Wenn es nach einem aktuellen Referentenentwurf aus dem BMJV geht, sollen Verbraucher ihre Streitigkeiten mit Unternehmen künftig vor außergerichtlichen Schlichtungsstellen beilegen. Aber ist das nicht eigentlich der Job der Amtsgerichte? Martin Engel sähe lieber den Zivilprozess modernisiert – und die Selbstkontrolle imagebewusster Unternehmen auch als solche bezeichnet.
Das geplante Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) soll die 2013 verabschiedete EU-Richtlinie über alternative Streitbeilegung in Verbraucherangelegenheiten (AS-RL) umsetzen. Mit dieser verordnete die Europäische Union ihren Mitgliedstaaten eine Art "Außergerichtsbarkeit". Über die staatliche Ziviljustiz hinaus sollen die Mitgliedstaaten dafür Sorge tragen, dass Verbraucher Streitigkeiten mit Unternehmen auch außergerichtlich kostengünstig beilegen können. Die EU möchte mit dieser Regelung das Vertrauen der Verbraucher in einen funktionierenden europäischen Binnenmarkt stärken. Dahinter steckt auch wirtschaftliches Kalkül, denn nur, wenn Verbraucher ihre Rechte effektiv durchsetzen können, werden sie nach der Vorstellung der EU auch engagiert am Binnenmarkt teilnehmen.
Interessant dabei ist, dass die EU noch vor wenigen Jahren versuchte, die Rechtsdurchsetzung durch neue gerichtliche Verfahren zu erleichtern. Nachdem aber die Ziviljustiz vieler Mitgliedstaaten nach wie vor äußerst behäbig agiert, sollen es jetzt außergerichtliche Institutionen richten.
Über die Kompetenz der EU zur Installation einer Privatjustiz könnte man trefflich streiten. Ungeachtet dessen hat sich die Bundesregierung entschlossen, die Richtlinie nicht anzugreifen, sondern in einem Verbraucherstreitbeilegungsgesetz (VSBG) umzusetzen.
Im Kern regelt das neue Gesetz die Tätigkeit und behördliche Anerkennung privater Schlichtungsstellen, die sich zukünftig um die Beilegung von Verbraucherstreitigkeiten kümmern sollen. Das System bleibt dabei vorerst freiwillig. Es soll Verbraucher und Unternehmer von sich aus überzeugen.
Privatjustiz bekommt System
Nun ist die Schlichtung von Konflikten zwischen Verbrauchern und Unternehmen gerade in Deutschland nichts Neues. Seit vielen Jahren schon gibt es eine ganze Reihe von Einrichtungen, Ombudsmännern und verbandlichen Beschwerdestellen, die sich in Summe jedes Jahr mit zigtausenden Verbraucherstreitigkeiten beschäftigen. Die Anrufung dieser Schlichtungsstellen, welche von Unternehmen oder Unternehmensverbänden finanziert werden, ist in der Regel für Verbraucher kostenlos.
Dennoch wird das VSBG ein Novum schaffen. Nun bekommt die außergerichtliche Streitbeilegung nämlich System. Verbraucher können sich künftig wie bei staatlichen Gerichten darauf verlassen, dass mindestens eine Schlichtungsstelle für ihre Streitigkeit zuständig ist.
Unternehmer, die sich dieser Art der Schlichtung nicht gänzlich verschließen, müssen darüber künftig auf ihrer Homepage und in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) informieren. Wenn sich ein Verbraucher beim Unternehmer beschwert und sich die Angelegenheit nicht einvernehmlich lösen lässt, muss letzterer seinen Kunden nochmals explizit auf die Verbraucherschlichtung hinweisen.
Gegenwärtig operieren die Schlichtungsstellen noch auf vergleichsweise kleiner Flamme. Bleibt das Verfahren für Verbraucher aber kostenlos, können sich die neu eingerichteten Stellen auf eine regelrechte Beschwerdelawine gefasst machen. Sobald die Fallzahlen signifikant steigen, werden sie sich beweisen müssen.
2/2: Schlichter müssen das Recht nur "berücksichtigen"
Um den zu erwartenden steigenden Fallzahlen Rechnung zu tragen, wird man die Verfahren der Schlichtungsstellen bald stärker regulieren müssen. Langfristig werden solche "Prozesse" damit auch aufwändiger und teurer. Eine kontraproduktive Entwicklung, die ebenjene Vorteile verblassen ließe, mit denen das Schlichtungsverfahren im Vergleich zur Justiz beim Verbraucher gerade punkten möchte.
