Druckversion
Samstag, 7.06.2025, 19:41 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/mollath-wiederaufnahme-abgelehnt-psychiatrie-unterbringung
Fenster schließen
Artikel drucken
9214

Keine Wiederaufnahme im Fall Mollath: "Ich bin nach wie vor ziemlich betroffen"

Interview mit Prof. Dr. Henning Ernst Müller

25.07.2013

Gustl Mollath

Gustl Mollath bei der Buchvorstellung "Wahn und Willkür" (23.7.2013), Foto: Daniel Karmann/dpa

Es scheint, als wollten die bayerischen Behörden Gustl Mollath einfach nicht freilassen. Am Mittwoch lehnte das LG Regensburg die Wiederaufnahme des Verfahrens ab, die sogar Justizministerin Merk fordert. Im Interview erklärt der Strafrechtler Henning Ernst Müller, der regelmäßig über den Fall bloggt, warum ihn der Beschluss nicht überzeugt und er hofft, dass das BVerfG eingreifen wird.

Anzeige

LTO: Herr Professor Müller, in Ihrem Blog hatten Sie in der Nacht auf Mittwoch noch die Hoffnung geäußert, dass der Beschluss des Landgerichts (LG) Regensburg anders ausfallen würde. Hatten Sie trotzdem irgendwie mit der Ablehnung des Wiederaufnahmeantrags gerechnet?

Müller: Es gab ja leider schon ein paar negative Signale. Aber ich bin nun mal ein optimistischer Mensch und nach dem, was ich in den Akten gelesen hatte, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass ein Gericht keinen einzigen Wiederaufnahmegrund zulässt. Ich bin nach wie vor ziemlich betroffen von der Entscheidung.

LTO: Nach der § 359 Nr. 1 Strafprozessordnung (StPO) kann ein Verfahren dann wieder aufgenommen werden, wenn in der Hauptverhandlung zu Ungunsten des Verurteilten eine als echt vorgebrachte Urkunde unecht oder verfälscht war. Lag dieser Wiederaufnahmegrund Ihrer Meinung nach in Mollaths Fall vor?

Prof. Dr. Henning Ernst MüllerMüller: Ja, ich halte das ärztliche Attest für unecht, das dokumentieren soll, dass Mollath seine Frau geschlagen hat. Ich denke, dass dieses Attest und die darin gemachten Feststellungen nicht von der Ärztin stammen, deren Name darunter steht und die damit als Ausstellerin der Urkunde ausgewiesen wird, sondern von ihrem Sohn, der Frau Mollath untersucht hat. Identität des wahren und des vermeintlichen Ausstellers ist also nicht gegeben.

Das Gericht hat aufwändig begründet, warum es nicht dieser Auffassung ist. Es lässt aber unerwähnt, dass die Unterschrift nicht nur mit dem Stempel der Mutter versehen war, sondern dass direkt unter der Unterschrift "Dr. med. Madeleine R." in Textform stand. Es ist aber doch schon sehr untypisch, ein Attest als Stellvertreter auszustellen und dabei nicht den eigenen Namen unter die Unterschrift zu setzen, sondern den Namen des Vertretenen. Das Gericht hat das völlig unberücksichtigt gelassen.

"Regensburger Beschluss verfolgt eine eindeutige Tendenz"

LTO: Ein Grund für eine Wiederaufnahme liegt auch vor, wenn bei dem Urteil ein Richter mitgewirkt hat, der seine Amtspflichten verletzt hat – Rechtsbeugung ist das Stichwort. Eine Straftat, die dem damaligen Vorsitzenden Richter Otto Brixner etwa von der Verteidigung vorgeworfen wird. Das LG Regensburg sieht das nicht so. Es hält den Vorwurf, dass der Vorsitzende den Sachverhalt bewusst verfälscht hätte, für reine Spekulation. Überzeugt Sie das?

Müller: Nein, ich halte den Verdacht einer Rechtsbeugung nach wie vor für begründet. Brixner hat Mollath den Unterbringungsbefehl entgegen sämtlichen Vorschriften nicht in der gebührenden Eile eröffnet. Das wäre spätestens am Tag nach der Festnahme erforderlich gewesen. Das LG Regensburg argumentiert jetzt, dass zu dem Zeitpunkt, zu dem Brixner erfahren hat, dass Mollath bereits einsitzt, die gesetzlichen Anforderungen sowieso nicht mehr erfüllt werden konnten – dass die weitere Verzögerung also eine lässliche Sünde war.

Mir leuchtet das überhaupt nicht ein. Der Regensburger Beschluss ist insoweit nicht dumm, aber er verfolgt die eindeutige Tendenz, eine Rechtsbeugung im Ergebnis abzulehnen, indem bei jedem einzelnen der Verfahrensfehler der notwendige "eklatante" Rechtsbruch verneint wird, aber die Summe der Fehler nicht berücksichtigt wird.

LTO: Das LG hält auch den zwischenzeitlich bekannt gewordenen Bericht der Hypovereinsbank nicht für geeignet, die Verurteilung Mollaths zu erschüttern. Das Gericht habe es damals ausdrücklich für möglich gehalten, dass es Schwarzgeldverschiebungen gegeben hatte.

Müller: Wenn der Bericht in der Hauptverhandlung auf dem Tisch gelegen hätte, dann hätte der Gutachter kaum etwas von "Schwarzgeldwahn" schreiben können. Denn ein Wahn setzt ja voraus, dass es um realitätsfremde Behauptungen geht. Das Gericht hätte sich also damit auseinandersetzen müssen, in welchem Umfang es die behaupteten Schwarzgeldgeschäfte tatsächlich gegeben hat und inwiefern die Ehefrau von Mollath daran beteiligt gewesen ist.

