Das Justizministerium hat einen Gesetzentwurf zur Bekämpfung von Kinderpornografie vorgelegt. Auslöser war die Affäre um den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Edathy. Sebastian Scheerer hat eine Stellungnahme mitunterzeichnet, in der die Verschärfung der Gesetze kritisiert wird. Das Strafrecht sei ein primitives Instrument und das BKA schon jetzt überfordert, meint der Kriminologe.
LTO: Was stört Sie und die anderen Unterzeichner der Stellungnahme an dem Gesetzentwurf des Justizministeriums zur Bekämpfung von Kinderpornografie?
Scheerer: Uns stört, dass eine weit verbreitete – und durch Medien und Politik verstärkte – moralische Empörung hier ziemlich rücksichtslos in politisches Kapital umgemünzt werden soll. Der Gesetzentwurf will angeblich europäische Vorgaben umsetzen. Im Kern verfolgt er aber eben leider gar nicht die Absicht, außer in Marginalien tatsächlich vorhandene Lücken im Sexualstrafrecht zu füllen oder gar – was sehr zu begrüßen wäre – das gesamte Gebiet des Sexualstrafrechts grundsätzlich besser zu strukturieren. Das Vorhaben ist vielmehr im Kern eine Lex Edathy und in der Hinsicht bedauerlicherweise nur eine punktuelle, unsystematische und sehr risikoreiche Ad-Hoc-Reaktion auf punitive Affekte. Die Chance, die in Krisen liegt, wirklich durchdachte und segensreiche Reformen durchzuführen, wurde leider nicht genutzt.
LTO: Was hat Sie zur Unterzeichnung bewogen?
Scheerer: Die Unwilligkeit oder Unfähigkeit des politischen Betriebs und einiger Behörden mit einem sensiblen Thema, das unmittelbar die Grundlagen der bürgerlichen Existenz einer Person tangiert, fach- und sachgerecht umzugehen.
Auf der Tagesordnung hätte eine kritische Selbstreflexion der Verantwortlichen stehen müssen und nicht die Ablenkung von eigenem Fehlverhalten nach dem Motto: Wenn wir kein verbotenes Material gefunden haben, dann müssen wir eben durch die Ausdehnung der Strafbarkeitsgrenzen dafür sorgen, dass das, was heute "ein Schlag ins Wasser" war, zumindest in Zukunft als "erfolgreicher Schlag gegen Kinderpornografie" dargestellt werden kann. So eine Leugnung der Verantwortung, die auf der persönlichen Ebene als unsolide Ablenkung von eigenem Versagen missbilligt würde, sollte auch in der Politik nicht beklatscht werden.
"BKA ist schon mit der Fülle an kinderpornografischem Material überfordert"
LTO: Sollte es gar keine neue gesetzliche Regelung geben oder eine andere?
Scheerer: Eine systematische Neuordnung des Sexualstrafrechts ist längst überfällig. Ebenso wie eine gesetzgeberische Neubesinnung bei den Tötungs- und bei den gewaltlosen Eigentums- und Vermögensdelikten. Was die Kinderpornografie angeht, die in Deutschland auch ohne das vom Justizminister vorgeschlagene Gesetz schon längst strafbar ist – und zwar in einem Umfang, der seinesgleichen sucht – wäre es zweckdienlich, die Institutionen der Prävention und Hilfe zu stärken sowie außerstrafrechtliche Instrumente zu optimieren. Was die Kombination von Strafrecht und Kinderpornografie betrifft, so wäre ein Runder Tisch von einiger Dringlichkeit: Dort könnte über Vor- und Nachteile des Strafrechts in diesem Bereich diskutiert werden. Dabei stünde die Frage im Mittelpunkt, inwiefern das Strafrecht hier überhaupt eine wichtige Aufgabe vernünftig erfüllen kann. Denn das Strafrecht ist ein sehr primitives Instrument – der Schutz der Kinder eine sehr wichtige und vor allem sehr komplexe und viel Sachverstand erfordernde Aufgabe.
Schon heute überfordert die schiere Fülle von eindeutig kinderpornografischem Material im Internet eingestandenermaßen sogar das Bundeskriminalamt (BKA). Die Aufgaben der Ermittler jetzt auch noch auf den sogenannten Graubereich der Kinderpornografie auszudehnen, ohne dass es wissenschaftliche Belege für die Notwendigkeit oder auch nur Zweckmäßigkeit dieser Maßnahme gibt, ist absurd und müsste bei konsequenter Anwendung des Legalitätsprinzips geradewegs ins Chaos führen.
Der aktuelle Entwurf schafft mit dem vagen Begriff des Tatverdachts, der allerlei Zwangsmaßnahmen ermöglicht, eine bedenkliche Rechtsunsicherheit.
