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EuGH billigt deutsche Lebensmittelwarnungen: Behörden dürfen auch ohne Gesund­heits­ge­fahr die Öff­ent­lich­keit infor­mieren

von Alexander Merschmann

11.04.2013

Stempel "Lebensmittelskandal"

© Gerhard Seybert - Fotolia.com

Auch ohne hinreichenden Verdacht auf eine Gesundheitsgefahr dürfen Behörden grundsätzlich schon dann vor Lebensmitteln aus bestimmten Unternehmen warnen, wenn diese nicht zum Genuss geeignet sind. Diese Entscheidung des EuGH vom Donnerstag bringt für Unternehmen einige Unsicherheit und auch für Verbraucher nicht unbedingt mehr Schutz, meint Alexander Merschmann.

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Eine nationale Regelung zur Information der Öffentlichkeit im Lebensmittelbereich muss nicht zwingend voraussetzen, dass der hinreichende Verdacht einer Gesundheitsgefahr besteht, urteilte der Europäische Gerichtshof (EuGH, Urt. v. 11.07.2013, Az. C-636/11).

Da die Luxemburger Richter zugleich die Beachtung von Geheimhaltungspflichten betonen, dürfte die Information der Öffentlichkeit bei genussuntauglichen Lebensmitteln allerdings regelmäßig unzulässig sein. Diese Geheimhaltungspflichten bestehen insbesondere bei laufenden Verfahren.

Die Vorlage zum EuGH kam vom Landgericht München. Dieses hatte per Amtshaftungsklage ein bayerischer Unternehmer angerufen, der Wildfleisch verarbeitete und vertrieb. Nun werden die Münchner Richter sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob zum Zeitpunkt der Information der Öffentlichkeit über Waren aus dem bayerischen Unternehmen eine Geheimhaltungspflicht bestand, welche die Behörde verletzt haben könnte.

Nach drei Pressemitteilungen des Verbraucherschutzministeriums des Freistaats, welche seine Lebensmittel unter anderem als ranzig, stickig, muffig und sauer beschrieben, hatte der Unternehmer Insolvenz angemeldet. Die vom Ministerium schließlich als genussuntauglich bezeichneten Lebensmittel waren zum Verzehr nicht geeignet, eine Gefahr für die Gesundheit bestand aber nicht.

EuGH sieht keine Sperrwirkung

Ob die deutsche Regelung, welche auch in solchen Fällen eine identifizierende Information über die Unternehmen ermöglicht, unionsrechtlich zulässig ist, war Gegenstand der Vorlage des LG München an den Gerichtshof.  

Im Mittelpunkt von dessen Prüfung stand die Vorschrift des § 40 Abs. 1 Nr. 4 des Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB). Sie ermöglicht es der zuständigen Behörde, die Öffentlichkeit auch bei zum Verzehr ungeeigneten Lebensmitteln zu informieren.

Eine solche Informationserteilung erfolgt ausweislich des Wortlauts des § 40 Abs. 1 nach Maßgabe des Artikels 10 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (BasisVO). Diese europäische Vorschrift rechtfertigt eine Warnung der Öffentlichkeit aber nur dann, wenn die Behörde einen hinreichenden Verdacht einer Gesundheitsgefahr hat. Der bayerische Unternehmer sah  daher in der nationalen Regelung einen Verstoß gegen Unionsrecht.

Entscheidend für die Beurteilung der Konformität mit Europarecht war laut LG München die Frage, ob Art. 10 BasisVO behördliche Warnungen im lebensmittelrechtlichen Bereich abschließend regeln sollte. Eine solche Sperrwirkung hat der EuGH in seinem Urteil nun abgelehnt.

EuGH: Mindestpflicht hindert frühere Information nicht  

Die Luxemburger Richter führen dabei aus, dass auch zum Verzehr ungeeignete Lebensmittel die Verbraucherinteressen beeinträchtigten. Ziel des Lebensmittelrechts sei aber der Schutz ebendieser Interessen.

Die Vorschrift des Art. 17 Abs. 2 BasisVO fordere angemessene Maßnahmen zur Durchsetzung der lebensmittelrechtlichen Anforderungen. Dazu zähle ausdrücklich auch die öffentliche Bekanntgabe von Informationen über die Sicherheit von Risiken und Lebensmitteln.

Insbesondere untersage Art. 10 BasisVO es Behörden nicht, über ungeeignete Lebensmittel zu informieren. Vielmehr beschränke die Vorschrift sich darauf, die Behörde bei Vorliegen einer Gesundheitsgefahr dazu zu verpflichten.

Geheimhaltungspflicht während laufender Verfahren

Allerdings machen die europäischen Richter eine erhebliche Einschränkung. Der EuGH weist auf die Beachtung der Regelung in Art. 7 der VO (EG) Nr. 882/2004 (KontrollVO) hin, welche Anforderungen an die Geheimhaltung stellt.

Vor allem während laufender Verfahren ist es den Ämtern untersagt, die in Wahrnehmung ihrer amtlichen Kontrollaufgaben erworbenen Informationen herauszugeben. In der Praxis wird dies die Ämter oftmals an einer Information der Öffentlichkeit hindern.

Doch auch weitere Fälle sind denkbar, da Art. 7 Abs. 3 nicht abschließend ist, sondern lediglich Regelbeispiele nennt. Insbesondere könnte auch die fehlende Verhältnismäßigkeit als Geheimhaltungsgrund in Betracht kommen. Die Konkretisierung dieser Vorschrift wird fortan zur zentralen Aufgabe werden. Bisher ist bei der Anwendung des LFGB auf diese Geheimhaltungspflicht keine Rücksicht genommen worden.

Bei zu vielen Warnungen droht ein Gewöhnungseffekt

Für die Unternehmen bedeutet die Entscheidung erhebliche Unsicherheit. Wenn die Mitgliedstaaten auf nationaler Ebene über Art. 10 der Verordnung hinausgehen können, wohl aber nicht müssen, führt das unweigerlich zu ungleichen Anforderungen an die Lebensmittelindustrie. Dabei war es eines der Ziele der Verordnung, ebendiese zu harmonisieren. Auch muss sich erst noch zeigen, welche Auslegung die Geheimhaltungsvorschrift des Art. 7 Abs. 3 KontrollVO in der Praxis erfahren wird.

Möglicherweise erweist der EuGH dem Schutz der Verbraucher, den er in seiner Entscheidung betont, durch die weitergehenden Informationsmöglichkeiten einen Bärendienst. Verbraucherschutz lässt sich nämlich nur gewährleisten, wenn die Öffentlichkeit ausschließlich bei hinreichendem Verdacht einer Gesundheitsgefahr informiert wird.

Anderenfalls droht ein Gewöhnungseffekt: Bei zu vielen Warnungen verliert jede einzelne ihre Effektivität. Liegt aber tatsächlich eine Gefahr für potenzielle Konsumenten vor, müssen die Verbraucher dringend und so schnell wie möglich erreicht werden.

Freilich wird sich das Interesse der Verbraucher am Verzehr ranziger Fleischerprodukte auch dann in Grenzen halten, wenn diese nicht gesundheitsgefährdend sind. Indes dürfte es in den Fällen der Genussuntauglichkeit ausreichen, die Ware per Rückholung aus dem Verkehr zu ziehen, ohne gleichzeitig die Öffentlichkeit über Namen und Betrieb eines Unternehmers zu informieren.

Der Autor Alexander Merschmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Öffentliches Recht von Prof. Dr. Florian Becker, LL.M. an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.

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EuGH billigt deutsche Lebensmittelwarnungen: . In: Legal Tribune Online, 11.04.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8508 (abgerufen am: 14.05.2025 )

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