Zwar reguliert das VSBG vorerst noch relativ zurückhaltend, ruft aber schon jetzt eine stärkere Kontrollbürokratie ins Leben. Private Schlichtungsstellen müssen sich behördlich anerkennen lassen und den Behörden über ihre Tätigkeit berichten. Eine zentrale Anlaufstelle berichtet ihrerseits an die Europäische Kommission. Wie viel Aufwand das bedeutet und wie hoch die Mehrkosten für die Verwaltung sein werden, beziffert das Justizministerium nicht.
An anderer Stelle hingegen ist der Gesetzentwurf erstaunlich unbürokratisch. Die Schlichter müssen gerade einmal über "allgemeine Rechtskenntnisse" verfügen und das geltende Recht "berücksichtigen". Das ist für die Leitung eines Verfahrens zur Lösung rechtlicher Konflikte herzlich wenig und gleichzeitig reichlich diffus. Der Verdacht liegt nahe, dass die Schlichtersprüche mit dem materiellen Verbraucherrecht wenig zu tun haben werden. Zwar ist der Vorschlag eines Schlichters nicht rechtlich bindend, faktisch aber wird kaum ein Verbraucher noch vor Gericht ziehen, wenn seine Beschwerde abgewiesen wurde.
Aus der Warte des Verbraucherschutzes gibt das Grund zur Sorge. Glaubt der Gesetzgeber etwa, für Verbraucher genüge eine oberflächliche Rechtsanwendung? In Großbritannien hat man in den vergangenen Jahren eben diesen Weg eingeschlagen. Um Verbrauchern ein kostengünstiges Verfahren anzubieten und die Gerichte zu entlasten, werden ihre Streitigkeiten dort zunehmend vor privaten Institutionen im Schnellverfahren ausgetragen. In eine ähnliche Richtung gehen auch die Bemühungen deutscher Rechtsschutzversicherer, welche die so genannte Telefonmediation fördern. Das Ganze hinterlässt den Eindruck, die Waage der Iustitia müsse für Verbraucher nicht geeicht sein.
Der Zivilprozess muss sich modernisieren
Der Trend zur Verbraucherschlichtung kommt natürlich nicht von ungefähr. Zwar schneiden die deutschen Zivilgerichte im internationalen Vergleich hervorragend ab, dennoch gibt es hier erheblichen Reformbedarf. Insbesondere die anstehende Umstellung auf den elektronischen Rechtsverkehr bietet dabei aber auch eine große Chance, das Verfahren einfacher zu gestalten, ohne gut begründete Formalien aufzugeben.
Der deutsche Juristentag 2014 hat sich in seiner Abteilung Prozessrecht mit einer Reihe von Reformvorschlägen zu diesem Thema befasst. Unter anderem empfiehlt er dem Gesetzgeber, über verbindliche Regelungen sicherzustellen, dass die Parteien vor Gericht ihren tatsächlichen und rechtlichen Vortrag strukturieren müssen. Kombiniert man dies mit den heute verfügbaren Möglichkeiten zu elektronischer Informationserfassung und -relation, ergibt sich das Bild eines Zivilverfahrens, in dem Verbraucher ihre geringwertigen Forderungen zukünftig deutlich einfacher durchsetzen können als heute.
Daneben bleibt durchaus Platz für die außergerichtliche Beilegung ihrer Streitigkeiten. Die Schlichtungsstellen sollten den Verbrauchern allerdings nicht als moderne Alternative zur Ziviljustiz verkauft werden – denn das Kleid der Iustitia steht ihnen nicht. Lieber sollten sie im eigenen Gewand auftreten und für die Schlichtung als das Verfahren werben, das sie tatsächlich ist: Eine Selbstkontrolle imagebewusster Unternehmen.
Der Autor Dr. Martin Engel ist Habilitand an der Juristischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er befasst sich in seinem Habilitationsvorhaben mit der Durchsetzung materieller Verbraucherrechte.
Dr. Martin Engel, Entwurf für ein Verbraucherstreitbeilegungsgesetz: Privatjustiz mit Seitenblick aufs Recht . In: Legal Tribune Online, 04.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14010/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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