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Gegenseitige Anerkennung im Strafrecht: Am Ende der Sack­gasse

von Prof. Dr. Marco Mansdörfer

23.03.2017

Europa

© Alex_Mac - Fotolia.com

Nach einer am Mittwoch verabschiedeten Reform sollen Ermittlungsanordnungen europäischer Justizbehörden künftig auch in anderen Mitgliedstaaten gelten. Warum das nur ein scheinbarer Fortschritt ist, weiß Marco Mansdörfer.

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Am 22. März 2017 wurde der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung im Europäischen Strafrecht begraben. Das Grab findet sich im Vierten Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) bzw. in  der Europäischen Richtlinie zur sog. Europäischen Ermittlungsanordnung (Richtlinie 2014/41/EU).

Die Europäische Ermittlungsanordnung soll die grenzüberschreitende Beweiserhebung regeln und ist nunmehr in den §§ 91a – 91j IRG normiert. Danach kann jede zuständige (Justiz)Behörde des Anordnungsstaates auf einem entsprechenden Formblatt eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) ausstellen. Die Behörden im Vollstreckungsstaat müssen die EEA innerhalb der Fristen des § 91g IRG anerkennen und vollstrecken. Die Vollstreckung erfolgt in derselben Art und Weise, als wenn die Ermittlungsmaßnahme von der zuständigen Stelle des Vollstreckungsstaates angeordnet worden wäre.

Bundesrat erwartet trotz Reform "nur geringfügige Änderungen"

Der Bundesrat geht dabei davon aus, dass sich "in der rechtshilferechtlichen Praxis nur geringfügige Änderungen gegenüber den bisherigen Verfahren ergeben" werden (BR-Drs. 421/16 S. 2). Das mag auf den ersten Blick erstaunen. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung, auf dem die EEA beruht, sollte als zentraler Baustein des Europäischen Strafverfahrensrechts viel vereinfachen, beschleunigen und effektivieren. Er sollte das aus kultureller Vielfalt geborene Misstrauen gegenüber fremden Strafverfahren "gleichsam mit einem normativen Schlag durch gegenseitiges Vertrauen ersetzen" (Gaede, in: Böse, Europäisches Strafrecht, 2013, § 3 Rn. 48). Wenn die EEA jetzt nur zu geringfügigen Änderungen gegenüber der bisherigen Praxis führt, dann muss etwas schief gelaufen sein.

Was sind die Gründe für dieses Scheitern? Tatsächlich ist das Europäische Strafverfahrensrecht von Beginn an ziemlich auf Sand gebaut worden: Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung wurde aus dem Recht des EG-Binnenmarktes entliehen. Dort hat der Grundsatz die Freiheiten der Bürger erweitert, hier sollte er aber umgekehrt zur Einschränkung von Beschuldigtenrechte verwendet werden. Die Beschuldigtenrechte wurden in der Europäischen Union von Beginn an nur als "Mindestrechte" gedacht – und selbst die wurden nur sehr zögerlich angeglichen.

Die Nationalstaaten haben angesichts derart geringer Gemeinsamkeiten in der Zwischenzeit doch wieder Bauchschmerzen bekommen. Bei der Einigung auf die Richtlinie zur EEA mussten eine Menge Kompromisse geschlossen werden. Die Richtlinie lässt nun eine recht weitgehende nationalstaatliche Überprüfung der Maßnahme zu – genau so wie im bisherigen Rechtshilferecht. Von einer nahezu umfassenden "Anerkennung", wie sie etwa noch den sog. Europäischen Haftbefehl auszeichnet, kann damit nicht mehr die Rede sein. Der Betroffene kann die Maßnahme also sowohl vor Erlass im ersuchenden Staat als auch später im ersuchten Staats überprüfen lassen. Die im Europäischen Strafrecht damit theoretisch nur als Ausnahme vorgesehene Überprüfung im ersuchten Staat wird damit faktisch wieder zur Regel. Von der gegenseitigen Anerkennung bleibt nicht mehr viel. Im Ergebnis wurde nichts vereinfacht außer ein paar Formalitäten.

Vertrauen lässt sich nicht anordnen

Das ist gut so. Dem Europäischen Strafrecht fehlt es nämlich an Grundlegendem: Die frühzeitige europaweite Koordination der Strafverfahren schon im frühen Ermittlungsstadium wird seit mehr als einem Jahrzehnt angemahnt, aber außer einem von der Wissenschaft auf dem Papier entwickelten sog. Qualitätsprinzip ist nichts geschehen. Den Mitgliedstaaten ist daher so bange geworden, dass die ursprüngliche Idee einer Europäischen Beweisanordnung, mit der europaweit verkehrsfähige Beweise geschaffen werden sollten, fallen gelassen wurde. Mit der EEA wurden jetzt im Grunde nur Förmlichkeiten vereinfacht.

Vertrauen muss wachsen und kann nicht einfach normativ ersetzt werden. Um dieses Vertrauen zu stärken, sind starke rechtsstaatliche Verfahren notwendig. Die Basis sind entsprechende Beschuldigtenrechte, die faktisch Vertrauen in die fremden Verfahren vermitteln. Beweise, die trotz starker Beschuldigtenrechte in einem europäisierten Ermittlungsverfahren, gegebenenfalls unter Aufsicht eines Europäischen Ermittlungsrichters nach französischem Vorbild, gewonnen würden, wären sicher verkehrsfähig. Die Grundlagen für ein derartiges europäisches Ermittlungsverfahren, das seinen Namen verdienen würde, sind aber nie geschaffen worden. Der Aufwand dafür schien zu groß, die Dauer der Vorarbeiten zu lang. Das stimmt. Dieser Weg wäre wahrscheinlich langsamer gewesen; er hätte aber weiter getragen. Jetzt ist man für das Ermittlungsverfahren am Ende angelangt – am Ende einer Sackgasse!

Der Autor Prof. Dr. Marco Mansdörfer ist Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht einschließlich Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht an der Universität des Saarlandes. Zudem ist er als selbstständiger Strafverteidiger mit einem Schwerpunkt auf Wirtschaftsstrafrecht tätig.

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Gegenseitige Anerkennung im Strafrecht: . In: Legal Tribune Online, 23.03.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22457 (abgerufen am: 06.11.2025 )

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