Vodafone und Telekom drohen Verfahren wegen versuchter Strafvereitelung. Trotz richterlicher Beschlüsse hatten die Firmen Handydaten von Tatverdächtigen nicht herausgegeben. Kay H. Schumann bewertet die Erfolgsaussichten einer Anklage.
Auf die Konzerne Vodafone und Deutsche Telekom kommt möglicherweise ein Verfahren wegen versuchter Strafvereitelung zu. Die Firmen hatten in zwei Fällen Standort-Handydaten von Tatverdächtigen nicht herausgegeben, obwohl entsprechende richterliche Beschlüsse vorgelegen hatten. Es geht um zwei Tötungsdelikte vom September 2017 und Januar 2018. Die Verdächtigen wurden letztlich auch ohne Verwertung der Standort-Daten gefasst; einer von ihnen stellte sich.
In einem Fall verfolgte die Staatsanwaltschaft (StA) Detmold einen geflohenen Mordverdächtigen. Zu dessen Auffindung besorgt sie sich einen richterlichen Beschluss zur Erhebung seiner Handy-Standortdaten. Die Telekom weigerte sich allerdings, die entsprechenden Daten zu erheben. Erst als die StA einen Durchsuchungsbeschluss erwirkt hatte, spielte das Unternehmen mit.
Eine ganz ähnliche Erfahrung machte die StA mit Vodafone: Auch dort wurden die Standortdaten eines wegen Doppelmordes Verdächtigen nicht erhoben. Das Unternehmen verwies auf die unsichere Rechtslage hinsichtlich der sogenannten Vorratsdatenspeicherung gemäß. § 113b ff. Telekommunikationsgesetz (TKG): Auch die Bundesnetzagentur sehe von der Durchsetzung der gesetzlichen Speicherpflicht vorläufig ab, so Vodafone. Die Agentur begründe dies auch damit, dass das OVG Münster einen Telekommunikationsanbieter von der Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung bis zur Beendigung des dortigen Verfahrens einstweilen freigestellt habe. Vodafone sehe sich daher ebenfalls nicht gehalten, die Daten zu erheben. Allerdings: Bevor die StA daraufhin ebenfalls einen nachträglich erwirkten Durchsuchungsbeschluss vollstrecken konnte, stellte sich der Verdächtige selbst.
Ärger der Ermittler nachvollziehbar
Die StA Detmold prüft nun, ob gegen die Unternehmen wegen des Versuchs der Strafverteilung vorgegangen werden sollte. Nimmt man die Perspektive der Ermittler ein, ist deren Ärger durchaus nachvollziehbar: Nach langen Jahren des Zerrens um die Vorratsdatenspeicherung gibt es nun eine verlässlich erscheinende gesetzliche Regelung. Und dennoch verweigern Unternehmen entsprechende Mithilfe bei der Verfolgung schwerster Straftaten. Doch dagegen steht die Position der betroffenen Dienstanbieter: Nicht nur, dass mit der Vorratsdatenspeicherung erheblicher Aufwand verbunden ist; auch sind die Unternehmen erst einmal grundsätzlich den Datenschutzinteressen aller ihrer Kunden verpflichtet. Und das rechtlich, nicht nur anstandshalber.
Hier soll es aber nicht darum gehen, welche Seite mehr Verständnis verdient. Das hängt letztlich von dem je eingenommenen rechtspolitischen Standpunkt zur Vorratsdatenspeicherung ab. Vielmehr gilt es der Frage nachzugehen, ob die StA die von ihr angenommene versuchte Strafvereitelung mit Aussicht auf Erfolg verfolgen kann.
Der Tatbestand der Strafvereitelung (§ 258 StGB) kennt zwei Varianten: Einmal die sogenannte Verfolgungsvereitelung, die gegeben ist, wenn jemand absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer dem Strafgesetz gemäß wegen einer rechtswidrigen Tat bestraft oder bestimmten Maßnahmen (z.B. Sicherungsverwahrung) unterworfen wird. Bei der zweiten Variante, der sogenannten Vollstreckungsvereitelung, geht es um die Vereitelung bereits verhängter Strafen oder Maßnahmen. In beiden Fällen kann eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe ausgesprochen werden. Bei der Hinderung der Jagd auf einen Verdächtigen kommt also die Verfolgungsvereitelung in Betracht.
Versuchte Strafvereitelung durch Unterlassen
Und da es hier nicht zu der eigentlichen Vereitelung kam, ist es durchaus richtig, nur eine versuchte Tat anzunehmen. Hätte eine Vodafone-Mitarbeiterin alle Aufzeichnungen über den Verdächtigen gelöscht, um sie dem Zugriff der Behörden zu entziehen, wäre die Lage recht einfach. Und juristisch (außer für die Mitarbeiterin) nicht sonderlich spannend. Doch hier sind die Unternehmen lediglich untätig geblieben, haben also nicht aktiv in die Ermittlungen eingegriffen.
