Wird eine Aktiengesellschaft grundlegend umgestaltet – etwa durch den Abschluss eines Beherrschungsvertrages, eine Verschmelzung oder einen Squeeze-Out – so bedürfen vor allem die Minderheitsaktionäre des Schutzes. Doch das 2003 eingeführte Spruchverfahrensgesetz bewirkt das Gegenteil: Seine Regelungen sind ineffzient und bevorzugen einseitig die Großaktionäre, findet Robert Peres.
Am 1. September 2003 trat das Spruchverfahrensgesetz (SpruchG) in Kraft; 2007 wurde es novelliert. Es bündelt verschiedene Vorgängernormen aus dem Umwandlungsgesetz (UmwG) sowie dem Aktiengesetz (AktG) und zielt darauf ab, die Dauer des Verfahrens bei Strukturmaßnahmen zu verkürzen. Dies sind Maßnahmen, mit denen Aktiengesellschaften grundlegend umgestaltet werden können, also etwa Beherrschungsverträge, Verschmelzungen oder Squeeze-outs, der Zwangsausschluss von Aktionären.
In solchen Fällen kommt es faktisch zu einer Enteignung der Minderheitsaktionäre. Um eine faire Entschädigung zu bestimmen, muss zunächst der Wert des Unternehmens zum Zeitpunkt der Strukturmaßnahme ermittelt werden. Diese Wertermittlung soll in einem gesonderten Verfahren – dem sogenannten Spruchverfahren – erfolgen. Wie man sich leicht ausmalen kann, liegen gerade hier die Knackpunkte des Verfahrens.
Fehlende Neutralität der Vertragsprüfer
Einer der Hauptkritikpunkte beim Spruchverfahren ist die fehlende Neutralität der Vertragsprüfer. Diese sind in der Regel Wirtschaftsprüfer, die auf Vorschlag des Hauptaktionärs oder des Managements vom Gericht bestellt werden, um das vom Unternehmen selbst vorgelegte Bewertungsgutachten zu überprüfen. Diese sogenannten Parteigutachten geben oft nicht den tatsächlichen Unternehmenswert wieder und werden in jedem zweiten Spruchverfahren zum Teil deutlich nach oben korrigiert.
Interessanterweise folgen die angeblich neutralen Vertragsprüfer aber fast ausnahmslos der Bewertung des Unternehmens. Dies hat auch seinen Grund. Würden sie es nämlich nicht tun, und etwa höhere Unternehmenswerte annehmen, würden sie wohl kaum weiter von dem Unternehmen vorgeschlagen werden. Diese wirtschaftliche Abhängigkeit stellt ihre Neutralität in Frage und wird seit längerer Zeit von Kritikern bemängelt.
Der Missstand ließe sich beheben, indem man das im Aktiengesetz festgelegte Vorschlagsrecht der Mehrheitsseite abschafft. Vorzugswürdig wäre ein direkt vom Gericht bestellter Sachverständiger, der das Parteigutachten prüft. Dieser sollte auch tatsächlich unabhängig sein, da sonst der Zweck des Spruchverfahrens und die gesetzgeberische Intention einer präventiven Vertretbarkeitskontrolle weiterhin verfehlt würden.
"Beschleunigte" Verfahren dauern bis zu zehn Jahre
Eines der Ziele des Spruchverfahrensgesetzes war die Straffung und Beschleunigung des Verfahrens. Davon kann in der Praxis allerdings keine Rede sein: Manche der Verfahren dauern bis zu zehn Jahre. Daran sind zugegebenermaßen mitunter einzelne Minderheitsaktionäre selbst schuld, die sich einer vergleichsweisen Einigung bewusst verschließen. Aber oft liegt die Verschleppung im Bereich der Gutachter, denen keine Zeitvorgaben für ihre Stellungnahmen erteilt werden oder die nur unvollständig von den Unternehmen mit Informationen versorgt werden.
Dem Hauptaktionär liegt wenig an einer schnellen Abwicklung, denn die gesetzliche Verzinsung des Anspruchs liegt derzeit bei nur fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz – und dieser liegt bekanntlich seit über zwei Jahren unter null und fällt stetig weiter. Und je länger ein Verfahren dauert, desto weniger Ansprüche werden geltend gemacht.
Um der Verschleppung des Verfahrens durch die Gesellschaft bzw. den Mehrheitsaktionär den Anreiz zu nehmen und so einem "Aushungern" der Minderheitsaktionäre effektiv vorzubeugen, empfiehlt sich eine Erhöhung des Zinssatzes nach § 305 Abs. 3 AktG auf neun Prozentpunkte über dem Basiszins. Dieser Zinssatz entspricht dem schon heute geltenden für Handelsgeschäfte gemäß § 288 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch und wäre wesentlich angemessener für den hier maßgeblichen unternehmerischen Hintergrund.
2/2: Enteignung Privater durch Private
Um die Verfahrensdauer zu verkürzen, wird immer wieder gefordert, eine erstinstanzliche Zuständigkeit der Oberlandesgerichte für Spruchverfahren einzuführen. Die im Jahre 2012 vom Bundesjustizministerium vorgelegte Aktienrechtsnovelle sah dies vor. Glücklicherweise fand sie keine Mehrheit, denn eine Verkürzung des Instanzenzuges würde die – im internationalen Vergleich – ohnehin bereits begrenzten Rechtsschutzmöglichkeiten der Minderheitsaktionäre weiter einschränken.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum gerade der Ausnahmefall einer zulässigen Enteignung einer Privatperson durch eine andere Privatperson noch weiter privilegiert werden soll, indem der enteigneten Person eine üblicherweise gewährte Tatsacheninstanz genommen wird. Auch nach Ansicht des Instituts der Wirtschaftsprüfer (IDW) hat sich die Expertise und Kapazität der auf Spruchverfahren spezialisierten Kammern der Landgerichte bewährt.
Umgehung von Schutzrechten durch Delisting
Noch schlimmer als Aktionären im Squeeze-out oder beim Abschluß von Beherrschungs- bzw. Gewinnabführungsverträgen ergeht übrigens es den Anlegern im Falle eines Delistings. Hier hat der BGH mit seiner "FRoSTA"-Entscheidung das Erfordernis einer Barabfindung im Falle eines Delistings gänzlich aufgegeben.
Die Gefährdung für den Minderheitsaktionär ist offensichtlich. Wird ein Delisting angekündigt, wird sich das Angebot an Aktien deutlich erhöhen, da die Anleger schnell aus dem Wert flüchten. Die Folge: der Aktienpreis sinkt und es entsteht weiterer Verkaufsdruck. Die Hauptaktionäre können sich so billig mit weiteren Anteilen eindecken und ihre Mehrheit auf Kosten der Minderheitsaktionäre – deren Zustimmung für ein Delisting ebenfalls nicht erforderlich sein soll – weiter vergrößern.
Leider hat der BGH hier lange geltendes Recht in die falsche Richtung fortgebildet, denn früher erhielten die Minderheitsaktionäre im Falle der Ankündigung, das Unternehmen von der Börse zu nehmen, zwingend ein Barabfindungsangebot. Dieses Barabfindungsgebot durfte nicht unter dem über die letzten drei Monate volumengewichteten Durchschnittkurs der Aktie liegen. Wegen dieser am Börsenpreis orientierten Mindestentschädigung entstand in der Folge durch die Ankündigung eines Delistings auch kein Verkaufsdruck und führten Delistings nicht zu Marktverwerfungen.
Korrektur durch den Gesetzgeber?
Heute kann das Unternehmen bzw. der herrschende Gesellschafter durch ein Delisting ohne Barabfindung wesentliche aktienrechtliche Schutzrechte umgehen. So entfaltet aus den oben genannten Gründen ein Delisting Wirkungen, die faktisch – zumindest teilweise – mit einem Squeeze-Out vergleichbar sind, ohne dass den Minderheitsaktionären nach dem gegenwärtigen Stand der zivilrechtlichen Rechtsprechung auch nur ein annähernd gleichwertiger Schutz geboten würde.
Zumindest im Falle der Rechtsprechung zum Delisting soll wohl bald der Gesetzgeber tätig werden. Hier könnte noch im Zuge der derzeit laufenden Aktienrechtsnovelle 2014 ein Korrektiv erfolgen. Es wäre zu wünschen, dass die Rechte von Minderheits-aktionären auch bei der Ausgestaltung des Spruchverfahrensgesetzes in Zukunft eine stärkere Beachtung finden würden.
Der Autor Robert Peres ist Rechtsanwalt in Wiesbaden.
Robert Peres, Das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren: Unter Wert verkauft . In: Legal Tribune Online, 06.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14866/ (abgerufen am: 29.03.2024 )
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