Indem man das als fixe Idee bezeichnete, hat man vermieden, sich damit überhaupt auseinanderzusetzen. Das LG Regensburg macht das im Grunde jetzt auch.

Ich bin schwer enttäuscht davon, dass hier die Gelegenheit nicht genutzt wurde, sich mit einer Reihe von ungeklärten Dingen auseinanderzusetzen.

Seite 1/2
  • Seite 1:

    LG lässt keinen einzigen Wiederaufnahmegrund zu

  • Seite 2:

    Zwei weitere Verfahren laufen in Bayreuth und Karlsruhe

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Keine Wiederaufnahme im Fall Mollath: . In: Legal Tribune Online, 25.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9214 (abgerufen am: 14.06.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Strafrecht
    • Gustl Mollath
    • Justiz
  • Gerichte
    • Landgericht Regensburg
Bundesministerin der Justiz Stefanie Hubig (SPD) während einer Pressekonferenz anlässlich der Justizministerkonferenz. 13.06.2025
Asyl

Justizministerin Hubig zu Zurückweisungen an der Grenze:

"Dobrindt muss Begrün­dung sch­nell nach­lie­fern"

Zurückweisungen an der Grenze waren rechtswidrig, so das VG Berlin. Dazu müsse sich Innenminister Dobrindt endlich verhalten, findet Ministerkollegin Hubig. Dass man die Zurückweisungen noch irgendwie rechtfertigen kann, bezweifelt sie.

Artikel lesen
Eingang zum Justizzentrum in Gera 12.06.2025
Volksverhetzung

Vorwurf der Volksverhetzung gegen Vize des VG Gera:

Anklage gegen den Richter Bengt Fuchs erhoben

Die Staatsanwaltschaft Gera hat Anklage gegen den Vizepräsidenten des örtlichen Verwaltungsgerichts, Bengt Fuchs, erhoben. Ein Kommentar von ihm auf Facebook soll den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllen, so der Vorwurf.

Artikel lesen
Gebäude der "Staatsanwaltschaft Hamburg" 11.06.2025
Fachkräfte

Überlastete Justiz:

Offene Ermitt­lungs­ver­fahren in Ham­burg auf Rekord­hoch

Die Zahl offener Ermittlungsverfahren bei der Hamburger Staatsanwaltschaft hat mit 56.957 Fällen ein neues Rekordniveau erreicht – ein Alarmsignal, das aus Sicht des Hamburgischen Richtervereins nicht länger ignoriert werden darf.

Artikel lesen
V.l.n.r.: Stefanie Hubig (SPD), Bundesministerin der Justiz, Constanze Geiert (CDU), Justizministerin von Sachsen, Georg Eisenreich (CSU), Justizminister von Bayern, und Anna Gallina (Bündnis 90/Die Grünen), Senatorin für Justiz und Verbraucherschutz in H 06.06.2025
Politik

Frühjahrs-Justizministerkonferenz 2025 in Sachsen:

Das haben die Jus­tiz­mi­nister besch­lossen

Ein neuer Pakt für den Rechtsstaat, Mietrechtsänderungen für Opfer häuslicher Gewalt und die erleichtere Rückführung von NS-Raubkunst. Das und mehr hat die JuMiKo in Sachsen beschlossen. Zudem gab es eine Erklärung zu aktuellen Ereignissen.

Artikel lesen
Aktenberge in einem Büro 04.06.2025
Fachkräfte

Richterbund zum Pakt für den Rechtsstaat:

"Die Jus­tiz­mi­nister müssen jetzt lie­fern"

Der Deutsche Richterbund warnt vor dem Justizkollaps: Es fehlen Tausende Fachkräfte, Verfahren stocken, die Digitalisierung hinkt, die Gehaltsschere zur Wirtschaft öffnet sich weiter. Welche Lösungen wird die Justizministerkonferenz anbieten?

Artikel lesen
Einsatzfahrzeuge an Tatort in Berlin-Marzahn 04.06.2025
Mord

Wenn Männer Frauen töten:

Ein Mord­merkmal, um Femi­zide zu erfassen?

Der Femizid ist bisher kein Rechtsbegriff – aber angesichts der erschreckend häufigen Tötungsdelikte von Männern an Frauen wird nun diskutiert, ein weiteres Mordmerkmal zu schaffen. Wie könnte das aussehen?

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Wolters Kluwer
Ju­rist als Pro­dukt­ma­na­ger im Be­reich Con­tent - Straf­recht (m/w/d)

Wolters Kluwer , Hürth

Logo von Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg
Voll­ju­rist:in­nen (m/w/d) - Trainee­pro­gramm für an­ge­hen­de...

Personalamt der Freien und Hansestadt Hamburg , Ham­burg

Logo von ARQIS
Prak­ti­kan­ten (m/​w/​d) AR­QIS Sum­mer School 2025

ARQIS , Düs­sel­dorf

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Cott­bus

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Pots­dam

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Köln

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Neu­rup­pin

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
ADR als Kostenfaktor – oder Wettbewerbsvorteil? Der ökonomische Blick auf Konfliktlösung

23.06.2025

Digital Dialog: Arbeitsrechtliche Restrukturierungsmaßnahmen

24.06.2025

Logo von Georg-August-Universität Göttingen
Kolloquium "Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Digitalisierung der Gerichtsbarkeiten"

23.06.2025

NomosWebinar: Cyber Resilience Act

25.06.2025

Alles nach Plan – Unternehmenssanierung durch Insolvenz- und Restrukturierungsplan (§ 15 FAO)

24.06.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH