Gegen die Löschung seines Facebook-Postings kann man klagen. Das ist nicht so gut, wie es im ersten Moment klingt, findet Hanno Magnus. Der Anspruch brauche Grenzen.
Seit der Einführung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) wird über Overblocking, also die unerwünschte Sperrung rechtmäßiger Kommentare, geredet. Und tatsächlich haben inzwischen schon viele ihrem Ärger darüber Luft gemacht, dass ein Beitrag in sozialen Netzwerken ohne rechten Grund gelöscht worden sei. Zuletzt sorgte der weitgehend misslungene Versuch von Twitter, Manipulationen vor der Europawahl zu bekämpfen, für Kritik – gemischt mit Kopfschütteln und Belustigung. Und wie fast immer gilt: wenn sich viele ärgern, finden sich einige, die klagen.
Eine Vielzahl von veröffentlichten Urteilen zum Anspruch auf Wiederherstellung von Nutzerkommentaren zeugt davon, dass diese Konstellation inzwischen die Praxis beschäftigt. Doch bei aller Freude für die Opfer von Overblocking – der Anspruch auf Wiederherstellung birgt auch Gefahren. Zu weit verstanden nimmt er die Plattformen in eine Zange und kann die Chance auf einen zivileren Umgang im Internet unmöglich machen.
Herleitung aus dem allgemeinen Schuldrecht
Dogmatisch ist die Konstellation in den Grundzügen klar: Zwischen Nutzer und Plattform wird ein Vertrag geschlossen, welcher den Plattformbetreiber verpflichtet, es dem Nutzer zu ermöglichen, eigene Inhalte auf dieser einzustellen. Löscht der Betreiber diese Inhalte, könnte er eine Vertragspflicht verletzen. Der Nutzer hätte dann einen Anspruch auf Wiederherstellung des Inhalts.
Regelmäßig behält sich der Plattformbetreiber in seinen Richtlinien aber vor, bestimmte Nutzerinhalte zu löschen. Diese Richtlinien werden von den Gerichten als Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB) aufgefasst. Will der Nutzer also einen Beitrag wiederherstellen lassen, muss er entweder beweisen, dass die AGB unwirksam sind oder dass er überhaupt nicht gegen sie verstoßen hat.
Wie weit geht es?
Welche Äußerungen ein Plattformbetreiber untersagen darf, ist in der Justiz aber noch umstritten. Bei der AGB-Kontrolle ziehen die Gerichte zwar einheitlich das Grundrecht auf Meinungsfreiheit im Wege der mittelbaren Drittwirkung heran. Ein in der vergangenen Woche ergangener Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 22.05.19, Az. 1 BvQ 42/19) bestätigt sie darin.
Nach Ansicht einzelner Gerichte darf Facebook aber daher grundsätzlich keine strengere Löschpolitik haben als die Gerichte selbst. Zum Teil werden dazu die für den umgekehrten Fall – Betroffener klagt auf Löschung einer ihn verletzenden Äußerung – entwickelten Maßstäbe auf die Konstellation beim Wiederherstellungsanspruch übertragen. Darüberhinausgehende AGB, etwa das Verbot von Hassrede, werden grundrechtskonform eingeschränkt.
Das wird vor allem unter Hinweis auf die "marktbeherrschende Stellung" (OLG Stuttgart, Beschl. v. 06.09.2018, Az. 4 W 63/18.) oder gar eine "Quasi-Monopolstellung" (LG Bamberg, Urt. v. 18.10.2018, Az. 2 O 248/18) von Facebook vertreten. Die Logik: Wer eine solche Macht über die öffentliche Meinungsäußerung hat, muss sich ebenso wie der Staat am Grundrecht auf Meinungsfreiheit messen lassen.
