Druckversion
Freitag, 9.05.2025, 22:22 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/krankschreibung-au-per-video-telefon-nach-corona-risiken-nebenwirkungen
Fenster schließen
Artikel drucken
43661

Videokrankschreibung auch nach Corona: Mit Risiken und Neben­wir­kungen

Gastbeitrag von Dr. Maximilian Koschker und Philipp Deuchler

08.12.2020

Videocall mit Arzt

Rido - stock.adobe.com

Gesundheitsminister Spahn plant, Krankschreibungen per Video auch losgelöst von der Pandemie und unter erleichterten Voraussetzungen dauerhaft zuzulassen. Maximilian Koschker und Philipp Deuchler sehen das kritisch.

Anzeige

In Deutschland werden jährlich etwa 75 Millionen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AU) ausgestellt. Regelmäßig erfolgt die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit im Rahmen einer persönlichen Untersuchung des Patienten durch den behandelnden Arzt, also von Angesicht zu Angesicht. Im Zuge der Corona-Pandemie wurde die Krankschreibung per Video als Mittel eingeführt, um den Ansturm auf Arztpraxen zu reduzieren und so dem Infektionsgeschehen vorzubeugen. 

Was zunächst nur als temporäre Ausnahme gedacht war, ist schon seit Juli 2020 in der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses als dauerhafte Möglichkeit verankert. Ärzte können demzufolge unter bestimmten Voraussetzungen einen Patienten per Videosprechstunde bis zur Dauer von sieben Kalendertagen erstmalig krankschreiben. Hierzu muss der Patient dem Arzt (oder einem anderen Arzt derselben Berufsausübungsgemeinschaft) aufgrund früherer Behandlung unmittelbar bekannt sein. Zudem muss die konkrete Erkrankung für eine Videosprechstunde geeignet sein. Eine Folge-AU per Video ist möglich, wenn die erstmalige Arbeitsunfähigkeit des Patienten aufgrund einer unmittelbaren persönlichen Untersuchung durch denselben Arzt festgestellt wurde.

Nun beabsichtigt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn in seinem jüngst vorgelegten Referentenentwurf zum Gesetz zur digitalen Modernisierung von Versorgung und Pflege, die bisherigen Voraussetzungen für eine Krankschreibung per Video weiter zu lockern. Insbesondere sollen eine erstmalige Krankschreibung sowie deren Verlängerung auch ohne bisherigen persönlichen Kontakt zwischen Arzt und Patient möglich sein. Einen Anspruch darauf, dass die ärztliche Untersuchung per Videosprechstunde erfolgt, haben Arbeitnehmer allerdings weder derzeit noch nach dem vorgelegten Referentenentwurf; hier kommt dem behandelnden Arzt ein Beurteilungsspielraum zu.

Der AU-Beweiswert bleibt im Grundsatz unverändert

Arbeitnehmer sind gesetzlich verpflichtet, ihrem Arbeitgeber eine Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen (§ 5 Abs. 1 Entgeltfortzahlungsgesetz, EFZG). Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens an dem darauffolgenden Arbeitstag vorzulegen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) kommt einer AU grundsätzlich ein so hoher Beweiswert zu, dass der Arbeitnehmer für die bescheinigte Dauer als tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gilt. Nur in Ausnahmefällen (zum Beispiel Erkrankung nach Ablehnung eines Urlaubsantrages im beantragten Urlaubszeitraum, Arbeit bei einem anderen Unternehmen während der angeblichen Arbeitsunfähigkeit, Ankündigung einer Erkrankung, etc.) kann der Arbeitgeber diesen hohen Beweiswert der AU erschüttern.

Bisher musste sich das BAG noch nicht mit der Video-AU beschäftigen. Es ist aber davon auszugehen, dass die Rechtsprechung auch solchen Bescheinigungen einen hohen Beweiswert zuschreiben wird. Das EFZG sieht für den Nachweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit nämlich ausdrücklich die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung vor – diese ist also in den Augen des Gesetzgebers das Mittel der Wahl. Die Videosprechstunde wiederum ist eine gesetzlich vorgesehene und damit legitime Möglichkeit, eine solche ärztliche Bescheinigung zu erlangen. 

