Beim neu gegründeten Staatsschutzsenat in Stuttgart beginnt der erste Prozess. Die politischen und rechtlichen Entwicklungen zeigen, dass die Justiz ihren Beitrag zur Bewältigung des Terrors leisten muss. Warum, erklärt Eike Fesefeldt.
Im Oktober ist am Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart ein neuer Staatsschutzsenat gegründet worden. Ab dem 8. Dezember wird der erste Fall dort verhandelt werden. Es ist der Prozess gegen vier deutsche und libanesische Staatsangehörige, welche die terroristische Vereinigung "Ahrar al-Sham" unterstützt haben sollen. Das Verfahren zeigt, dass die nationale deutsche Justiz als dritte Gewalt in Deutschland neben den inneren und äußeren Sicherheitsbehörden und der Politik ihren Teil zur Bewältigung des internationalen Terrors beitragen und auf die aktuellen Entwicklungen reagieren muss.
Da der Bundesgerichtshof (BGH) ein reines Rechtsmittelgericht ist, sind die höchsten deutschen Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit, die erstinstanzlich verhandeln, die Oberlandesgerichte. Sie üben in Staatsschutzsachen, wie zum Beispiel bei Verfahren zur Verfolgung terroristischer Straftaten, erstinstanzlich die Gerichtsbarkeit des Bundes aus. Angesichts des Syrienkonflikts, insbesondere wegen heimkehrender Kämpfer oder Unterstützer aus Deutschland werden die OLG in naher Zukunft vor immense Herausforderungen gestellt. Entsprechend reagierten bereits einige Länder.
Bereits sechs Anklagen beim Staatsschutzsenat in Düsseldorf
Im Hinblick auf die vielen zu erwartenden Prozesse mit Hintergrund Syrienkonflikt haben im Jahr 2015 drei Landesregierungen (Bayern, NRW und Baden-Württemberg) reagiert und die Gründung neuer Staatsschutzsenate durch Schaffung von Richterstellen möglich gemacht. Besonders in NRW scheint die Gründung des Siebten Staatsschutzsenats am OLG Düsseldorf im August 2015 eine besondere Notwendigkeit gewesen zu sein. So begründete das Gericht, das für alle Staatsschutzsachen in NRW zuständig ist, die Schaffung auch mit dem starken Anstieg von Terrorismusverfahren im Zusammenhang mit dem "Islamischem Staat" (IS).
Tatsächlich sind 2015 bis Ende November bereits sechs Anklagen des Generalbundesanwalt beim OLG Düsseldorf eingegangen, die den Syrienkonflikt zum Hintergrund haben, zudem noch jeweils eine Anklageerhebung mit dem Syrienkonflikt als Hintergrund vor dem OLG München, Kammergericht Berlin, OLG Stuttgart und OLG Celle sowie zwei vor dem OLG Frankfurt a.M.. Und die Ermittlungen sind weiterhin in vollem Gange, was die vielen Haftbefehle zeigen. Das OLG Düsseldorf erwartet angesichts der aktuellen Geschehnisse noch dieses Jahr weitere Anklageerhebungen, weshalb für 2016 die Gründung eines weiteren Staatsschutzsenats angepeilt wird.
Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung
Rechtlich geht es in der Hauptsache um den Tatvorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung nach § 129 Strafgesetzbuch (StGB) oder der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gem. § 129a Abs. 5 i.V.m. § 129b StGB. In der Sache geht es in den Verfahren etwa um die Finanzierung des Terrors, um die Bildung von Netzwerken, Vermittlung und Handel mit Waffen, Ausbildung in Herstellung von Sprengsätzen und natürlich auch die Ausreise nach Syrien, um sich dort aktiv als IS-Kämpfer anzubieten.
Die Gerichte werden aber als größte Herausforderung feststellen müssen, ob eine Gruppe von Menschen, die in einem Land weit weg von der Staatsgewalt der Bundesrepublik operieren, tatsächlich auch eine solche "terroristische Vereinigung" im Sinne von § 129 a StGB ist.
Die grundlegenden Fragen, die sich in der Hauptverhandlung stellen werden sind, welche Ziele die Gruppe verfolgte, wo sie operierte, wie genau die Gruppierung organisiert war, wer sie angeführt hat und ob der Einzelne sich dem Willen der Gesamtheit unterordnete, um die terroristischen Zwecke als Verband zu verfolgen. Hat es wirklich eine feste Organisation mit gegenseitigen Verpflichtungen der Mitglieder gegeben? War diese Organisation derart fest, dass die individuellen Einzelmeinungen zurückgestellt worden sind? Und zuletzt: Wollten sie wirklich Terror verüben, also das kriminelle Ziel verfolgen?
