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14053

Abbildung von Verbrechensopfern: Wie die Medien Tuğçe zum zweiten Mal opfern

von Markus Kompa

09.12.2014

Weiße Rose

Foto: racamani - Fotolia.com

Das Schicksal von Tuğçe Albayrak bewegt und empört die Nation. Selbst öffentlich-rechtliche Medien publizieren private Fotos aus den glücklichen Tagen der getöteten Studentin, nicht nur die Bild-Zeitung feiert sie als Heldin. Dabei veröffentlichte das Boulevard-Blatt sogar ein Überwachungsvideo vom Tathergang. Das verstößt nicht nur gegen den Pressekodex, meint Markus Kompa.

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Private Fotos von der Facebook-Pinnwand

Die ganze Nation kennt Tuğçe und ihr in die Kamera lächelndes Gesicht, seit die Studentin vor einer McDonald's-Filiale in Offenbach von einem Jugendlichen so brutal zusammen geschlagen worden sein soll, dass sie an ihren Verletzungen verstarb. Zuvor soll die 22-jährige versucht haben, zwei vom mutmaßlichen Täter belästigten Mädchen zu helfen.

Die Bildberichterstattung über erkennbare Personen bedarf grundsätzlich der Einwilligung des Abgebildeten. Dies ist als Sonderpersönlichkeitsrecht eigens in § 22 Kunsturheberrechtsgesetz (KUG) geregelt.

Einem unwidersprochen gebliebenen Bericht von BILDblog zufolge haben sich Medien bei ihrer Berichterstattung über die Lehramtsstudentin jedoch eigenmächtig aus Facebook bedient. Dort hatte Tuğçe die Bilder vermutlich selbst eingestellt und damit insoweit in die Veröffentlichung eingewilligt.

Presseorgane können daraus jedoch keine Abdruckrechte herleiten. Zwar lassen sich Social-Media-Dienste in ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen umfassende Nutzungsrechte an eingestellten Inhalten einräumen, die häufig auch das Recht zur Weiterlizenzierung gegenüber Dritten beinhalten. Derartig weitreichende Konstruktionen sind jedoch mit dem deutschem Urheber- und Persönlichkeitsrecht regelmäßig nicht vereinbar, da der Betreffende sich über die Reichweite der Rechtseinräumung nicht bewusst ist.

§ 22 KUG sieht bei Verstorbenen den Übergang der Zuständigkeit für die Einwilligung für einen Zeitraum von 10 Jahren auf die Angehörigen vor.

Porträt-Bilder: Zeitgeschichtliches Interesse der Öffentlichkeit?

Und dennoch dürfte die Abbildung etwa der diversen nun bekannten Portraitfotos auch ohne die Einwilligung von Tuğçes Familie zulässig sein. Ausnahmsweise ist eine Einwilligung des Abgebildeten entbehrlich, wenn über ein zeitgeschichtliches Ereignis berichtet wird und das Berichtsinteresse der Öffentlichkeit die berechtigten Interessen des Abgebildeten überwiegt. Zulässig ist in solchen Fällen insbesondere auch die Illustration mit einem Portraitfoto der Person, soweit dies nicht in Bezug auf das berichtete Ereignis verfälschend wirkt.

Die zuvor unbekannte Tuğçe Albayrak wird nicht schon durch die Gewalttat zur sogenannten Person der Zeitgeschichte, über welche berichtet werden darf. Auch Opfer spektakulärer Straftaten und Unglücksfälle stehen unter dem Schutz des Persönlichkeitsrechts, da sie sich nicht freiwillig in die Öffentlichkeit begeben haben.

Ein hohes Interesse der Öffentlichkeit, welches das Persönlichkeitsrecht überwiegen kann, können allerdings intensive Reaktionen in der Bevölkerung begründen. Der Name "Tuğçe" ist inzwischen praktisch jedem in Deutschland ein Begriff. Es spricht viel dafür, dass die Öffentlichkeit ein legitimes Interesse - auch an Bildberichten - über die Frau hat, welche dieser Tage als Symbolfigur für Zivilcourage steht und breite Verehrung erfährt.

Der Mut der 22-jährigen erfuhr während der beiden Wochen ihres dramatischen Todeskampfes in vielfacher Hinsicht weitreichenden Respekt. Die tiefe Betroffenheit vieler Menschen, Mahnwachen und Kundgebungen waren auch in ausländischen Medien Thema. Der Bundespräsident prüft derzeit auf Vorschlag des hessischen Ministerpräsidenten die posthume Verleihung des Bundesverdienstkreuzes.

Eine Einstufung als zeitgeschichtliches Ereignis entbindet jedoch nicht vom Urheber- bzw. Leistungsschutzrecht der jeweiligen Fotografen. Wer auch immer die Fotos gemacht hat, die Tuğçe auf ihrer Facebook-Pinnwand veröffentlicht hat, könnte also  Unterlassung und eine Vergütung wegen eigenmächtiger Nutzung der Bilder verlangen.

