Seit 30 Jahren hilft die staatlich geförderte Künstlersozialkasse freischaffenden Kreativen, indem sie diese wie Arbeitnehmer versichert. An den Beiträgen werden auch die Auftraggeber der Freiberufler beteiligt, deren Zahlungsmoral aber gering ist. Im LTO-Interview erklärt Rechtsanwalt und KSK-Beiratsmitglied Jens Michow, wie stärkere Kontrollen durch die Deutsche Rentenversicherung das ändern sollen.
LTO: Über die Künstlersozialversicherung haben freischaffende Künstler und Publizisten Zugang zur gesetzlichen Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung. An den Beiträgen werden auch die Auftraggeber der Künstler beteiligt. Sie müssen 4,1 Prozent des Honorars abführen. Viele Unternehmen tun dies aber nicht. Wie kann das sein?
Michow: Niemand zahlt gerne Steuern oder Abgaben. Die Künstlersozialkasse (KSK) hat es da besonders schwer. Als Künstler gelten doch für die meisten Menschen vor allem ausübende, darstellende und bildende Künstler. Viele Unternehmen können daher nicht nachvollziehen, was sie mit einer "Künstler"sozialabgabe zu tun haben, da sie weder Konzerte veranstalten noch Zeitschriften oder Bücher herausgeben. Aber auch ein Autohersteller muss die Abgabe zahlen, wenn er regelmäßig etwa selbständige Grafiker, Werbetexter oder Fotografen für seine Öffentlichkeitsarbeit beauftragt.
"Künstler sind etwa Clowns, Geräuschemacher oder Webdesigner"
LTO: Woher weiß ein Unternehmen überhaupt, dass es Abgaben an die KSK zahlen muss?
Michow: Es erschließt sich auch nach 30-jähriger Existenz des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) für viele Verwerter künstlerischer oder publizistische Leistungen tatsächlich nicht von selbst. Wer weiß schon, dass auch Industrie- und Webdesigner oder Illustratoren Künstler sind und wissenschaftliche Autoren oder Übersetzer als Publizisten zum Schutzbereich des Gesetzes zählen? Aber auch Steuererklärungen kann ja heute kein Unternehmer mehr ohne Inanspruchnahme von Steuerberatern erstellen. Und deren Aufgabe wäre es, ihre Auftraggeber entsprechend auch über das KSVG zu informieren. Da aber auch hier zumeist die erforderliche Sachkunde fehlt, werden nur nachhaltige Prüfverfahren endlich mittelfristig ein entsprechendes Bewusstsein entstehen lassen.
LTO: Es ist ja auch gar nicht immer so einfach, zu sagen, wer Künstler ist.
Michow: Wer Künstler ist, definiert zunächst einmal die KSK. In einer Liste werden etwa 120 Berufe aufgezählt, die als Künstler anerkannt sind. Dazu gehören Clowns und Geräuschemacher ebenso wie Puppenspieler oder neuerdings Webdesigner.
Wenn die jeweiligen Berufsverbände die Tätigkeit als künstlerische Einrichtung anerkannt haben, spricht das sehr dafür, dass es sich um einen künstlerischen Beruf handelt.
Lehnt die KSK die Aufnahme eines Antragsstellers ab, müssen letztendlich die Sozialgerichte entscheiden, ob es sich bei der Tätigkeit um Kunst im Sinne des KSVG oder um ein Handwerk handelt. So hat das Bundessozialgericht etwa entschieden, dass ein Unternehmen, das Models in Reizwäsche in Diskotheken auftreten lässt, Künstlersozialabgaben zu zahlen hat. Eine Modedesignerin soll dagegen keine Künstlerin sein.
LTO: Nochmal etwas grundsätzlicher: Warum gibt es die KSK überhaupt?