2/2: "Mehr Geld für Prävention – eine Beruhigungspille"
LTO: In der Stellungnahme wird eine interdisziplinäre Auseinandersetzung mit der Debatte um Kinderpornografie gefordert. Kann der Gesetzentwurf dazu nicht beitragen – als Diskussionsgrundlage, die nun erst von den Ressorts und anschließend im Bundestag diskutiert werden muss?
Scheerer: Der Entwurf folgt den Imperativen der Tagespolitik: Wenn so ein Entwurf auf dem Tisch liegt, darf er nach der Logik der kurzfristig denkenden Akteure in den Regierungsparteien nur in einer deutlich sichtbaren Verschärfung der Strafbestimmungen münden. Alles andere würde nach den selbstgesetzten Prämissen der Akteure als Scheitern interpretiert.
Aus eigenen Untersuchungen weiß ich, dass die Wissenschaft von der Politik in einem Fall wie diesem nur in ihrer passiven Funktion gefragt ist, das heißt als Legitimationsgrundlage für eine im Grundsatz längst vorher gefällte Entscheidung – hier zur Verschärfung des Sexualstrafrechts.
LTO: Sie sprechen sich für eine bessere Behandlung der Täter aus. Mehr Prävention schließt eine Verschärfung des Strafrechts aber doch nicht aus? So will das Justizministerium das Präventionsnetzwerk "Kein Täter werden" künftig stärker finanziell unterstützen.
Scheerer: Mehr Geld für ein verdienstvolles Präventionsnetzwerk: eine Beruhigungspille für die Kritiker des Gesetzentwurfs. Vorher wurden die Gelder gekürzt und die Einrichtungen standen vor dem Aus. Und was wird die Pille bewirken? Wie sieht es mit lokalen dezentralen Beratungsangeboten aus, wie mit der Diskriminierung der Klientel? Die durch das Justizministerium mitangefachte Stimmung im Lande wird die Angst der potentiellen Täter vor institutionellen Kontakten eher vergrößern.
"Im Geiste der Alternativprofessoren das Strafrecht entrümpeln"
LTO: In Ihrer Stellungnahme kritisieren Sie auch die mediale Vorverurteilung von Sebastian Edathy. Wie könnte so etwas effektiv verhindert werden?
Scheerer: Dazu hätten sich nur alle Politiker und Behörden an die Regeln für solche Fälle halten müssen. Den Medien ist kein Vorwurf zu machen: Sie müssen recherchieren und berichten und dürfen auch spekulieren.
Außerdem: In Deutschland wird zu schnell beschlagnahmt. Beschwerden im Ermittlungsverfahren bleiben leider oft wirkungslos. Deshalb ist ein unklares Strafrecht in Deutschland besonders gefährlich. Verstöße gegen das Datenschutzrecht müssten konsequenter verfolgt werden: Dann könnten sich Eltern besser wehren gegen alle Formen des Missbrauchs von Bildern ihrer minderjährigen Kinder.
LTO: Die Unterzeichner der Stellungnahme sind teilweise identisch mit den Mitgliedern des Schildower Kreis, der erst kürzlich eine Petition an den Bundestag formuliert hat, die Drogenpolitik zu lockern. Der Initiator der Stellungnahme, Michael Stiels-Glenn, gehört dem Schildower Kreis aber nicht an?
Scheerer: Mit Herrn Stiels-Glenn habe ich gerade telefoniert. Er kennt den Schildower Kreis nicht. Er betreibt eine Praxis für Supervision und Psychotherapie.
LTO: Welchem Thema wird sich die Gruppe als nächstes widmen?
Scheerer: Ich sehe in dem Schildower Kreis, dem ich angehöre, eine Gruppierung, die versucht, die Arbeit der Alternativprofessoren, die in den 60ern für die Entrümpelung des noch aus Kaisers Zeiten stammenden Strafrechts verantwortlich waren, auf dem damals noch nicht so zentralen, heute aber sehr wichtig gewordenen Gebiet des Arznei-, Betäubungs- und Genussmittelrechts fortzusetzen.
Prof. Dr. Sebastian Scheerer (i.R.) war bis Ende März 2014 Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kriminologische Sozialforschung an der Universität Hamburg. Er hat die Stellungnahme mehrerer Strafrechtler, Kriminologen und Psychiater zum Gesetzentwurf des BMJV zur Bekämpfung von Kinderpornografie mitunterzeichnet und gehört dem Schildower Kreis an.
Die Fragen stellte Claudia Kornmeier.
Prof. Dr. Sebastian Scheerer, Bekämpfung von Kinderpornografie: "Punktuelle, unsystematische und risikoreiche Reaktion" . In: Legal Tribune Online, 16.04.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11707/ (abgerufen am: 05.10.2023 )
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