Bundesjustizminister Buschmann (FDP) will den Straftatbestand der Unfallflucht entschärfen. Solange kein Personenschaden entsteht, sollen Verursacher einen Unfall melden, machen sich aber nicht strafbar, wenn sie nicht am Unfallort warten.
Die Ampel-Koalition hat sich bekanntlich vorgenommen, das Strafrecht von aus ihrer Sicht überflüssigen Straftatbeständen zu befreien. Das FDP-geführte Ministerium will dabei nun als erstes offenbar den Autofahrern entgegenkommen. Profitieren von Buschmanns Plänen demnächst auch rücksichtslose Fahrer, die mal hier oder da den ein oder anderen Unfall verursachen?
Eine Reform der in § 142 Strafgesetzbuch (StGB) geregelten Unfallflucht ("Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort") wird unter Verkehrsrechtlern bereits seit Jahren diskutiert. Nach der Vorschrift macht sich auch derjenige strafbar, der auch nur den kleinsten Lackschaden an einem anderen Fahrzeug verursacht und dann nicht angemessen lange genug wartet.
Auf dem 56. Verkehrsgerichtstag im Jahr 2018 sprachen sich die Experten grundsätzlich dafür aus, dass Unfallflucht auch bei Blechschäden strafbar bleiben soll. Eine zusätzliche Entziehung der Fahrerlaubnis solle es aber nur noch geben, wenn Personen- oder Sachschaden ab 10.000 Euro entstanden ist. Zudem solle der Gesetzgeber präzisieren, wie lange man am Unfallort warten muss, wenn man einen Schaden telefonisch gemeldet hat.
Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat vor diesem Hintergrund am 12. April eine Vielzahl von Verbänden und die Landesjustizverwaltungen angeschrieben und diese um Stellungnahme gebeten. Ein "Eckpunktepapier", wie diverse Medien unter Verweis auf das Redaktionsnetzwerk Deutschland zunächst berichtet hatten, gibt es nach Auskunft einer Ministeriumssprecherin gegenüber LTO nicht.
Strafbarkeit nach § 142 StGB künftig nur bei Personenschäden
Aus dem Schreiben an die Länder und Verbände, das LTO vorliegt, geht allerdings hervor, dass § 142 StGB künftig auf Unfallfluchten mit Personenschäden beschränkt werden soll. "Durch die Herabstufung der Unfallflucht nach reinen Sachschäden zur Ordnungswidrig würde einer undifferenzierten Kriminalisierung des Unfallverursachers entgegengewirkt", heißt es in dem Schreiben.
Laut BMJ bestehen in der Praxis erhebliche Unklarheiten und Abweichungen bei der Auslegung der Strafvorschrift. In der Tat sind Autofahrer immer wieder ratlos sind, wie sie sich nach kleinsten Blechschäden korrekt verhalten sollen. Wie lange muss ggf. auf den anderen Fahrer gewartet werden? Muss sofort die Polizei informiert werden und dann auf diese gewartet werden?
Das BMJ ist daher der Auffassung, dass diese "unsichere Rechtslage" besonders für juristische Laien misslich sei, zumal sich Unfallbeteiligte nach einem Verkehrsunfall oft in einem Ausnahmezustand befänden. Es stelle sich die Frage, ob der Gesetzgeber es immer noch für angemessen hält, dass ein Kriminalstrafverfahren bei Vorgängen mit reinen und unbeabsichtigten Sachschäden einzuleiten ist.
Beitrag zur Rechtssicherheit?
Geht es nach Marco Buschmann, dürfte die Antwort des Gesetzgebers auf seine Frage auf der Hand liegen: "Nein." In seinem Brief an die Verbände verweist Buschmann dabei auf den Ausnahmecharakter des geltenden § 142 StGB. Der stelle schon jetzt eine Durchbrechung des Prinzips der Straflosigkeit der Selbstbegünstigung dar. Begrenze man nunmehr den Straftatbestand auf Personenschäden, würde der deutlich höhere Unrechtsgehalt einer solchen Tat künftig betont werden.
Dafür spreche ein Blick ins Ausland: "Auch in einigen anderen europäischen Ländern wird für das Verhalten nach Unfällen ebenso wie in Artikel 31 des Wiener Übereinkommens über den Straßenverkehr (vom 8. November 1968) danach differenziert, ob ein Unfall mit Personenschaden oder ein solcher mit Sachschaden vorliegt." Um welche Länder es sich handelt, erwähnt das BMJ nicht.
Weiter betont das Ministerium, dass eine Reform der Rechtssicherheit diene: Die Frage, welche Wartezeit nach einem Unfall mit Sachschaden angemessen sei, "dürfte im Strafrecht dann "nahezu keine Relevanz mehr haben". Bei Unfällen mit Verletzten sei die Sache eh klar: "Im Falle eines Unfalls mit Personenschaden erfordern die Beweissicherungsinteressen des körperlich Geschädigten stets am Unfallort bis zum Eintreffen feststellungsbereiter Personen zu verbleiben und sich als Unfallbeteiligter zu erkennen zu geben", heißt es.
Alternative: Bußgeldbewährte Meldepflicht
Ohne jegliche Sanktionen davon kommen sollen Unfallflüchtige aber auch bei Sachschäden künftig nicht: "Um dem Beweissicherungsinteresse auch bei reinen Sachschäden ausreichend Rechnung zu tragen und die Hemmschwelle für die Tat weiter aufrechtzuerhalten", schwebt dem BMJ eine Ahndung als Ordnungswidrigkeit vor. Unfallverursacher sollen verpflichtet werden, den Sachschaden zu melden:
"Für einen solchen Bußgeldtatbestand erscheint allerdings zukünftig die Statuierung einer allgemeinen Meldepflicht (und Meldestelle) als Alternative zu einer ausschließlichen Wartepflicht zeitgemäßer und überlegenswert. Denkbar wäre etwa eine Meldung über eine standardisierte Online-Maske, ggf. auch mit hochzuladenden Bildern vom Unfallort und Schaden, oder eine, am geschädigten Fahrzeug zu fixierende, Schadensmeldung, bei deren ordnungsgemäßer Vornahme keine tatbestandsmäßige Handlung vorläge."
Grundsätzlich in den Blick nehmen will das BMJ im Zusammenhang mit den rechtlichen Überlegungen zum unerlaubten Entfernen vom Unfallort auch den persönlichen Strafaufhebungs- oder Strafmilderungsgrund der tätigen Reue. Hier werde, so das BMJ, bereits "seit Längerem" eine bessere Verständlichkeit und eine Reform verlangt. Der Verkehrsgerichtstag hatte diese 2018 ebenfalls gefordert.
Sympathie für Reform bei den Anwälten
Apropos "seit Längerem": Reformbestrebungen beim § 142 StGB werden bereits seit vielen Jahren heiß diskutiert. Verbände reagierten bisher im Wesentlichen zugunsten einer Entkriminalisierung bei Bagatellunfällen: "Wer unverzüglich den Unfall bei der Polizei anzeigt, alle relevanten Daten zur Verfügung stellt und sich dann nach einem leichten Schadensfall entfernt, sollte nicht unbedingt bestraft werden müssen", vertritt etwa die Polizeigewerkschaft GdP. Eine Einstufung als Ordnungswidrigkeit reiche aus.
Auch der Deutsche Anwaltverein sympathisiert mit Buschmanns Plänen: Rechtsanwalt Christian Janeczek, Mitglied des DAV-Ausschusses Verkehrsrecht, erklärte auf LTO-Anfrage: "Eine Reform des §142 StGB ist zwingend erforderlich." Schutzzweck der Vorschrift sei weder die bessere Strafverfolgung noch der Erhöhung der Verkehrssicherheit. Die Strafandrohung diene allein dem Schutz zivilrechtlicher Ansprüche der Geschädigten. "Zivilrechtliche Ansprüche untereinander mit der 'Keule des Strafrechts' zu sichern, erscheint allerdings nur in Extremfällen sinnvoll – etwa, wenn es um erhebliche Personenschäden geht. Das Nachtatverhalten sollte bei reinen Sachschäden nicht mehr strafrechtlich, sondern lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet werden", so Janeczek.
Änderungsbedarf sieht der DAV auch bei der tätigen Reue: "Diese sollte in allen Konstellationen der Unfallflucht gelten und als echter Rücktritt von der Tat (Wegfall des Tatbestands) gewertet werden. Anstelle der teils willkürlichen Zeiträume bei der Wartefrist sollte man eine einheitliche Meldestelle einrichten, wo Unfallbeteiligte den Unfall melden und ihre Personalien hinterlassen können", sagte Janeczek.
Verhaltene Reaktionen bei Grünen und SPD
Während die Verbände Buschmanns Pläne bis Ende Mai wahrscheinlich wohlwollend kommentieren werden, kommen vom grünen Koalitionspartner zumindest Vorbehalte: "Ich finde es ja tatsächlich bemerkenswert, dass die FDP das Beschädigen von Autos entkriminalisieren will, und bin auf die Debatten gespannt", bemerkte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen Bundestagsfraktion Konstantin von Notz auf Twitter. Er gehe davon aus, dass auch die Versicherungswirtschaft "sehr kritisch drauf schauen wird, denn die Selbstanzeigepflicht Fahrerflucht ist ein juristisches Konstrukt, um die Verfolgung der Sachbeschädigung am Eigentum PKW zu verbessern".
Von Notz' Fraktionskollegin, Rechtspolitikerin Canan Bayram äußerte gegenüber LTO ebenfalls verhalten Kritik: "Ich bin überrascht und zweifle an der Ernsthaftigkeit des Vorschlags des Justizministers."
Eher nüchtern reagierte auch die SPD-Bundestagsfraktion auf die Pläne Buschmanns: "Die Modernisierung des Strafrechts ist ein wichtiges Projekt der Ampelkoalition. Wir werden daher die Vorschläge des Bundesjustizministers zur Überarbeitung des Strafrechts auch im Bereich Verkehr offen diskutieren", so die rechtspolitische Sprecherin, Sonja Eichwede.
Unterdessen dürfte eine vertiefte Diskussion innerhalb der Ampel über das Thema Unfallflucht erst in einigen Wochen beginnen. Denn zunächst wird das BMJ wohl die Stellungnahmen der Verbände und Länder auswerten. Diese wurden bis zum 23. Mai um Bewertung gebeten.
Ein erster Gesetzentwurf zur Entkriminalisierung der Unfallflucht liegt jedenfalls noch in sehr weiter Ferne.
Pläne des BMJ zur Reform des § 142 StGB: . In: Legal Tribune Online, 25.04.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51626 (abgerufen am: 11.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag