Ein Selbstständiger nahm seinen Urlaub nicht, weil er erst im Nachhinein von den Gerichten als Arbeitnehmer eingestuft worden war. Christian Oberwetter erläutert, wie der Generalanwalt mit den unverhofften Urlaubsansprüchen umgehen will.
Der Urlaub ist die schönste Zeit des Jahres. Manchmal wird er aber nicht in Anspruch genommen, etwa weil man das ganze Jahr krankheitsbedingt ausfällt. Oder, weil man offiziell als Selbständiger tätig ist und erst nach Beendigung der Tätigkeit erfährt, dass als man Arbeitnehmer einzustufen war. So geschehen ist es im Falle des Briten Herrn King, der vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) landete und zu dem der Generalanwalt am Donnerstag seine Schlussanträge stellte (Az. C-214/16).
13 Jahre war King als Verkäufer auf Provisionsbasis für eine britische Firma tätig. Die Tätigkeit wurde von der Firma als selbstständiges Dienstverhältnis gehandhabt, demgemäß erhielt er keinen bezahlten Urlaub. Im Jahre 2008 bot das Unternehmen King einen Arbeitsvertrag an, was dieser ablehnte.
Nach seiner im Jahr 2012 erfolgten Beendigung des Dienstverhältnisses erhob King Klage, unter anderem auch auf eine Abgeltung des nicht in Anspruch genommenen Urlaubs. Die britischen Arbeitsgerichte stellten die Arbeitnehmereigenschaft des Verkäufers fest und legten dem EuGH die Frage vor, ob es mit Unionsrecht vereinbar sei, dass der Arbeitnehmer nach britischem Recht zunächst Urlaub in Anspruch nehmen muss, ehe er feststellen kann, ob er auch Anspruch auf Abgeltung dessen hat.
Urlaubsansprüche verfallen nicht zwingend mit dem Ende des Urlaubsjahres
Grundsätzlich regelt die europäische Arbeitszeitrichtlinie (RL 2003/88/EG) Mindesturlaubsansprüche der Arbeitnehmer in der Union. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie sieht einen bezahlten Urlaub von vier Wochen vor. Die Auszahlung von Urlaubsansprüchen kommt gemäß Art. 7 Abs. 2 dann in Betracht, wenn der Urlaub nicht mehr "in natura" genommen werden kann, weil das Arbeitsverhältnis beendet wurde. In solchen Fällen wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen Abgeltungsanspruch um.
Sowohl die Bundesrepublik als auch Großbritannien sehen vor, dass der Urlaub seitens der Arbeitnehmer grundsätzlich im laufenden Urlaubsjahr in Anspruch zu nehmen ist. Ist das nicht der Fall, verfällt der Urlaub. So einfach die Regelung ist, so umstritten ist sie in Fällen, bei denen Arbeitnehmer unverschuldet daran gehindert waren, ihren Urlaub in Anspruch zu nehmen. So hatte sich der EuGH in den letzten Jahren unter anderem mit Urlaubsansprüchen von Arbeitnehmern zu befassen, die aufgrund längerer Arbeitsunfähigkeit ihren Jahresurlaub nicht rechtzeitig in Anspruch nehmen konnten.
Mit der Schultz-Hoff-Entscheidung (Urt.v. 20.01.2009, Az. C 350/06) hielten die europäischen Richter dazu fest, dass Urlaubsansprüche, die ein Beschäftigter wegen einer Erkrankung nicht in Anspruch nehmen konnte, nicht etwa verfielen, sondern abgegolten werden müssen, wenn das Arbeitsverhältnis beendet ist und somit die Urlaubsansprüche nicht mehr erfüllt werden können.
Der Gerichtshof begründete die Entscheidung damit, dass der Anspruch von Arbeitnehmern auf einen bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Europäischen Sozialrechts anzusehen sei und dass ein bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig erkrankter Beschäftigter schlicht nicht die Möglichkeit habe, seinen Urlaub in Anspruch zu nehmen.
2/2: Unternehmen stehen für fehlerhafte Vertragsgestaltung ein
Generalanwalt Tanchev machte mit seinen Schlussanträgen jetzt den Weg für einen Urlaubsabgeltungsanspruch von Herrn King frei. Es sei mit dem Unionsrecht nicht vereinbar, dass ein Arbeitnehmer zunächst Urlaub nehmen müsse, ehe er einen Bezahlungsanspruch feststellen lassen könne. Arbeitgeber seien verpflichtet, Arbeitnehmern die Ausübung des Urlaubsanspruchs zu ermöglichen, zum Beispiel durch eine entsprechende Vertragsklausel.
Arbeitnehmer könnten nicht darauf verwiesen werden, zunächst bei den Gerichten einen Antrag auf Ausübung des Urlaubs zu stellen. King könne sich auf die Arbeitszeitrichtlinie berufen, um eine Vergütung für ungenommenen Urlaub zu erhalten. Voraussetzung für einen solchen Anspruch sei, dass ein Arbeitnehmer ihm zustehenden Urlaub nicht in Anspruch genommen hat, ihn jedoch genommen hätte, wenn der Arbeitgeber ihm den bezahlten Urlaub nicht verweigert hätte, so der Generalanwalt.
Dieser Urlaubsanspruch werde dann solange übertragen, bis der Arbeitnehmer die Möglichkeit zur Ausübung des Anspruchs habe. Wenn das Arbeitsverhältnis beendet sei, wandle sich der Urlaubsanspruch entsprechend der Richtlinie in einen Abgeltungsanspruch um. Es sei nun Sache des vorlegenden britischen Gerichts, darüber zu befinden, ob das im Jahr 2008 erfolgte Angebot eines Arbeitsvertrags an King diesem die Möglichkeit gegeben habe, seine Ansprüche geltend zu machen.
Bedeutung für Deutschland
Die Schlussanträge des Generalanwaltes legen die Vorgaben der Arbeitszeitrichtlinie zutreffend aus. Unternehmen sind verpflichtet, Dienstverhältnisse rechtlich so zu gestalten, wie sie auch tatsächlich durchgeführt werden. Verstöße gegen diesen Grundsatz dürfen den Unternehmen keine (finanziellen) Vorteile gewähren. Wenn jemand als Selbständiger tätig ist, im Nachhinein jedoch als Arbeitnehmer deklariert wird, kann er sich auch folgerichtig auf die Ansprüche berufen, die ihm als Arbeitnehmer zustehen. Das umfasst auch den Anspruch auf bezahlten Urlaub, den der Arbeitnehmer nicht in Anspruch genommen hat, weil sein Vertragspartner einen solchen Anspruch nicht vorsah.
Da bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Urlaub in natura nicht mehr in Anspruch genommen werden kann, verwandelt er sich folgerichtig in einen Abgeltungsanspruch. Der Sachverhalt ist nicht anders zu behandeln als die Fälle des Abgeltungsanspruchs aus krankheitsbedingten Gründen. Man kann im Fall der Arbeitsunfähigkeit von einer tatsächlichen Unmöglichkeit und in Kings Fall der vermeintlichen Selbständigkeit von einer irrtumsbedingten rechtlichen Unmöglichkeit der Inanspruchnahme sprechen.
Die kommende Entscheidung des EuGH wird für Dienstverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland geringere Auswirkungen haben als für andere Mitgliedstaaten. In § 2 Abs.2 i.V.m. § 7 Bundesurlaubsgesetz (BUrlG) ist für deutsche Beschäftigte bereits festgehalten, dass neben den Arbeitnehmern auch arbeitnehmerähnliche Selbständige in den Genuss von Mindesturlaub beziehungsweise seiner Abgeltung kommen. Vielleicht wird das Urteil des EuGH jedoch den Anlass bieten, sich diese in der Unternehmenspraxis nicht immer beachtete Regelung wieder ins Gedächtnis zu rufen.
Der Autor Christian Oberwetter, Rechtsanwalt und Maître en droit, ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und IT-Recht in Berlin und Hamburg.
Christian Oberwetter, EuGH-Schlussanträge zur Scheinselbstständigkeit: Was mit unverhofften Urlaubsansprüchen geschieht . In: Legal Tribune Online, 09.06.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/23149/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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