Es wäre daher widersinnig, Arbeitnehmern einerseits die Möglichkeit zur Beibringung einer Video-AU zu geben, ihnen andererseits aber vor Gericht den Rückgriff auf diese Methode vorzuwerfen.

Video-AU und Entgeltfortzahlung

Aus diesem Grund sind Arbeitgeber auch nicht berechtigt, bei Vorlage "nur" einer Video-AU die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern. Zwar gibt das EFZG Arbeitgebern ein Leistungsverweigerungsrecht hinsichtlich der Entgeltfortzahlung, solange der Arbeitnehmer die gesetzlich vorgeschriebene AU-Bescheinigung nicht vorlegt oder diese nicht ordnungsgemäß ausgestellt wurde (§ 7 Abs. 1 EFZG). 

Auch eine AU, die auf eine Videosprechstunde zurückgeht, ist aber eine ärztliche Bescheinigung im Sinne des Gesetzes, so dass bei Vorlage einer Video-AU die Entgeltfortzahlung nicht verweigert werden darf. 

Dies dürfte selbst dann gelten, wenn die Video-AU an formalen Fehlern leidet oder so gar nicht hätte ausgestellt werden dürfen – denn diese Umstände sind in der Regel nicht vom Arbeitnehmer zu vertreten (§ 7 Abs. 2 EFZG). 

Video-AU birgt Risiken für den Arbeitnehmer

Aus Arbeitnehmersicht bringt die Video-AU aber nicht nur Vorteile mit sich. Risiken ergeben sich für Arbeitnehmer etwa daraus, dass weder in den geltenden Vorschriften noch im vorgelegten Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums näher konkretisiert wird, für welche Krankheitsfälle eine AU per Videosprechstunde letztlich geeignet ist. Es kann sich daher später vor dem Arbeitsgericht (beispielsweise im Rahmen einer Kündigungsschutzklage) herausstellen, dass die Erkrankung des Arbeitnehmers einer Video-AU gar nicht zugänglich gewesen ist und die AU-Bescheinigung damit nicht ordnungsgemäß ausgestellt wurde. 

Dies wiederum müsste der vorgelegten Video-AU ihren hohen Beweiswert für das tatsächliche Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit im Beurteilungszeitraum nehmen. Es bleibt abzuwarten, wie die Arbeitsgerichte mit solchen Fehlbeurteilungen umgehen werden.

Auch wenn die Video-AU vor allem in Pandemie-Zeiten durchaus ihre Berechtigung hat, stößt sie wegen der gegenüber persönlichen Untersuchungen erhöhten Manipulationsgefahr bei Arbeitgebern auf Vorbehalte. Wenn die Video-AU gleichwohl zum ständigen Begleiter der Personal- und Arbeitsrechtspraxis wird, wäre zumindest eine Konkretisierung der Krankheitsbilder zu begrüßen, die aus Sicht des Gesetzgebers mittels Videosprechstunde zuverlässig beurteilt werden können - im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien.

Dr. Maximilian Koschker ist Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland. Er berät Unternehmen in allen individual- und kollektivarbeitsrechtlichen Fragestellungen, insbesondere im Zusammenhang mit den Herausforderungen der modernen Arbeitswelt und der zunehmenden Digitalisierung (Arbeitswelt 4.0).

Philipp Deuchler ist Rechtsanwalt bei der Wirtschaftskanzlei CMS in Deutschland und berät Unternehmen zu allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts. Neben seiner Tätigkeit als Anwalt promoviert er derzeit zu einem sportarbeitsrechtlichen Thema an der Universität Mannheim.

Kanzlei der Autoren

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Videokrankschreibung auch nach Corona: . In: Legal Tribune Online, 08.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43661 (abgerufen am: 14.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Arbeitsrecht
    • Arbeitsunfähigkeit
    • Ärzte
    • Coronavirus
    • Individual-Arbeitsrecht
    • Online-Services
Internetauftritt von Check24 08.05.2025
EuGH

EuGH zu Vergleichsportalen und vergleichender Werbung:

Check24 darf vor­erst eigene Noten ver­geben

Darf ein Vergleichsportal wie Check24 Versicherungen mit Noten bewerten, ohne dass dies als Werbung gilt? Der EuGH sagt: Ja – solange das Portal keine eigenen Versicherungen anbietet und damit kein Mitbewerber ist.

Artikel lesen
"Arbeit macht Frei"-Toraufschrift im KZ Auschwitz 29.04.2025
Volksverhetzung

BGH bestätigt LG Köln:

Volks­­ver­­het­zungs-Urteil wegen "Impfen macht frei"-Post rechts­kräftig

Wer suggeriert, dass Impfgegner ähnliches Unrecht erlitten haben, wie Juden in der NS-Zeit, verharmlost den Holocaust – das ist strafbar, entschied nun auch der BGH.

Artikel lesen
Ein Mann liegt auf einer Wiese (Symbolbild) 25.04.2025
Feiertag

Anzahl der Feiertage abhängig vom Arbeitsort:

14 freie Tage nur für Augs­burger

Tag der Befreiung, Fronleichnam oder Rosenmontag: Arbeitnehmer haben abhängig vom Arbeitsort unterschiedlich viele Tage im Jahr frei. Spitzenreiter ist Augsburg. Liegt darin ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz?

Artikel lesen
Corona-Pandemie 22.04.2025
Coronavirus

BVerwG verneint presserechtlichen Auskunftsanspruch:

BND-Erkennt­nisse zum Corona-Ursprung bleiben geheim

Seit gut fünf Jahren fragt die Öffentlichkeit immer wieder nach dem Ursprung der Corona-Pandemie. Einen presserechtlicher Auskunftsanspruch gegen den BND verneinte das BVerwG nun.

Artikel lesen
Home-Office 17.04.2025
Arbeitszimmer

Bundesfinanzhof:

Umzug für Arbeits­zimmer ist nicht von Steuer absetzbar

Der heimische Arbeitsort ist oft ein Ansatzpunkt, um Steuern zu sparen. In einem aktuellen Fall des BFH klappte das nicht – trotz Corona-Argumenten. Dem Gericht fehlten die objektiven Kriterien.

Artikel lesen
Bürogebäude am späten Abend. 14.04.2025
Politik

Koalitionsvertrag zu Arbeitszeit, Mindestlohn und Tariftreue:

Das soll sich im Arbeits­recht alles ändern

Von der elektronischen Zeiterfassung bis zur steuerfreien Mehrarbeit: Der Koalitionsvertrag bringt neue Impulse für das Arbeitsrecht. Was auf Arbeitgeber, Beschäftigte und Juristen jetzt zukommt, erklärt Marijke van der Most.

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Was ist Dein nächster Karriereschritt?

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Wolters Kluwer
Ju­rist als Pro­dukt­ma­na­ger Print & On­li­ne (m/w/d)

Wolters Kluwer , Hürth

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von Freie Universität Berlin
Voll­ju­rist*in (m/w/d)

Freie Universität Berlin , Ber­lin

Logo von HESSENMETALL Mittelhessen
Rechts­an­walt und Lei­ter der Rechts­ab­tei­lung (m/w/d) im Be­reich...

HESSENMETALL Mittelhessen , Wetz­lar

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Pots­dam

Logo von DLA Piper UK LLP
Wis­sen­schaft­li­cher Mit­ar­bei­ter (m/w/d)

DLA Piper UK LLP , Mün­chen

Logo von Mathias-Stiftung Rheine
Voll­ju­rist:in mit Schwer­punkt Ar­beits­recht als Per­so­nal­di­rek­tor...

Mathias-Stiftung Rheine , Rhei­ne

Logo von Loschelder Rechtsanwälte
Rechts­an­walt (m/w/d) im Ar­beits­recht

Loschelder Rechtsanwälte , Köln

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Online Info Session Jurastudium (LL.B., EjP)

21.05.2025

25. Düsseldorfer Insolvenztage 2025

22.05.2025, Düsseldorf

Nivalion Legal Finance Summit 2025

22.05.2025, Frankfurt am Main

ICC Germany Arbitration Day

22.05.2025, Frankfurt am Main

Triff Möhrle Happ Luther auf der StuWi 2025 in Wismar

22.05.2025, Wismar

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH