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NRW erleichtert Bürgermeister-Abwahl: "Es bleibt eine Her­aus­for­de­rung, Sau­er­land abzu­wählen"

Interview mit Prof. Dr. Frank Bätge

19.05.2011

OB Sauerland

© ddp images / AP

In Nordrhein-Westfalen entscheidet seit Mittwoch nicht mehr allein der Rat darüber, ob gegen einen Bürgermeister ein Abwahlverfahren eingeleitet wird. Im LTO-Interview spricht der Sachverständige im Landtag Prof. Dr. Frank Bätge über das neue Initiativrecht der Bürger und gestiegene Chancen für eine Abwahl des Duisburger OB Sauerland nach der Loveparade-Katastrophe.

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LTO: Herr Professor Bätge, müssen Oberbürgermeister in Nordrhein-Westfalen nach dem am Mittwoch im Landtag beschlossenen Gesetz nun bei jeder unliebsamen politischen Entscheidung damit rechnen, abgewählt zu werden?

Bätge: Davon ist nicht auszugehen. Das Gesetz berücksichtigt, dass die Bürgermeister und Landräte durch die Wahl der Bürger demokratisch legitimiert sind. Sie werden grundsätzlich für sechs Jahre gewählt und können nur ausnahmsweise vor Ablauf der Amtszeit abgewählt  werden. Der Ausnahmecharakter wird durch  eine bestimmte Mindestanzahl von Unterstützern deutlich, die sowohl für die Einleitung des Abwahlverfahrens als auch für die eigentliche Durchführung der Abwahl erforderlich ist.

LTO: Wie genau kann in NRW ein Oberbürgermeister zukünftig abgewählt werden?

Bätge: Um das Abwahlverfahren einzuleiten, müssen - je nach Größe der Gemeinde - 15 bis 20 Prozent aller Wahlberechtigten ein Bürgerbegehren unterschreiben. Wird dieses Quorum erreicht, kommt es zur Durchführung der Abwahl. Der Bürgermeister ist abgewählt, wenn eine Mehrheit sich dafür ausspricht und diese mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten entspricht.

Daneben bleibt es aber auch weiterhin möglich, das Abwahlverfahren durch einen Beschluss des Rates mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Ratsmitglieder einzuleiten.

Nicht nur NRW hat einen "Recall"

LTO: Die CDU hat dem Gesetzentwurf der Linken in NRW nicht zugestimmt, der nun mit den Stimmen der rot-grünen Regierung verabschiedet wurde. Die FDP hat sich enthalten. Sie waren als Sachverständiger im Landtag tätig: Was sind die Argumente gegen das neue Abwahlverfahren?

Bätge: Die Kritiker des Gesetzes führten an, dass vor einer gesetzlichen Ausweitung der Abwahlmöglichkeit ein Gesamtkonzept diskutiert werden müsse, das auch die versorgungsrechtliche Neuordnung und somit die Folgen eines freiwilligen Rücktritts durch einen Bürgermeister beziehungsweise Landrat regelt.

Zudem bemängeln sie, dass alternative Möglichkeiten nicht ausführlicher beleuchtet worden seien. In der Diskussion war beispielsweise ein konstruktives Abwahlverfahren, also die gleichzeitige Neuwahl eines anderen Bewerbers, wenn der Amtsinhaber abgewählt wird.

LTO: Unternimmt Nordrhein-Westfalen mit dem Gesetzentwurf einen Alleingang? Wie verbreitet ist die direkte Beteiligung von Bürgern in der Kommunalpolitik?

Bätge:  Es handelt sich nicht um einen Alleingang. In allen Bundesländern mit Ausnahme von Bayern und Baden-Württemberg besteht die Möglichkeit eines "recall", also der Abwahl des Bürgermeisters durch die Gemeindebürger. In den Ländern mit Abwahlmöglichkeit ist das Abwahlverfahren unterschiedlich gestaltet.

Es gab bereits vor der Neuregelung in NRW einige Bundesländer, die nicht nur die Durchführung der eigentlichen Abwahl in die Hände der Gemeindebürger gelegt, sondern auch die Einleitung des Abwahlverfahrens durch diese ermöglicht haben. So ist es zum Beispiel in Schleswig-Holstein vorgesehen.

Weiterhin hohe Anforderungen – auch für Sauerlands Abwahl

LTO: Auslöser für das nun verabschiedete Gesetz war das Scheitern der Abwahl von Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland nach der Loveparade-Katastrophe. Zwar setzten sich 10.000 Bürger für die Abwahl Sauerlands ein, im Stadtrat kam aber die notwendige Zweidrittelmehrheit im Stadtrat nicht zustande. Wenn Sie eine Prognose wagen: Wird Adolf Sauerland nun abgewählt werden?

Bätge: Die Anforderungen für die Abwahl eines Oberbürgermeisters sind aus den dargestellten rechtlichen Gründen weiterhin hoch. In einer Stadt der Größenordnung von Duisburg müssten zunächst 15 Prozent der Wahlberechtigten einen entsprechenden Antrag auf Einleitung des Abwahlverfahrens unterstützen.

Bei der Durchführung der Abwahl müsste sich dann zum einen die Mehrheit dafür aussprechen. Dann müsste diese Majorität auch noch mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten betragen. Der entscheidende Gesichtspunkt wird also sein, ob es den Initiatoren gelingt, eine solche Anzahl von Bürgern zu mobilisieren.

LTO: Herr Professor Bätge, wir danken Ihnen für dieses Interview.

Prof. Dr. Frank Bätge ist Hochschullehrer an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung sowie Lehrbeauftragter an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer und der NRW School of Governance. Vor allem im Kommunalrecht ist er, wie auch bei der Beratung des „Lex Sauerland“, von Parlamenten als Sachverständiger für Gesetzgebungsvorhaben hinzugezogen worden. Er ist Autor zahlreicher Publikationen zu wahl- und kommunalrechtlichen Fragen.

Das Interview führte Pia Lorenz.

 

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Frank Bätge, NRW erleichtert Bürgermeister-Abwahl: "Es bleibt eine Herausforderung, Sauerland abzuwählen" . In: Legal Tribune Online, 19.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3317/ (abgerufen am: 01.10.2023 )

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