Michow: Grund für den Erlass des Gesetzes war in den 70er und Anfang der 80er Jahre der Wunsch des Gesetzgebers, selbständigen Künstlern und Publizisten eine soziale Sicherheit zuteilwerden zu lassen, die weitestgehend der sozialen Absicherung von Arbeitnehmern entsprechen sollte. Tatsächlich sind selbständige Künstler und Publizisten durch das Gesetz nunmehr in die gesetzliche Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung einbezogen. Das Gesetz wurde allerdings nicht als Option, sondern als Pflichtversicherung ausgestaltet. Selbständige Künstler und Publizisten sind also bei der KSK pflichtversichert.
Und natürlich stellte sich damals sofort die Frage, wie man dieses System finanzieren könne. Anstelle des Arbeitgebers bei abhängig Beschäftigen sollten neben den Versicherten die jeweiligen Auftraggeber der selbständigen Künstler und Publizisten den zweiten Teil der Last tragen. Die haben sich zunächst energisch gegen diesen neuen Kostenfaktor gewehrt, zumal das Gesetz ja tatsächlich dem Typus der Selbständigkeit diametral zuwider läuft.
Das Bundesverfassungsgericht rechtfertigte in einem Beschluss aus dem Jahre 1987 die Belastung der Verwerter mit der Künstlersozialabgabe mit dem "besonderen kulturgeschichtlich gewachsenen Verhältnis zwischen selbstständigen Künstlern und Publizisten auf der einen und ihren Verwertern auf der anderen Seite". Dieses Verhältnis habe gewisse symbiotische Züge. Es besteht daher eine Verantwortung der Vermarkter für die soziale Sicherung der – typischerweise wirtschaftlich schwächeren – selbstständigen Künstler und Publizisten.
"Die Künstlersozialversicherung als Ganzes wäre existenziell bedroht"
LTO: Der Deutsche Tonkünstlerverband hat nun eine Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht. Die Interessenvertreter wollen erreichen, dass die Deutsche Rentenversicherung (DRV) verpflichtet wird, alle Unternehmen zu prüfen, ob sie die Künstlersozialabgabe entrichten. Warum gibt es derartige Kontrollen nicht längst?
Michow: Die DRV ist bis heute noch nicht gesetzlich verpflichtet, alle Unternehmen "vor Ort" dahingehend zu überprüfen, ob sie die Künstlersozialabgaben auch tatsächlich in der gebotenen Höhe entrichten. Sie beschränkt sich vielmehr darauf Unternehmen anzuschreiben, die sich bisher noch nicht als Abgabepflichtige bei der Kasse gemeldet haben. Ob Meldungen aller Abgabepflichtigen nun zutreffend sind oder nicht wird allerdings nicht überprüft. Daher unterstützt der von mir präsidierte Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft, dessen 300 Konzert- und Tourneeveranstalter einen erheblichen Abgabenteil aufbringen, die Petition.
LTO: Warum sollte die DRV diese Kontrolle übernehmen? Könnte die KSK das nicht selbst tun?
Michow: 2007 wurde ein erster Schritt unternommen, die bis dato von wenigen abgabenehrlichen Verwertern geschulterte Last auf alle Verwerter künstlerischer und publizistischer Leistungen zu verteilen. Für die Prüfung der 150.000 Verwerter gab es damals ganze zwölf Prüfer bei der KSK. Es lag auf der Hand, dass damit eine flächendeckende Prüfung alle Abgabepflichtigen nicht annähernd gewährleistet war. Das fand seinen Niederschlag in einem von Jahr zu Jahr steigenden Abgabesatz, da eine große Anzahl Verwerter insbesondere aus nicht kulturnahen Berufszweigen nicht erfasst waren.
Auf Druck der Verwerter hat der Gesetzgeber das Prüfverfahren daher 2007 auf die DRV ausgelagert, die neben der von ihr ohnehin durchgeführten Betriebsprüfung aller Arbeitnehmer beschäftigenden Unternehmen auch die korrekte Meldung und Zahlung der Künstlersozialabgabe prüfen sollte. Diesem Auftrag ist die Rentenversicherung bisher schlicht nicht nachgekommen, da es keine hinreichend umfangreiche gesetzliche Verpflichtung gab. Allerdings hatte bereits die Anschreibaktion zu Nachzahlungen von über 60 Millionen geführt. Von einer flächendeckenden Prüfung aller Unternehmen wären daher weitere hohe Einnahmen zu erwarten, welche die Abgabenlast ganz erheblich schrumpfen ließe. Daher läge diese Prüfung im Interesse aller Verwerter.
"Deutschland ist ein Kulturstaat"
LTO: Erwarten Sie, dass der Gesetzgeber die Petition umsetzt?
Michow: Die Verwerter werden ihrerseits mit dem gebotenen Nachdruck dafür sorgen, dass die neue Regierung das Versäumnis der Vorgängerregierung schnellstens nachbessert. Die Verwerter hatten bereits Mitte des vergangenen Jahrzehnts ein Aktionsbündnis gegründet, durch dessen Druck dann schließlich – damals noch mit großen Hoffnungen verbunden – das Prüfsystem auf die Rente ausgelagert wurde. Dieses Aktionsbündnis werden wir wieder aufleben lassen. Der Fortbestand des Versicherungssystems ist von einem leistbaren Abgabensatz abhängig. Der muss höchstens eine drei vor dem Komma haben. Und da es sich bei der Künstlersozialversicherung nach wie vor um ein auch von vielen Politikern immer noch sehr kritisch beäugtes Thema handelt, wird schnelles gesetzgeberisches Handeln die Voraussetzung für den Fortbestand des Systems sein. Denn sonst wird diese Kritik noch durch einen Aufstand der Verwerter verstärkt werden. Die Zukunft der Künstlersozialversicherung hinge dann an einem seidenen Faden.
LTO: Unterstützen Sie die Petition?
Michow: Ja, uneingeschränkt.
LTO: Die Künstlersozialversicherung sieht sich immer wieder Kritik ausgesetzt. Andere Selbstständige wie Rechtsanwälte oder Ärzte würden sich sicher über finanzielle Unterstützung von Seiten des Staates bei der privaten Kranken-, Pflege- und Rentenabsicherung freuen. Warum wird ausgerechnet die Versicherung für Künstler und Publizisten bezuschusst?
Michow: Tja, das kann man sich zu Recht fragen. Man hat ja damals das Gesetz mit der Begründung für erforderlich gehalten, dass Künstler und Publizisten "üblicherweise über unregelmäßige Einkünfte verfügten" und ihre Versicherungslasten alleine tragen müssten. Das können viele andere Freiberufler problemlos auch für sich bestätigen. Als Rechtsanwalt würde ich mich doch auch freuen, wenn meine Mandanten neben dem Honorar auch noch meine Versicherung übernähmen. Vielen Medizinern geht das sicher ebenso.
Aber Spaß beiseite: Als Vertreter eines wichtigen Wirtschaftsbereichs des deutschen Kulturbetriebs halte ich das Gesetz tatsächlich für eine herausragende soziale Errungenschaft, wenngleich es mir doch in einigen Bereichen nachbesserungsbedürftig erscheint. Deutschland ist ein Kulturstaat, ein Land, welches seinen Ruf nicht zuletzt auch seinen Künstlern verdankt. Das Gesetz leistet einen wichtigen Beitrag dafür, dass das so bleibt und Künstler es sich wenigstens einigermaßen leisten können, Künstler zu sein und zu bleiben ohne einem zu großem wirtschaftlichen Überlebensrisiko ausgesetzt zu sein.
Prof. Jens Michow ist Rechtsanwalt in Hamburg und Präsident sowie Geschäftsführer des Bundesverbands der Veranstaltungswirtschaft. Zudem ist er Beiratsmitglied der Künstlersozialkasse.
Das Interview führte Tobias Kohl.
Prof. Jens Michow, Auftraggeber drücken sich um Künstlersozialabgabe: "Wer nicht kontrolliert wird, zahlt im Zweifel nicht" . In: Legal Tribune Online, 14.08.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9354/ (abgerufen am: 08.06.2023 )
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