Spielraum für Overblocking
Rechtlich zwingend ist das nicht. Das leuchtet schon im Hinblick auf die Einschränkung für die Meinungsäußerung ein: Während ein Gericht die Äußerung als solche untersagt und ihre Wiederholung mit Ordnungsmitteln belegt, kann eine Plattform wie Facebook die Äußerung nicht generell unterbinden oder gar sanktionieren. Mehr als "nicht bei uns" kann sie in Bezug auf eine Äußerung nicht entscheiden. Es lässt sich also argumentieren, dass die Bedeutung einer Löschung durch eine Plattform an diejenige einer staatlichen Unterlassungsverfügung nicht heranreicht.
Gleichwohl sieht die strenge Sichtweise zunächst wie die Paradelösung für das Overblocking-Problem aus. Plattformen könnten beim Löschen nicht mehr auf Nummer sicher gehen: Löschen sie rechtswidrige Inhalte nicht, können sie als Störer zivilrechtlich in Anspruch genommen und unter den Voraussetzungen des NetzDG mit Bußgeldern belegt werden. Löschen sie hingegen einen Inhalt, der von der Meinungsfreiheit gedeckt ist, greift der Anspruch auf Wiederherstellung.
Derart in die Zange genommen, könnten Plattformen einer gerichtlichen Inanspruchnahme nur entgehen, indem sie stets die von den Gerichten als richtig angenommene Interessenabwägung vorwegnähmen. Im komplexen Grenzbereich zwischen rechtswidrigen und gerade noch von der Meinungsfreiheit gedeckten Äußerungen ist dies – sogar unter Einsatz unbegrenzter Ressourcen – nicht zu leisten. Das spricht dafür, zumindest in diesem Grenzbereich auch marktmächtigen Plattformen einen Spielraum zu lassen.
Dürfen Plattformen auch Etikette vorschreiben?
Jenseits dessen stellt sich die Frage, ob Plattformen an die Nutzerbeiträge neben der Rechtmäßigkeit zusätzliche Anforderungen stellen dürfen. Dies könnten zum Beispiel solche im Hinblick auf Stil oder gar gemeinsame Werte sein.
So könnte eine Nachrichtenseite wie Zeit Online, deren Moderationspraxis oft gelobt wird, diese nicht unverändert fortsetzen, wenn sämtliche Beiträge, die nicht im Grenzbereich zur Rechtswidrigkeit sind, auf der Seite verbleiben müssten. Tatsächlich greift die Moderation dort schon bei niedrigeren Schwellen ein – etwa bei unsachlichen Beiträgen, solchen ohne Themenbezug oder Belege.
Dies ist sicher auch der Erkenntnis geschuldet, dass es möglich ist, Diskussionen entgleisen zu lassen, ohne auch nur an den Rand der Meinungsfreiheit zu gelangen. Manche Diskussionsstrategien simulieren ein Interesse an echter Diskussion, sollen aber eigentlich nur die Zeit von Antwortenden verschwenden. Gerade bei umstrittenen Themen koordinieren sich einzelne Nutzer sogar, um mit ihrer Meinung die Hoheit in einem Kommentarbereich zu erringen und Andersdenkende von dort zu vertreiben.
Es ist zwar nicht unbedingt zu erwarten, dass Plattformen wie Facebook und Twitter – deren Diskussionen unter den gleichen Problemen leiden – sich in nächster Zeit ein Beispiel an der strengeren Moderationspraxis deutscher Nachrichtenseiten nehmen werden. Ausgeschlossen ist es aber auch nicht: die andauernden, ermüdenden Diskussionen mit wildfremden Menschen könnten vielen den Spaß an Social Media verleiden und ein wichtiger Faktor für den Rückzug in privatere virtuelle Räume werden, was sich mittelfristig auf die Geschäftsmodelle der Plattformen auswirken würde. Wenn diese sich dann zu echter Moderation aufraffen, sollten sie nicht von deutschen Gerichten zurückgepfiffen werden.
Hanno Magnus ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Recht und Technik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Dieser Artikel entstand während der Vorbereitung auf einen Beitrag zur Tagung GRUR Junge Wissenschaft am 21./22. Juni 2019 in Leipzig.
Der Anspruch auf Wiederherstellung von Nutzerbeiträgen: . In: Legal Tribune Online, 28.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35633 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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