Der VGH Mannheim hat verhandelt, ob Universitäten ihre Professoren zwingen dürfen, veröffentlichte Erkenntnisse frei verfügbar zu machen. Die lang erwartete Abwägung zwischen Urheber- und Wissenschaftsrecht steht aus, der Fall geht wohl zum BVerfG.
Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden und sollte Signalwirkung für Baden-Württemberg und mittelfristig den ganzen deutschsprachigen Raum haben. Nun muss wohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entscheiden.
Im Oktober 2013 hatte § 38 des Urheberrechtsgesetzes (UrhG) einen neuen vierten Absatz bekommen, der vor allem für Universitätsangehörige ein unabdingbares Recht begründete, ihre Zeitschriftenbeiträge nach einem Jahr anderweitig frei zu verwenden – das sogenannte "Zweitveröffentlichungsrecht". Begrifflich treffender wäre wohl "Zweitverwertungsrecht" gewesen, denn nach urheberrechtlicher Terminologie erschöpft sich die Veröffentlichung mit der erstmaligen Zugänglichmachung. Das hob der Vorsitzende des 9. Senats am Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim in der mündlichen Verhandlung am Dienstag hervor.
Dass sich überhaupt ein Verwaltungsgericht mit dieser zivilrechtlichen Vorschrift befassen musste, lag an einem Kniff des baden-württembergischen Gesetzgebers: Er hatte die Hochschulen des Landes ermächtigt, das neue Recht des Urhebers im Dienstrecht verpflichtend zu machen. So schreibt § 44 Abs. 6 des Landeshochschulgesetzes (LHG) seit April 2014 vor, dass die baden-württembergischen Hochschulen "die Angehörigen ihres wissenschaftlichen Personals durch Satzung verpflichten" sollen, "das Recht auf nichtkommerzielle Zweitveröffentlichung … für wissenschaftliche Beiträge wahrzunehmen, die im Rahmen der Dienstaufgaben entstanden" sind. In Konstanz war man dieser Aufforderung Ende 2015 mit einer "Satzung zur Ausübung des wissenschaftlichen Zweitveröffentlichungsrechts" nachgekommen, andere stehen in den Startlöchern.
Open Access als Pflicht der Wissenschaftler?
Die Universität Konstanz gilt damit "als Aktivposten in Sachen Open Access", d.h. der internationalen Bewegung für "den unbeschränkten und kostenlosen Zugang zu wissenschaftlicher Information". Sie genießt mittlerweile die Unterstützung des Bildungsministeriums und aller großen Forschungseinrichtungen, und macht auch in der deutschen Rechtswissenschaft Fortschritte: Etwa zwei Dutzend juristische Open-Access-Zeitschriften erscheinen schon im deutschsprachigen Raum, und über "Open Access in den Rechtswissenschaften" wird auf eigenen Konferenzen diskutiert.
Neu war indes der Schritt, den freien Zugang zu wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht länger ins Belieben einzelner Wissenschaftler zu stellen, sondern dienstrechtlich vorzuschreiben. In zwei der 13 Fachbereiche der Universität Konstanz regte sich daraufhin Widerstand. Die Juristenfakultät bezeichnete die einmütig als "übergriffig" angesehene Regelung in einem offenen Brief vom Februar 2016 als "diskreditiertes Zwangsinstrument" und mit Art. 5 Abs. 3, Art. 14 Grundgesetz (GG) unvereinbare "Zwangsvergemeinschaftung". Der daraufhin von 17 Professoren der Literatur- und Rechtswissenschaften gegen ihre eigene Universität gestellte Normenkontrollantrag (Aktenzeichen 9 S 2056/16) erregte große mediale Aufmerksamkeit und mündete nach umfänglichen Schriftsätzen schließlich in den von der Presse verfolgten Verhandlungstermin am vergangenen Dienstag.
Am Ende alles nur eine Kompetenzfrage?
Die mit großem Furor vorbereitete Debatte über Forschungsfreiheit und die Ethik einer liberalen Wissensgesellschaft wurde vom 9. Senat am VGH Mannheim unaufgeregt und souverän auf eine rein formelle Frage zusammengekürzt, die binnen einer Stunde abgehandelt war.
Der Vorsitzende erläuterte die vorläufige Ansicht des Senats: Die Satzung sei allenfalls dann un-wirksam, wenn ihre Ermächtigungsgrundlage gegen Verfassungsrecht verstoße. !Mittelbar entscheidungserheblich" sei folglich die Verfassungsmäßigkeit von § 44 Abs. 6 LHG, und zwar hier wiederum allein die formelle. Auf den materiellen Vortrag der renommierten Prozessbevollmächtigten beider Seiten – Prof. Klaus Gärditz für die Konstanzer Professoren, Prof. Alexander Peukert für die Universität – komme es also gar nicht an.
Entscheidend sei letztlich, ob dem Land eine Gesetzgebungskompetenz für § 44 Abs. 6 LHG zustehe. Soweit damit Urheberrecht geschaffen werde, stehe einer Landesgesetzgebung die ausschließli-che Bundeskompetenz nach Artikeln 71 und 73 Abs. 1 Nr. 9 GG entgegen. Und das Gericht äußerte dazu sogleich seine Meinung.
2/2: VGH: Land nicht für urheberrechtliche Vorschriften zuständig
Nach vorläufiger Prüfung sei der Senat der Ansicht, dass § 44 Abs. 6 LHG den Urhebern Vorgaben mache, die zum Anwendungsbereich der §§ 15 ff., 44a ff. UrhG gehörten. Der Zusammenhang mit dem Hochschulrecht, der eine Landeskompetenz begründen könnte, sei nicht Schwerpunkt der Regelung, wie es das BVerfG voraussetze (Urt. v. 17.02.1998, Az. 1 BvF 1/91). Jedenfalls fehle eine sachliche Verzahnung mit dem übrigen Dienstrecht, weil die Vorschrift systematisch am engsten mit § 38 Abs. 4 UrhG zusammenhänge, eine weltweite Wirkung anstrebe und das öffentliche Interesse an der Wissensverbreitung ähnlich umsetze wie die Schranken des Urheberrechts für den Schulunterricht und die Forschung in den §§ 46, 47, 52a, 52b UrhG.
Diese Lesart werde, so die Baden-Württemberger Richter, durch die BGH-Rechtsprechung zum Arbeitnehmererfindungsrecht von Hochschulangehörigen (Urt. v. 18.09.2007, Az. X ZR 167/05) bestätigt. Zudem entspreche sie der Logik der zum 1. März 2018 in Kraft tretenden allgemeinen Wissenschafts- und Bildungsschranke in § 60a UrhG. Da eine Doppelkompetenz von Bund und Land nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ausscheide, sei § 44 Abs. 6 LHG zur konkreten* Normenkontrolle dem BVerfG vorzulegen.
Dem schloss sich Klaus Gärditz für die Konstanzer Professoren an und betonte, dass auch die Universität durch ihre Argumentation zu erkennen gebe, dass sie neues Urheberrecht schaffen wolle und § 44 Abs. 6 LHG als "Folgebestimmung" zu § 38 Abs. 4 UrhG begreife. Das Land hätte jedoch mangels Öffnungsklausel nicht "als Trittbrettfahrer zu einer Bundesrechtsreform" agieren dürfen.
Die Abwägung zwischen Urheber- und Wissenschaftsrecht
Alexander Peukert hielt für die Universität Konstanz dagegen: Urheberrechte seien verfassungsrechtlich Eigentum, dessen Inhalt und Schranken der Landesgesetzgeber gar nicht anrühre. Das Land habe lediglich eine Ausübungsregel für die ihm Dienstverpflichteten erlassen. Zweck sei die freie Zugänglichkeit nicht der urheberrechtlich geschützten Werke, sondern der darin verkörperten, urheberrechtsfreien Information. Vergleichbare Lizensierungspflichten kenne man aus dem Kartellrecht, wo die Kompetenznorm für die ausschließliche Gesetzgebung des Bundes (Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG) ebenfalls keine Rolle spiele.
