Eine preisgekrönte Doktorarbeit stützt die Parlamente gegen die scheinbar unantastbare akademische Selbstverwaltung. Das Recht zur Selbststeuerung werde oft eher unterstellt als begründet, sagt ihr Autor. 800 Seiten voller provokanter Thesen.
Das Grundgesetz schützt die Wissenschaftsfreiheit, aber damit nicht automatisch Unis und Hochhochschulen als Organisation. Die können zwar ihre eigenen Angelegenheiten selber ("autonom") regeln, aber längst nicht alles, was sie herkömmlich dafür halten.
Beispiel Promotion: Der "Vorname" Doktor (Dr.) dient nicht zuletzt der persönlichen Außendarstellung in der Gesellschaft und im beruflichen Wettbewerb, also der grundrechtlich geschützten Entfaltung der Persönlichkeit. Deshalb muss der Gesetzgeber das Promotionsverfahren selber regeln - wiewohl er das in Wirklichkeit oft mit einer Blankettermächtigung der Uni überlässt. Ebenso wenig ist die Professorenmehrheit gegenüber Studierenden, wissenschaftlichen und anderen Mitarbeitern bei Gremienentscheidungen, die über die reine Forschung und Lehre hinaus etwa den Haushalt betreffen, verfassungsrechtlich abgesichert.
Das sind provokante Thesen. Diese vertritt jetzt eine Bonner Doktorarbeit, und zwar keine 08/15-Dissertation: Vielmehr erhielt sie das Höchstprädikat und als jahresbeste auf den Gebieten des Verfassungs- und Verwaltungsrechts sowie der Rechtspolitik den Konrad-Redeker-Preis einer bundesweit bekannten Kanzlei.
Das Recht zur Selbststeuerung: "oft eher unterstellt als begründet"
Der Autor Gerrit H. Stumpf sucht das Spannungsverhältnis zwischen der hochschulpolitischen Verantwortung des Gesetzgebers und der akademischen Selbstverwaltung zu klären. Was reizte ihn dazu? Sein erster Eindruck war: "Das Recht zur Selbststeuerung der Hochschulen wird oft eher unterstellt als wirklich begründet." Wieso? "Hochschulrecht bearbeiten vorwiegend Professoren, die aus ihrem Berufsfeld einfach ein hochschulfreundliches Vorverständnis haben und möglicherweise meinen, Hochschulen vor reformeifrigen Politikern schützen zu müssen."
Auf fast 800 Druckseiten geht Stumpf den wissenschaftlichen Schwachstellen nach, um sie zu korrigieren. Aber braucht solch ein Versuch wirklich so viel Aufwand? Der Autor verweist auf den anschwellenden Wissenszuwachs, den gerade eine Prüfungsschrift verarbeiten müsse. Aber keine Angst: Wem die buchstäblich erschöpfende Darstellung zu viel ist, der findet über das Sachregister zu Einzelfragen grundlegende Antworten im umfassenden Zusammenhang.
Im Öffentlichen Recht gibt es für Stumpf so etwas wie das Seeungeheuer "Nessi", an dessen Existenz man glaubt, ohne sie bewiesen zu haben. Solch ein Nessi sei die institutionelle Selbstverwaltungsgarantie für die Hochschulen. Sie wird in der Doktorarbeit systematisch wie historisch "durchgebürstet" und auf zeitgemäße Antworten "gekämmt".
2/2: Die akademische Freiheit, früher und heute
Was zeitgemäß ist, ergibt sich für Stumpf bei der Frage nach den Gefahren, die dem Schutzbereich der akademischen Freiheit gegenwärtig am ehesten drohen. Mochte man vor Jahrzehnten eine ungewohnte Politisierung und "Demokratisierung" der Hochschulen als bedrohlich erachten (so das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1973), sieht nicht nur Stumpf die Hauptgefährder der Wissenschaftsfreiheit heute in "starken Hochschulleitungen", die ihr Personal in Forschung und Lehre wie Mitarbeiter in einem Unternehmen führen wollen.
Beim Blick in die Geschichte macht Stumpf gegen ein heute vorherrschendes Meinungsbild klar, dass weder die Weimarer Reichsverfassung vor bald hundert Jahren noch unser Grundgesetz von 1949 die "akademische Selbstverwaltung" als "Grundrecht" der Unis und Fachhochschulen verbrieft. Die unantastbare Wissenschaftsfreiheit ist, auch in der jüngsten Rechtsprechung, vielmehr den "wissenschaftlich Tätigen" garantiert, so dem einzelnen Hochschullehrer mit einer Mindestausstattung des Arbeitsplatzes und angemessener Besoldung.
Ansonsten ist die Hochschulorganisation laut Stumpf "stets Teil der staatlichen Kulturordnung" mit einem größeren Gestaltungsspielraum für die politisch Verantwortlichen, als sich das Hochschulleiter oder auch manche Rechtslehrer gern vorstellen. Wen wundert´s, dass ausgerechnet Christian Hillgruber die Doktorarbeit betreute, für manchen der last conservative standing unter den deutschen Rechtsprofessoren? Stumpf hat eine klare und knappe Antwort: "Am Lehrstuhl geht es nicht um klassische Schulenbildung, sondern um persönliche Meinungsbildung mit möglichst überzeugenden Argumenten"
"Doktor" im Zwielicht
Ausgangspunkt der Untersuchungen ist die Promotion zum "Doktor". Sie hat eine Doppelnatur. Die meisten Bewerber wollen bloß den Titel auf dem Praxisschild oder der Visitenkarte, die wenigsten streben damit eine Hochschullaufbahn an. Gerade wegen der Bedeutung außerhalb der Hochschule muss der Gesetzgeber laut Stumpf den Prüfungsrahmen selber regeln: namentlich Ausschlusskriterien wie die Frage, wie lange der Bewerber an der jeweiligen Uni studiert haben muss, ob er ein Prädikatsexamen mitbringen soll, ob er selber einen Betreuer finden muss oder der Fachbereich dafür sorgt. Dergleichen einfach den Promotionsordnungen zu überlassen, erscheint Stumpf wegen des Grundrechts auf Berufswahlfreiheit verfassungsgefährdend. Demgegenüber biete das Gesetzgebungsverfahren (idealerweise) mehr Gelegenheiten, dass unterschiedliche politische, sachliche und juristische Ansichten "gegeneinander abgewogen und berücksichtigt werden können".
Die gleiche gesetzliche Schwelle besteht umgekehrt auch für die Aberkennung des Doktorgrades, die ja immer das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt. Schon vor gut hundert Jahren bemerkte der Rechtsprofessor Paul Laband: "Die Verleihung eines Titels hebt den dadurch Ausgezeichneten bei weitem nicht in dem Grade, wie ihn die Entziehung herabsetzt." Das scheint bis heute so zu sein, wie der Karrieresturz von Promis zeigt. Wegen des blamablen Schadens hat auch das Bundesverwaltungsgericht jüngst klargestellt, dass Promotionsordnungen ihre Entzugsregeln "mit dem Vorbehalt des Parlamentsgesetzgebers", dessen tatbestandlichen Vorgaben, "angemessen zum Ausgleich" bringen müssen (Urt. v. 21.06.2017, Az. 6 C 3.16).
Tatsächlich können die Fakultäten den Grad nicht nur wegen Täuschung widerrufen, sondern weitergehend auch bei "wissenschaftsbezogenen" Übeltaten im späteren Berufsleben. So verlor ein gewerblicher Promotionsvermittler vor ein paar Jahren seinen Bonner Doktorhut, nachdem er für andere einen Doktorvater in Niedersachsen bestochen und deswegen eine Haftstrafe von mehr als einem Jahr kassiert hatte. Die akademische Nebenstrafe klingt unüberhörbar nach der "Doktorwürde" als traditionellem Adelstitel der bürgerlichen Gesellschaft. Ob das aber wirklich noch zeitgemäß ist, ist keine hochwissenschaftliche, sondern eine politische Streitfrage.
Lesetipp: Gerrit Hellmuth Stumpf, Ungeschriebener Parlamentsvorbehalt und akademische Selbstverwaltung (Studien und Beiträge zum Öffentlichen Recht 32), Verlag Mohr Siebeck 2017, 839 Seiten
Hermann Horstkotte, Dissertation "Hochschulautonomie": Von der Wiederentdeckung der Politik . In: Legal Tribune Online, 09.10.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24913/ (abgerufen am: 26.04.2024 )
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