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"Mehmet" beantragt Aussetzung von Haftbefehl: Ausgewiesener Intensivtäter will zur Buchmesse

von Constantin Baron van Lijnden

09.10.2013

Muhlis Ari

"Sie nannten mich Mehmet" - Screenshot: Youtube

Muhlis Ari gelangte um die Jahrtausendwende unter dem Pseudonym "Mehmet" zu fragwürdiger Popularität. Mit über 60 Straftaten vor seinem 14. Geburtstag war er der Inbegriff des jugendlichen Intensivtäters. Es folgten Abschiebung, Rückkehr, erneute Verurteilung und Flucht in die Türkei. Nun will er seine Autobiografie auf der Frankfurter Buchmesse vorstellen – dazu kommen wird es wohl nicht.

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An Muhlis Ari, bekannt geworden als "Mehmet", entzündete sich 1998 eine Debatte um Integration und Ausländerkriminalität. Der Junge hatte zu jener Zeit schon zahlreiche Straftaten verübt – doch nun war er 14 Jahre alt und konnte gerichtlich dafür belangt werden. Wegen einer schweren Attacke auf einen Schüler wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Monaten verurteilt. Absitzen musste er diese jedoch nicht, da er stattdessen in die Türkei abgeschoben wurde, deren Staatsbürgerschaft er innehat.

Diese Entscheidung kassierte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Urt. v. 15.11.2001, Az. 10 B 00.1873), was in der Folge auch vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) bestätigt wurde (Urt. v. 16.07.2002, Az. 1 C 8.02). Ari reiste daraufhin wieder in die Bundesrepublik ein, schlug und bedrohte jedoch seine Eltern und wurde 2005 erneut zu einer Freiheitsstrafe, diesmal von 18 Monaten, verurteilt. Die zunächst noch gewährte Bewährung wurde widerrufen, nachdem er den Nachweis über die zu leistenden Auflagen gefälscht hatte.

Auch in diesem Fall kam es jedoch nicht zur Vollstreckung, da Ari zuvor in die Türkei floh. Die Stadt München verfügte daraufhin nachträglich seine Ausweisung, die mangels Einspruchs bestandskräftig wurde. Damit schien die Angelegenheit erledigt.

Buch als Vorbereitung eines Gnadengesuchs

Ende 2012 trat Ari jedoch mit seinem Wunsch, wenigstens vorübergehend nach Deutschland zurückkehren zu dürfen, an die Behörden heran. "Die Medien bekamen davon Wind, und der bayerische Innenminister Joachim Herrmann äußerte gleich vehement, dass man Herrn Ari 'hier' nicht haben wolle", erinnert sich Burkhard Benecken, der Anwalt des ehemaligen Intensivtäters. Daraufhin sei der Beschluss gefallen, ein Buch zu schreiben, welches die Vergangenheit aufarbeitet und einen Sinneswandel verdeutlicht. Der öffentlichkeitswirksam demonstrierte gute Wille könne einem anschließenden Gnadengesuch womöglich den erforderlichen Rückenwind verschaffen, so die fromme Hoffnung.

Ab Mittwoch soll dieser gute Wille auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert werden – idealerweise natürlich von "Mehmet" höchstpersönlich. Dem stehen in juristischer Hinsicht indes gleich drei Hindernisse im Weg. Erstens bräuchte Ari zur Einreise eine Betretenserlaubnis, zweitens ein Visum, drittens schließlich müsste der Haftbefehl wegen der Tat aus 2005 vorübergehend ausgesetzt werden. Der Frankfurter Ordnungsdezernent Markus Frank fand gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung deutliche Worte zu dem Ansinnen: Ari könne "seine Lesung gerne abhalten, aber im Gefängnis".

Das Visum dürfte wohl noch das geringste der drei Probleme sein. Eine Betretenserlaubnis wird ausgewiesenen Personen nämlich nur in Ausnahmefällen erteilt, die Aussetzung eines Haftbefehls ist mindestens ebenso selten. Gleichwohl schien es zwischenzeitlich so, als hätte Ari einen bedeutenden Etappensieg errungen: Die Ausländerbehörde Frankfurt gewährte ihm eine Betretenserlaubnis. Noch am Folgetag nahm sie diese jedoch zurück. "Man hat uns vorher eine Frist von gerade mal gut zwei Stunden zur Stellungnahme eingeräumt", erinnert sich Benecken. "Einen so kurzen Zeitraum habe ich in meiner Anwaltskarriere bislang noch nicht erlebt. Offenbar wurde man dort in Folge der medialen Aufmerksamkeit nervös."

Aussetzung und Betretenserlaubnis nur in Ausnahmefällen

Gegen die Entscheidung der Ausländerbehörde klagt Ari nun vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt. Auf einen Eilantrag hat sein Anwalt verzichtet, weil sich auch an der anderen Front, der Aussetzung des Haftbefehls, kein Erfolg abzeichnete. "Seitens des AG München hieß es am Freitag, dass keine durchgreifenden Gründe für die Aussetzung des Haftbefehls ersichtlich seien. Dann machte auch ein Eilantrag in Frankfurt keinen Sinn mehr. Die Klage dort werden wir allerdings in eine Fortsetzungsfeststellungsklage umwandeln."

Man kann das Vorhaben also zumindest bis auf Weiteres als gescheitert bezeichnen. Den Bremer Strafverteidiger Helmut Pollähne überrascht das nicht. "Haftbefehle werden nur in seltenen Ausnahmefällen ausgesetzt, und dann meist gegen Auflagen, so zum Beispiel, dass der Täter sich täglich bei der Polizei melden muss." Hier sei die Situation jedoch eine andere: Ari wolle nach der Buchmesse ja wieder ausreisen und sich der Strafvollstreckung ausdrücklich nicht stellen. Eine Aussetzung nach § 116 Strafprozessordnung komme dann jedenfalls nicht in Betracht. Zwar sei es auch bei einem Vollstreckungshaftbefehl nach einer Ausweisung mitunter möglich, auf die Vollstreckung vorübergehend zu verzichten – gesetzlich geregelt sei ein solcher Ausnahmefall aber nicht.

"Haftbefehle werden etwa dann ausgesetzt, wenn jemand aus dem Ausland für eine Hochzeit in der Familie anreisen will", so Benecken. "Unserer Ansicht nach rechtfertigt auch die Buchmesse eine Aussetzung, da es um die Aufarbeitung eines juristisch, gesellschaftlich und medial bedeutsamen Themas geht." Ganz so bedeutsam fand man das Thema in München und Frankfurt offenbar nicht. Und nachdem Ari auf weiteren Eilrechtsschutz verzichtet hat, darf man vermuten, dass er den Zweck seines Besuchs auf der Buchmesse erfüllt sieht, ohne jemals dagewesen zu sein: Das Land spricht über ihn.

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Constantin Baron van Lijnden, "Mehmet" beantragt Aussetzung von Haftbefehl: Ausgewiesener Intensivtäter will zur Buchmesse . In: Legal Tribune Online, 09.10.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9769/ (abgerufen am: 31.05.2023 )

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