Der bloße Bezug zu urheberrechtlich geschützten Werken ändere daran nichts, argumentierte der Frankfurter Rechtwissenschaftler. Sonst müsste auch die Pflicht von Professoren zur Abhaltung von Lehrveranstaltungen (§ 46 Abs. 2 LHG) verworfen werden. Denn dabei handele es sich um eine Verpflichtung zur Aufführung urheberrechtlich geschützter Sprachwerke – und doch bezweifle niemand, dass das Land dafür zuständig sei. Der Senat hingegen verkläre mit seiner vorläufigen Rechtsauffassung Art. 73 Abs. 1 Nr. 9 GG zu einer Art "Superkompetenz", wann immer urheberrechtlich geschütztes Material betroffen sei – egal in welchem Regelungskontext.
Die vom Gericht vermisste Verzahnung mit dem Dienstrecht lasse sich durch ein Gedankenexperiment leicht entdecken: Verpflanze man die streitige Vorschrift des § 44 Abs. 6 LHG probehalber ins Urheberrechtsgesetz, wo die Vorschrift nach Ansicht des Senats hingehöre, falle sofort ins Auge, dass keine sinnvolle Formulierung denkbar sei, für die der Bund die Gesetzgebungskompetenz hätte. Er könne den wissenschaftlichen Beschäftigten der Länder eben keine dienstlichen Vorgaben machen und habe gerade deshalb in § 38 Abs. 4 UrhG darauf verzichtet. Nach Art. 70 Abs. 1 GG falle die Verantwortung für das Verbreiten der staatlich monopolisierten Wissenschaft eben den Ländern zu.
Auch der Vergleich mit dem Erfindungsrecht der Hochschulangehörigen nach § 42 Arbeitnehmerer-findungsgesetz trage nicht: Die Abschaffung des Hochschullehrerprivilegs in diesem Bereich sei aus rein fiskalischen Gründen erfolgt, während vorliegend gar keine negativen Vermögenseffekte daraus resultierten, dass die Ausübung des Zweitverwertungsrechts nicht nur individuell möglich, sondern kollektiv vorgeschrieben sei. Für treffender hält Peukert eine Parallele zu § 51 des Verwertungsgesellschaftengesetzes. Die Vorschrift vermute eine Wahrnehmungsberechtigung für vergriffene Werke und werde dennoch nicht als Inhalts- und Schrankenbestimmung zulasten der Urheber verstanden, sondern als bloße Ausübungsregel. Nicht anders liege der Fall in Konstanz.
Nun bleibt abzuwarten, ob die von Peukert rhetorisch eindrucksvoll vertretene Position den Senat zum Umdenken bewegt oder ob er das Verfahren wegen der bereits angekündigten Vorlage zum BVerfG aussetzt. Dann geht der Streit um Open Access in der deutschen Rechtswissenschaft in eine neue Runde – die Wissenschaft kann von einer öffentlichen Debatte darüber nur profitieren.
Der Autor Dr. Dr. Hanjo Hamann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in Bonn, Alumnus im Fellowprogramm Freies Wissen der Wikimedia-Stiftung und beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Ver-tragsrecht, empirischer Rechtsforschung und immaterialgüterrechtlichen Fragen der Digitalisierung.
Die Autorin Fabienne Graf ist studentische Hilfskraft in Luzern und arbeitet zu Open Access in der Schweiz. Beide haben die Sitzung vor dem VGH Mannheim am Dienstag als unabhängige Prozessbeobachter verfolgt.
*Klarstellung, um welche Art der Normenkontrolle es sich handelt; geändert am 02.10.2017 um 9.38 Uhr
Hanjo Hamann und Fabienne Graf, VGH Mannheim verhandelt über Open Access: Müssen Wissenschaftler ihre Ergebnisse frei zugänglich machen? . In: Legal Tribune Online, 27.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24747/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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