Das Überwachungsvideo und wie eine Zeitung damit Geld verdienen will

2/2: Überwachungsvideo: Kein Anspruch, das Leiden zu sehen

Die größte deutsche Boulevardzeitung aber ging noch weiter. Bild veröffentlichte zunächst ein Protokoll, dann einen Zusammenschnitt eines Überwachungsvideos, das die Gewalttat wiedergibt. Mit dem Video verstößt der Verlag gegen das Persönlichkeitsrecht der Lehramtsstudentin, deren Angehörige daher Unterlassung verlangen könnten.

Zwar mag der gesellschaftliche Umgang mit dem Drama ein zeitgeschichtliches Ereignis sein. Im Zeitpunkt der Aufnahme aber war die Abgebildete, die später den Verletzungen erlag, vollkommen unbekannt. Das Sterben eines Menschen ist zudem ein denkbar privater Moment, geschützt von der in Artikel 1 des Grundgesetzes garantierten Menschenwürdegarantie. Anders als auf die Porträtfotos von einer couragierten jungen Frau zu ihren Lebzeiten hat die Öffentlichkeit grundsätzlich keinen Anspruch darauf, sich das Leiden eines Todesopfers anzusehen.

Ob das Video einen für die Öffentlichkeit relevanten Informationswert haben könnte, welcher seine Publikation rechtfertigen könnte, kann der Autor dieser Zeilen nicht final beurteilen. Aus Respekt vor Tuğçe ist er nicht bereit, sich das Band anzusehen.

Es ist aber kaum vorstellbar, dass die Öffentlichkeit dieses Video kennen müsste. Nach dem aktuell öffentlich bekannten Sachstand gibt es kaum Zweifel an der Täterschaft des in Untersuchungshaft sitzenden Verdächtigen. Diese Prüfung obliegt zudem primär den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten, nicht der Öffentlichkeit.

Strafrechtliche Folgen und finanzielle Ansprüche

Die Staatsanwaltschaft Offenbach ermittelt nach Medieninformationen gegen Unbekannt,  Das Band ist als Beweismaterial Bestandteil von strafrechtlichen Ermittlungsakten, so dass eine Veröffentlichung vor dem Prozess nach § 353d StGB strafbar ist. Das Presseprivileg aus § 193 StGB greift nicht, da insoweit keine "berechtigten Interessen" wahrgenommen werden.

Soweit Ermittlungsbeamte oder sonstige Amtsträger das Video an BILD verkauft haben, dürften sie sich der Verletzung von Dienstgeheimnissen und wegen Bestechlichkeit strafbar gemacht haben.

Eine im Presserecht übliche Geldentschädigung ("Schmerzensgeld") zur Kompensation schwerwiegender Verletzungen des Persönlichkeitsrechts würde Tuğçes Verwandten nicht zustehen. Ein solcher Anspruch ist höchstpersönlicher Natur und daher mit dem Tod der Studentin erloschen.

Sogenannte vermögenswerte Bestandteile des Persönlichkeitsrechts hingegen können auf die Erben übergehen. So besteht ein Anspruch auf Bereicherungsausgleich dann, wenn ein Persönlichkeitsrecht etwa zu Werbezwecken ausgebeutet wird. Mit dem Video hat die BILD-Zeitung immerhin ganz konkret Geld verdient, indem sie zunächst das Protokoll des Videobandes auf ihrer Webseite nur ankündigte, aber hinter eine Paywall legte. Nur diejenigen Leser, die bereit waren, dafür zu bezahlen, sollten den Beginn von Tuğçes Todeskampf sehen dürfen. Mittlerweile ist das Video frei verfügbar.

Allerdings ist ein persönlichkeitsrechtlicher Bereicherungsausgleich für eine im Grundsatz pressemäßige Nutzung zweifelhaft. Ob sich ein Verlag allgemein finanziert, oder ob er sich zynisch am Tod der Frau eigens mit einer Paywall bereichert, macht insoweit keinen Unterschied.

Ein klarer Verstoß gegen den Pressekodex

"Einen klaren Verstoß gegen den Pressekodex" sieht der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes Michael Konken in der Veröffentlichung des Films, die der Verband als respektlos verurteilte.

Schließt sich der Deutsche Presserat dieser zutreffenden Bewertung an, hat der Verlag mit einer Missbilligung oder einer Rüge zu rechnen, die er möglicherweise in der Bild- Zeitung veröffentlichen muss.

Die Identität von Opfern von Straftaten und Unglücksfällen ist nach dem Pressekodex grundsätzlich unerheblich, das Veröffentlichen ihrer  Namen und Fotos erfordert die Zustimmung der Angehörigen. Gerade über sterbende Menschen soll nicht in einer Art und Weise berichtet werden, die über das öffentliche Interesse und das Informationsinteresse der Leser hinausgeht. Ziffer 11.3 des Pressekodex lautet am Ende: "Die vom Unglück Betroffenen dürfen grundsätzlich durch die Darstellung nicht ein zweites Mal zu Opfern werden."

Der Autor Markus Kompa ist auf Urheber- und Medienrecht spezialisierter Rechtsanwalt.

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Markus Kompa, Abbildung von Verbrechensopfern: Wie die Medien Tuğçe zum zweiten Mal opfern . In: Legal Tribune Online, 09.12.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14053/ (abgerufen am: 07.12.2023 )

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