Die Bundesregierung will die kommerzielle Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellen. Skrupellose Freitodhelfer sollen mit der Verzweiflung suizidgeneigter Menschen kein Geschäft machen können. Frank Saliger, einer der Sachverständigen, die der Rechtsausschuss in der vergangenen Woche zu dem Gesetzentwurf befragte, ist nicht überzeugt. Das Gesetz bekämpfe Gefahren, deren Existenz erst zu beweisen wäre.
Freitodbegleitservice "Schöner Tod" wirbt für einen raschen und schmerzfreien "All-inclusive-Abgang" aus den Drangsalen des Lebens. Für bestimmte Personengruppen werden Sonderangebote offeriert auf den ansonsten gewinnkalkulierten Preis von mindestens 20.000 Euro je Freitod. Die Mitarbeiter werden angehalten, die Kunden nachdrücklich auf die Möglichkeit von Spenden und Testamentseinsetzungen zugunsten des Unternehmens hinzuweisen. Wer würde sich da nicht mit Abscheu abwenden?
Dem Gesetzgeber scheinen solche fiktiven Bilder vorzuschweben, wenn er künftig denjenigen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedrohen will, der absichtlich und gewerbsmäßig einem anderen die Gelegenheit zur Selbsttötung gewährt, verschafft oder vermittelt (§ 217 Abs. 1 StGB-Entwurf). Von der Strafbarkeit ausgenommen werden – wegen der besonderen emotionalen Situation – Angehörige oder dem Lebensmüden nahestehende Personen (§ 217 Abs. 2 StGB-E). Zur Klarstellung: Der Gesetzentwurf ist kein "Sterbehilfegesetz", da es nicht um täterschaftliche Sterbehilfe durch Dritte geht.
Gesetzentwurf nennt keine Beispiele für kommerzielle Freitodhilfe
Die Verfasser des Entwurfs halten die gewerbsmäßige Freitodhilfe für strafwürdig, weil sie suizidgeneigte Menschen zur Selbsttötung führen könnte, die sich ohne entsprechende Angebote nicht töten würden. Der dadurch erweckte Anschein von Normalität beeinflusse die Suizidrate und gefährde das menschliche Leben, ein Höchstwert der Verfassung.
Konkrete Beispiele für kommerzielle Freitodhilfen, die es zu bekämpfen gelte, nennt der Entwurf indes nicht. Er spricht kryptisch von einer Zunahme von Angeboten in Deutschland, die "einer Vielzahl von Menschen in Form einer entgeltlichen Dienstleistung eine schnelle und effiziente Möglichkeit für einen Suizid zu ermöglichen." Dabei stehe "nicht ein Beratungsangebot mit primär lebensbejahenden Perspektiven" im Vordergrund, "sondern die rasche und sichere Abwicklung des gefassten Selbsttötungsentschlusses, um damit Geld zu verdienen."
Welche Sterbehilfeorganisationen sollen es also sein, die in Deutschland gewerbsmäßig mit Gewinnerzielungsabsicht handeln? Dignitas Schweiz und ihr deutscher Ableger verfolgen keine Erwerbszwecke und berechnen die Freitodbegleitung in der Schweiz allein nach der "Deckung des dafür erforderlichen administrativen Aufwands". Ebenfalls keine wirtschaftlichen Ziele hat der Verein Exit, der nur ehrenamtliche Mitarbeiter engagiert. SterbeHilfeDeutschland zahlt im Falle eines begleiteten Suizids sogar das Geld zurück, um zu dokumentieren, dass keine wirtschaftlichen Ziele verfolgt werden. Gewerbsmäßigkeit also Fehlanzeige. Falsch ist auch die Vorstellung eines bloßen Vollzugs von Selbsttötungsentschlüssen. Exit z.B. begleitet trotz ca. 2.000 Anfragen im Jahr lediglich etwa 300 Menschen in den Freitod, also nur 15 Prozent.
Kein Zusammenhang zwischen kommerzieller Freitodhilfe und Suizidrate nachweisbar
Dieser Verkennung der Realität entspricht es, dass der Gesetzentwurf einen Zusammenhang zwischen kommerzieller Freitodhilfe und gestiegener Suizidrate nicht belegen kann. Wissenschaftliche Erkenntnisse dazu liegen nicht vor. Statistiken zu gestiegenen Fallzahlen in den Niederlanden und Belgien, die wenigstens einen plausiblen und wahrscheinlichen Zusammenhang stützen sollen, führen in die Irre, weil die Niederlande und Belgien anders als Deutschland sogar die aktive Euthanasie erlauben.
Auch die tatsächlich angewachsene Zahl der Freitodbegleitungen in der Schweiz belegt allenfalls einen Zusammenhang von organisierter Freitodhilfe und Suizidrate. Die Nachweisschwierigkeiten verwundern nicht, denn die hohen Kosten einer Freitodhilfe behindern die Selbsttötung eher und die Suizidrate ist in Deutschland über Jahrzehnte gesehen rückläufig.
Der normativ entrückte Umgang des Gesetzentwurfs mit der Realität genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine geeignete und erforderliche Kriminalisierung. Das gilt umso mehr, als die Verwaltung mit ihren Instrumenten (Zulassung, Kontrolle, Verbot) möglichen kommerziellen Exzessen einer organisierten Freitodbegleitung viel effektiver begegnen kann als es das Strafrecht könnte. Ein Gesetzentwurf, der all dies ausblendet, erweist sich als reines Moralunternehmen und betreibt symbolisches Strafrecht.
Der Autor Prof. Dr. Frank Saliger ist Inhaber eines Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozeßrecht und Rechtsphilosophie an der Bucerius Law School in Hamburg. Er beschäftigt sich seit über zehn Jahren in Publikationen und Vorträgen wissenschaftlich mit Fragen des Medizinrechts, insbesondere der Sterbehilfe. Er war einer der Sachverständigen bei der öffentlichen Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags zum Gesetzentwurf der Bundesregierung.
Kriminalisierung der gewerbsmäßigen Freitodhilfe: . In: Legal Tribune Online, 17.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7808 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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