2/2: 130 neue Stellen für Polizei, Justiz und Verfassungsschutz in Baden-Württemberg
Auch das Land Baden-Württemberg hat auf den internationalen Terror reagiert. Im Rahmen eines ersten Antiterrorpakets hat die grün-rote Landesregierung angesichts der Gefahr durch Islamisten im März 2015 130 neue Stellen für Polizei, Justiz und Verfassungsschutz beschlossen. Mit eingeschlossen waren neue Richterstellen am OLG Stuttgart und den Landgerichten (LG) Stuttgart und Karlsruhe, um entsprechende Staatsschutzsenate und -Kammern einzurichten.
Jetzt beginnt am 8. Dezember 2015 der neu geschaffene Dritte Staatsschutzsenat des OLG Stuttgart sein erstes Verfahren. Für Januar 2016 ist zudem eine weitere Anklage mit Hintergrund Syrienkonflikt am OLG Stuttgart angekündigt. Das OLG Stuttgart dürfte in Deutschland zu den dafür prädestiniertesten Gerichten in Deutschland gehören, da es seine Terrorprozesse im Gerichtsgebäude der JVA Stammheim abhalten wird; der Ort, an dem die RAF-Prozesse stattfanden. Die dort vorhandene Infra- und Sicherheitsstruktur ist gerade für derartige Verfahren besonders geeignet.
Die Anklage gegen Unterstützer der Miliz "Ahrar al-Sham"
Auch der Dritte Staatsschutzsenat wird gemäß § 129 a StGB vor der Frage stehen, ob es sich bei der Miliz "Ahrar al-Sham" (zu Deutsch: "Islamische Bewegung der Freien Männer Großsyriens") um eine Terrorvereinigung handelt. Geklärt ist diese Frage bislang nicht höchstrichterlich, da sich die Staatsschutzverfahren vor den anderen OLG auf die Terrormiliz des "Islamischen Staats" konzentrierten. Wie brisant diese Frage im Verfahren werden wird, zeigt schon die entsprechende Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 25. Juni 2015. Darin heißt es, dass die "'Ahrar al-Sham' zumindest bis Mitte 2014 eine der größten und einflussreichsten salafistisch-jihadistischen Gruppierungen der syrischen Aufstandsbewegung gewesen" sei und sie es sich zum Ziel gesetzt habe, "das Regime des syrischen Machthabers Assad zu stürzen und einen allein auf der Scharia gegründeten Gottesstaat zu errichten".
Seit Mitte 2014 ist allerdings im Syrienkonflikt viel passiert, größtenteils zum Negativen: Fronten haben sich verschoben, Allianzen haben sich gebildet und sind wieder zusammengefallen, der Terror hat längst Europa erreicht und Deutschland befindet sich in einem Kriegszustand mit dem "Islamischen Staat". Und während die "Ahrar al-Sham" vormals noch eine Art Bündnispartner des IS war, wurde ihre gesamte Führungsspitze laut Pressemitteilung des Generalbundesanwalts bei einem Anschlag Anfang September 2014 getötet.
Es deutet sich allerdings mittlerweile eine Art Wiedergeburt von "Ahrar al-Sham" an. Die getöteten Anführer und Kommandeure wurden anscheinend ersetzt, die Rebellen schlossen sich mit anderen Gruppierungen zusammen und eroberten bereits mehrere Gebiete. Mittlerweile sieht es sogar danach aus, als gäbe es handfeste Verhandlungen oder fast schon Kooperationen westlicher Staaten mit "Ahrar al-Sham", etwa durch die USA oder die Türkei.
Staatsschutz als aktiver Bestandteil nationaler Strafrechtsrechtspflege
Für das OLG Stuttgart wird es in erster Linie nur relevant sein, ob "Ahrar al-Sham" zum Zeitpunkt der Taten der Angeklagten eine terroristische Vereinigung im Sinne der § 129a i.V.m. § 129b StGB gewesen ist, wenn eine ex ante Betrachtung sicher auch eine indizielle Wirkung mit sich bringt.
Dennoch zeigt diese kurze vorstehende Betrachtung der aktuellen Entwicklungen, vor welche schwierigen juristischen und tatsächlichen Fragestellungen die deutsche Strafrechtspflege durch den internationalen Terrorismus gestellt wird. Genauso wie die Politik, die deutschen Sicherheitsbehörden und die Landesverteidigung wird die deutsche Justiz den internationalen Terror im zunehmenden Maße auf der Agenda haben müssen.
Der Autor Dr. Eike Fesefeldt ist Richter in einer Großen Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Stuttgart.
Neuer Staatsschutzsenat in Stuttgart nimmt Arbeit auf: Terrorverfahren in der JVA Stammheim . In: Legal Tribune Online, 08.12.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17780/ (abgerufen am: 29.11.2023 )
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