilt die in der Garantie bestimmte zweijährige Ausschlussfrist, die mit der Auslieferung des Fahrzeugs an den Endkunden beginnt. Eine etwaige Kenntnis der VW AG ist hierauf ohne Einfluss.
Öffentlich-rechtliche Rückruf- und Nachbesserungspflicht
Unabhängig von den erwähnten privatrechtlichen Ansprüchen besteht eine öffentlich-rechtliche Pflicht der Hersteller, für die Regelkonformität der bereits im Verkehr befindlichen Fahrzeuge zu sorgen. Diese auf Rückruf und Nachbesserung gerichtete Pflicht ist nicht an die Verjährung der privatrechtlichen Ansprüche geknüpft und dient öffentlichen Interessen des Gesundheitsschutzes. Insoweit hat das Kraftfahrtbundesamt bereits Maßnahmen gegenüber der VW AG ergriffen. Diese öffentlich-rechtliche Nachbesserungspflicht deckt sich inhaltlich mit den privatrechtlichen Nachbesserungsansprüchen, geht allerdings im Hinblick auf die betroffenen Baujahre über die privatrechtlichen Ansprüche hinaus.
Im Ergebnis verbleibt daneben eine durchsetzbare privatrechtliche Haftung nur für die wenigen Autos, die in den letzten zwei Jahren an den Endkunden ausgeliefert wurden und trotz der Nachbesserung immer noch mangelhaft sind (weil Motorleistung oder Kraftstoffverbrauch infolge der Nachbesserung außerhalb der Toleranzgrenzen liegen). Auch hier beschränken sich die Rechtsbehelfe jedoch auf die Minderung und im Extremfall den Rücktritt; Schadensersatzansprüche bestehen nicht. Für Fahrzeuge, die vor Oktober 2013 ausgeliefert wurden, sind dagegen überhaupt keine privatrechtlichen Rechtsbehelfe mehr möglich. Damit bestehen nach deutschem Recht keine privatrechtlichen Ansprüche gegen die VW AG oder die Händler, die nennenswert über die Kosten der offenbar bereits in Vorbereitung befindlichen Rückrufaktion hinausgingen.
Der Autor Prof. Dr. Thomas Riehm ist Inhaber des Lehrstuhls für Deutsches und Europäisches Privatrecht, Zivilverfahrensrecht und Rechtstheorie an der Universität Passau. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Deutschen, Europäischen und internationalen Vertrags- und Haftungsrecht sowie im gerichtlichen und außergerichtlichen Konfliktmanagement.
Prof. Dr. Thomas Riehm, Zivilrechtliche Folgen von "Dieselgate": Mehr Rauch als Feuer . In: Legal Tribune Online, 01.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17074/ (abgerufen am: 23.04.2024 )
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