Damit steht der Vorwurf der versuchten Strafvereitelung durch Unterlassung im Raum. Diese Konkretisierung des Tatvorwurfs ist wichtig. Denn dort, wo das StGB nicht von jedermann ein bestimmtes Handeln fordert (wie z.B: bei der Unterlassenen Hilfeleistung), ist ein Unterlassen nur dann strafbar, wenn der Täter als Garant rechtlich dafür einzustehen hat, dass ein bestimmter Erfolg nicht eintritt. Entscheidend ist hier also die Frage: Waren die Unternehmen rechtlich überhaupt verpflichtet, durch ihre Mitarbeit bei der Datenerhebung dafür zu sorgen, dass die StA die Verdächtigen erfolgreich verfolgen konnte?
Auf eine etwaige "allgemeine staatsbürgerliche Pflicht" darf man hier nicht abstellen. Prozessuale Pflichten müssen, vor allem, wenn sie Gegenstand auch eines strafrechtlichen Vorwurfes im Falle der Verweigerung sein sollen, vom Gesetzgeber im Vorhinein hinreichend bestimmt festgelegt werden. Und in der Tat sieht die Strafprozessordnung (StPO) – in einem nicht leicht zugänglichen Verweisungsdickicht zwischen den §§ 100a und 101a – entsprechende Mitwirkungspflichten für die Erhebung von Standortdaten vor. Legt die StA einen richterlichen Beschluss auf entsprechende Datenerhebung vor, so ist dessen Befolgung obligatorisch.
Auch eine unsichere Rechtslage ist verbindlich
Nun tragen die betroffenen Unternehmen allerdings vor, dass die Vorschriften der Verkehrs- und Standortdatenspeicherung im TKG, auf das die StPO hinsichtlich der Durchführung von Datenerhebungen Bezug nimmt, derzeit rechtlich noch umstritten seien. Mehr sogar, die Bundesnetzagentur verzichte einstweilen auf die Durchsetzung dieser Vorschriften, da das OVG Münster deren Rechtmäßigkeit anzweifele. Die StA lässt diesen Einwand allerdings nicht gelten: Gesetz sei Gesetz und müsse befolgt werden.
Selbst wenn man der Vorratsdatenspeicherung kritisch gegenübersteht: Der StA ist zuzustimmen. Denn ein vorläufiger Beschluss eines OVGs in einem Einzelfall hebt ein Gesetz nicht auf. Auch dass die Bundesnetzagentur hinsichtlich ihrer eigenen Überwachung und Durchsetzung des TKG aufgrund der unsicheren Rechtslage nachsichtig ist, ändert daran nichts. Schließlich ist auch eine unsichere Rechtslage immerhin die Rechtslage. Bei Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der richterlich angeordneten Maßnahme hätte es den Unternehmen freigestanden, Beschwerde einzulegen und so ihren konkreten Fall gerichtlich prüfen zu lassen.
Dennoch wird es für die StA nicht allzu leicht werden, den grundsätzlich begründeten Vorwurf der versuchten Strafvereitelung auch erfolgreich zur Anklage zu bringen. Denn es stellen sich auch hier häufige Probleme des Wirtschaftsstrafrechts:
Träger der strafrechtlichen Verantwortlichkeit unklar
Es muss nämlich zuerst geklärt werden, wer genau strafrechtlich belangt werden soll. Denn die Unternehmen selbst können sich nach deutschem Recht (noch) nicht strafbar machen. Es ist also zu klären, wer hier innerhalb der jeweiligen Unternehmensstruktur überhaupt strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.
Ist eine Person gefunden, die für die Verfolgung infrage kommt, muss auch noch deren Vorsatz für die konkrete Tat nachgewiesen werden. Für die Strafvereitelung bedeutet dies, dass der Täter hinsichtlich des Vereitelungserfolges "absichtlich oder wissentlich" gehandelt hat. Lässt sich ausschließen, dass es den Beteiligten gezielt darum ging, die StA zu behindern (das wäre "Absicht"), müsste dargelegt werden, dass sie die Verfolgungsvereitelung als sichere Folge der Weigerung der Datenerhebung erkannt haben. Hinzu kommt beim Unterlassen, dass der Vorsatz auch die Voraussetzungen der Garantenpflicht erfassen muss.
Halten wir fest: Der Verdacht der versuchten Strafvereitelung durch Unterlassen ist in den hier behandelten Fällen wohlbegründet. Da aber sowohl die StA wie auch die betroffenen Telekommunikationsunternehmen hörenswerte Argumente für ihre jeweilige Position vorbringen können, wäre es in der Tat begrüßenswert, wenn die Lage gerichtlich geklärt werden würde. Da der hier maßgebliche Oberstaatsanwalt nicht die einzelnen Sachbearbeiter der Unternehmen, sondern die Leitungsebene im Auge hat, steht zu hoffen, dass beide Seiten über genug Ausdauer und Ressourcen verfügen, die Frage auch bis einer verlässlichen Entscheidung durchzufechten.
Über die Einzelfälle hinaus wäre damit letztlich nicht nur den frustrierten Ermittlern, sondern auch den verunsicherten Unternehmen und deren Kunden gedient.
Der Autor Dr. Kay H. Schumann ist Privatdozent in den Fächern Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Bonn.
Standort-Handydaten nicht herausgegeben: . In: Legal Tribune Online, 16.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/28049 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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