Ein Strafbefehl gegen einen bayerischen Notarzt hat im Internet einen Proteststurm entfacht. Mehr als 160.000 Menschen fordern in einer Online-Petition einen 'Freispruch' für den Mediziner, der wegen Gefährdung des Straßenverkehrs angezeigt worden war. Auf dem Weg zur Rettung eines Kindes soll er mehrere Autos überholt haben. Ob ihm wirklich eine hohe Geldstrafe und ein Fahrverbot drohen, erklärt Adolf Rebler.
Die Petition für den Notarzt fand bis Sonntagnachmittag bereits mehr als 167.000 Unterstützer.Der Mediziner war im vergangenen April von der Rettungsleitstelle Ingolstadt ins gut zehn Kilometer entfernte Karlshuld geschickt worden. Ein zweijähriges Mädchen hatte Schnellkleber verschluckt und drohte zu ersticken. Auf der Fahrt mit Blaulicht und Martinshorn musste der Mediziner mehrere Autos überholen.
Ein Autofahrer zeigte ihn an. Der Arzt bekam einen Strafbefehl über 4.500 Euro wegen Verkehrsgefährdung. Außerdem drohen ihm sechs Monate Fahrverbot. Er sei wegen "Straßenverkehrsgefährdung" angezeigt worden, sagte der Mediziner der Bild-Zeitung. Ein Autofahrer werfe ihm vor, beim Überholen eines rechts abbiegenden Autos zu weit ausgeschert zu sein. Dadurch habe dieser scharf bremsen und ausweichen müssen. "Hier sind Notrechte überschritten worden", sagte der Leitende Oberstaatsanwalt Helmut Walter der Zeitung.
Der 51-Jährige ist sich dagegen keiner Schuld bewusst: "Ich bin im Schnitt 85 km/h gefahren. Die Fahrt war wie jede andere. Ich habe einige Fahrzeuge überholt, andere haben geblinkt, ließen mich vorbei." Er habe sich keineswegs falsch verhalten. "Ich habe das getan, was ich in 5000 Einsätzen vorher auch schon getan habe. Und das kann eigentlich nicht falsch sein. Zumal ich bisher noch nie einen Unfall hatte oder irgendjemanden in Bedrängnis gebracht habe." Regelmäßig absolviere er zudem ein Fahrsicherheitstraining.
Den Strafbefehl des Amtsgerichts Neuburg a.d.Donau will er deshalb nicht akzeptieren, nun kommt es zum Prozess. Inzwischen ist auch die Münchner Generalstaatsanwaltschaft auf den Fall aufmerksam geworden und hat eine Erklärung für den heutigen Montag angekündigt.
Sonderrechtsfahrzeuge und ihre (Sonder-)Rechte
Auch Blaulichtfahrten finden aber nicht im rechtsfreien Raum statt. Nach § 35 Abs. 5a Straßenverkehrsordnung (StVO) sind Fahrzeuge des Rettungsdienstes zwar von den Vorschriften der StVO befreit, wenn "höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden".
Diese Kfz genießen Sonderrechte. Sie können auf Gehwegen oder im Parkverbot halten oder parken, dürfen ein Stoppschild überfahren oder auch ein rote Ampel - wenn niemand anders kommt. Mehr erlaubt die Vorschrift des § 35 StVO nicht.
Will ein Einsatzfahrzeug darüber hinaus "freie Bahn" haben, muss es mit Blaulicht und Martinshorn ausgerüstet und beides muss auch eingeschaltet sein. Blaulicht allein schafft kein Wegerecht, sondern dient nur der Warnung vor Gefahren. Bei Blaulicht plus Martinshorn korrespondiert mit dem des Rettungsfahrzeugs die Pflicht der anderen Verkehrsteilnehmer, freie Bahn zu schaffen (§ 38 Abs. 1 S. 2 StVO), also rechts ran zu fahren oder eine Fahrgasse zu bilden. Dazu muss aber "höchste Eile geboten sein, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwenden, flüchtige Personen zu verfolgen oder bedeutende Sachwerte zu erhalten" (§ 38 Abs. 1 S. 1 StVO).
Welche Fahrzeuge mit Blaulicht und Martinshorn ausgerüstet sein dürfen, ergibt sich aus der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) Unter die "Einsatz- und Kommandofahrzeuge des Rettungsdienstes" im Sinne des § 52 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StVZO fallen auch anerkannte Privatfahrzeuge von Rettungsärzten, die sich bereit erklärt haben, im Alarmierungsfall direkt an den Einsatzort zu fahren.
Wie immer: kein Recht ohne Pflicht
Der Notarzt ist überzeugt, dass er unbescholten davonkommen wird. "Wenn wir unsere Argumente sauber rüberbringen können und der Richter ein vernünftiger Mensch ist - wovon ich ausgehe -, bin ich mir sicher, dass das Ganze letztendlich niedergeschlagen werden muss."
Ganz so einfach dürfte es nicht sein, denn auch ein äußerst vernünftiger Richter muss sich bekanntlich an Gesetze halten. Und die schreiben vor, dass auch die Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden dürfen. Auch sie erlauben es dem Einsatzfahrer nicht, ohne Rücksicht auf andere Verkehrsteilnehmer zu fahren.
So kehrt selbst die Regelung zum blauen Blinklicht in§ 38 StVO, welche anordnet, dass bei Nutzung gemeinsam mit dem Martinshorn alle Verkehrsteilnehmer freie Bahn zu schaffen haben, das Vorfahrtsrecht nicht etwa um. Sie lässt vielmehr die Regelung der Vorfahrt an Kreuzungen unberührt, gestattet also auch nicht ohne weiteres, bei rotem Ampellicht weiterzufahren. Die Vorschrift wandelt allgemeinenen Maßstäbe nur dahingehend ab, dass die anderen Verkehrsteilnehmer auf ihr Vorfahrtsrecht vorübergehend verzichten müssen, wenn sie die besonderen Zeichen bemerkt haben.
Das Rettungsfahrzeug darf, falls die übrigen Verkehrsteilnehmer freie Bahn geschaffen haben, diese dann aber auch in Anspruch nehmen - wenn sich sein Fahrer denn davon überzeugt hat, dass alle anderen Verkehrsteilnehmer ihn wahrgenommen und sich auf seine Absicht eingestellt haben, die Kreuzung vor ihnen zu überqueren (Oberlandesgericht Thüringen, Urt. v. 20.12.2006, Az. 4 U 259/ 05).
Adolf Rebler, Fahrverbot nach Einsatzfahrt: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14632 (abgerufen am: 05.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag