Druckversion
Sonntag, 18.05.2025, 19:37 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/hintergruende/h/bsg-zu-wertsatz-fuer-ein-euro-jobs-nachlaessige-jobcenter-werden-zur-kasse-gebeten
Fenster schließen
Artikel drucken
4182

BSG zu Wertsatz für Ein-Euro-Jobs: Nach­läs­sige Job­center werden zur Kasse gebeten

von Prof. Dr. Jens Löcher

01.09.2011

Putzfrau

© Sven_Vietense - Fotolia.com

Hartz-IV-Empfänger, die zu Unrecht als Ein-Euro-Jobber eingesetzt werden, können für die geleistete Arbeit den ortsüblichen Lohn verlangen. Das BSG gab damit einer Frau Recht, die in einem Altenheim der Arbeiterwohlfahrt putzen sollte. Künftig werden die Jobcenter bei der Prüfung der so genannten Arbeitsgelegenheiten noch genauer hinschauen müssen. Von Jens Löcher.

Anzeige

Um Langzeitarbeitslose wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen, können Jobcenter Betroffenen zusätzliche, im öffentlichen Interesse stehende Tätigkeiten zuweisen. Dafür wird eine so genannte Mehraufwandentschädigung im Bereich von ein bis zwei Euro gezahlt.

Handelt es sich bei der zugewiesenen Arbeit nicht um eine "zusätzliche" Tätigkeit, kann der Hartz-IV-Empfänger nach dem aktuellen Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) möglicherweise Wertersatz für die geleistete Arbeit verlangen (Urt. v. 27.08.2011, Az. B 4 AS 1/10 R).

"Zusätzlich" ist eine Tätigkeit laut Sozialgesetzbuch (SGB) dann, wenn sie ansonsten nicht, nicht in diesem Umfang oder erst zu einem späteren Zeitpunkt verrichtet worden wäre (§ 261 Abs. 2 S. 1 SGB III). Arbeiten, die aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung eines öffentlichen Trägers ohnehin hätten erbracht werden müssen, sind zusätzlich, wenn sie voraussichtlich erst nach zwei Jahren durchgeführt worden wären (§ 261 Abs. 2 S. 2 SGB III).

Gerichte: Kein Arbeitsverhältnis, kein Tariflohn

In dem konkreten Fall hatte das Karlsruher Jobcenter einer Hartz-IV-Empfängerin eine Tätigkeit als Reinigungskraft bei der Gebäudereinigung eines Altenheims der Arbeiterwohlfahrt vorgeschlagen. Hätte die Frau den Vorschlag ohne wichtigen Grund abgelehnt, wäre ihr Regelbedarf - also der Betrag, der ihr hinsichtlich Ernährung, Kleidung, Strom und andere Güter ein menschenwürdiges Leben ermöglichen soll - um dreißig Prozent gekürzt worden.

Es war also nicht verwunderlich, dass sie sich zu einem Vorstellungsgespräch bei der Arbeiterwohlfahrt einfand und letztlich die angebotene Tätigkeit als Reinigungskraft in einem Umfang von zwanzig Wochenstunden für die Dauer von sechs Monaten aufnahm. Als Mehraufwandsentschädigung erhielt sie zwei Euro für jede geleistete Stunde.

Während der Verrichtung ihrer Tätigkeit stellte sie fest, dass das Altenheim auch durch andere Kräfte gereinigt wurde. Im Gegensatz zu ihr handelte es sich keineswegs um "Zwei-Euro-Jobber", sondern um Beschäftigte der Arbeiterwohlfahrt. Sie klagte daraufhin vor den Gerichten der Arbeitsgerichtsbarkeit auf Feststellung, dass sie ebenfalls bei der Arbeiterwohlfahrt beschäftigt sei.

Klage und Berufung waren erfolglos, eine eingelegte Revision nahm sie zurück. Eine währenddessen erhobene weitere Klage, mit der sie von der Arbeiterwohlfahrt die Zahlung des tariflichen Arbeitslohns forderte, wurde an die Sozialgerichtsbarkeit verwiesen. Hier war sie zunächst ebenfalls erfolglos.

Jobcenter muss Vermögensvorteil ohne Rechtsgrund erhalten haben

Einen Teilerfolg errang sie erst vor dem BSG. Zwar schloss sich das höchste deutsche Sozialgericht insoweit den Vorinstanzen an, als zwischen der Klägerin und der Arbeiterwohlfahrt kein Arbeitsverhältnis begründet worden sei. Ein Anspruch auf Arbeitsentgelt habe deshalb nicht entstehen können. Allerdings habe die Frau  möglicherweise einen Anspruch auf Wertersatz für die erbrachte Arbeitsleistung gegenüber dem beigeladenen Jobcenter.

Dafür müsste neben der fehlenden Zusätzlichkeit des Ein-Euro-Jobs die durch die Arbeitsleistung erfolgte Vermögensverschiebung aber  ohne Rechtsgrund geschehen sein. Als Rechtsgrund komme eine Eingliederungsvereinbarung oder ein bestandskräftiger Verwaltungsakt in Form eines Zuweisungsbescheids in Betracht.

Im Fall der Klägerin lag nach Auffassung des 4. Senats des BSG kein Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung vor: Das Schreiben, das sie zur Arbeitsaufnahme bei der Arbeiterwohlfahrt aufforderte, hatte die auszuübende Tätigkeit nicht konkret bestimmt und erfüllte deshalb nicht alle Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes; ebenso fehlte es an einer entsprechenden Eingliederungsvereinbarung.

Ein-Euro-Jobs könnten zum "Schrecken der Jobcenter" werden

Ob sich die Klägerin nun über Wertersatz wird freuen können, steht noch nicht fest. Das Landessozialgericht, an das der Rechtsstreit zurückverwiesen wurde, muss noch aufklären, ob die Reinigungsarbeiten der Klägerin zusätzlich waren oder nicht.

Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass das Urteil des BSG in der behördlichen Praxis weit reichende Auswirkungen haben wird. So wird wohl der in der Vergangenheit gezeigte Erfindungsreichtum einzelner Jobcenter bei der Schaffung oder Förderung von Arbeitsgelegenheiten einer genaueren Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen des die Ein-Euro-Jobs regelnden § 16d SGB II weichen.

Bisher wurden oft Arbeitsgelegenheiten bei karitativen Einrichtungen oder in einer Kommune gefördert, ohne dass man zuvor und während der Ausübung der Tätigkeit genau hingeschaut hatte, ob die Tätigkeiten denn tatsächlich "zusätzlich" im Sinne des Gesetzes waren. Ebenso häufig kam es vor, dass das Angebot zu einer Arbeitsgelegenheit in Bezug auf Art, Umfang und Bedingungen der zu verrichtenden Tätigkeit nicht hinreichend genug bestimmt war, weil man die nähere Bestimmung der Stelle überließ, die die Arbeitsgelegenheit verwaltete.

Verfährt man weiterhin so, so wird man - wie aller Voraussicht nach im Fall der für die Arbeiterwohlfahrt tätigen Reinigungskraft - sogar für solche Tätigkeiten Wertersatz leisten müssen, deren Nutznießer nicht die Jobcenter, sondern Dritte gewesen sind - wie zum Beispiel im vorliegenden Fall die Arbeiterwohlfahrt.

Bisher waren Ein-Euro-Jobs der "Schrecken der Hartz-IV-Empfänger". Zukünftig könnten sie der "Schrecken der Jobcenter" werden.

Prof. Dr. Jens Löcher lehrt Sozialrecht an der Hochschule für Polizei und Verwaltung in Wiesbaden.

 

Mehr auf LTO.de:

BSG: Wertersatz bei rechtswidrigem Ein-Euro-Job

Sozialleistungen für Asylbewerber: Unrühmliche Hängepartie zu Lasten der Ärmsten

Testierfreiheit und Sozialhilfe: Von guten Sitten und fragwürdigen Absichten

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

BSG zu Wertsatz für Ein-Euro-Jobs: . In: Legal Tribune Online, 01.09.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4182 (abgerufen am: 18.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Sozialrecht
    • Arbeitsamt
    • Arbeitslosengeld
    • Hartz IV
  • Gerichte
    • Bundessozialgericht (BSG)
Agentur für Arbeit 25.03.2024
Individual-Arbeitsrecht

BAG zur Massenentlassungsanzeige nach Betriebsstillegung:

Zuständig bleibt die­selbe Arbeit­sa­gentur

Wo muss ein Insolvenzverwalter die Massenentlassungsanzeige stellen, wenn das Unternehmen nicht mehr operiert? Das BAG entschied, worauf es in so einem Fall ankommt, und legte nicht dem EuGH vor. Das ist konsequent, erläutert Alexandra Groth.

Artikel lesen
Karl-Josef Laumann, Bundesvorsitzender der CDA Deutschland, spricht neben Carsten Linnemann, CDU Generalsekretär 19.03.2024
Bürgergeld

"Neue Grundsicherung" ankgekündigt:

CDU will das Bür­ger­geld umbauen und Sank­tionen ver­schärfen

Die CDU will die Regeln für den Bezug staatlicher Leistungen radikal verschärfen und hat ein Konzept zum Umbau des Bürgergelds beschlossen. Vor allem "Totalverweigerer" sollen hart sanktioniert werden.

Artikel lesen
Jobcenter in Berlin 04.04.2023
Jobcenter

LSG: Berliner Jobcenter muss Kosten übernehmen:

Sozial­woh­nung kann nicht unan­ge­messen sein

In Berlin bekommen tausende Bürgergeldempfänger nach Ansicht des LSG zu wenig Miete vom Jobcenter bezahlt. Der Grund: Selbst Mietpreise von Sozialwohnungen hält das Jobcenter für unangemessen hoch. Das geht nicht, findet das LSG.

Artikel lesen
Informationstafel Jobcenter 15.03.2023
Hartz IV

BVerfG zur Kostenübernahme für Untätigkeitsklage:

Auch Behörden müssen Fristen ein­halten

Weil das Jobcenter zu langsam war, erhob eine Hartz-IV-Empfängerin Untätigkeitsklage. Absolut zu Recht, so das BVerfG, denn es gebe für Bürger keine Pflicht, Behörden gesondert auf Fristabläufe hinzuweisen.

Artikel lesen
Menschen im Supermarkt 01.09.2022
Sozialhilfe

LSG Niedersachsen-Bremen sieht keine Rechtsgrundlage:

Kein ein­klag­barer Infla­ti­ons­aus­g­leich für Sozial­hil­fe­emp­fänger

Ohne gesetzliche Grundlage können die Sozialgerichte Leistungsempfängern nicht einfach mehr Geld als Inflationsausgleich zusprechen. Dies hat das LSG Celle in einem Eilverfahren entschieden.

Artikel lesen
Kellnerin 13.07.2022
Arbeitslosengeld

BSG zum ALG II:

Trink­geld ist kein Ein­kommen

Das Jobcenter wollte einer Frau den Anspruch auf ALG II mindern, weil sie 25 Euro monatlich Trinkgeld bekam. Das BSG hat jetzt klargestellt, dass das so nicht möglich ist - Trinkgeld sei nur eine Zuwendung.

Artikel lesen
ads lto paragraph
lto karriere logo
ads career people

Wir haben die Top-Jobs für Jurist:innen

Jetzt registrieren
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Cott­bus

Logo von Deutsche Rentenversicherung Bund
Voll­ju­rist*in (m/w/div)

Deutsche Rentenversicherung Bund , Ge­ra

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Frank­furt (Oder)

Logo von Hengeler Mueller
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) im Be­reich Health­ca­re/Li­fe Sci­en­ce

Hengeler Mueller , Ber­lin

Logo von Oppenhoff
Re­fe­ren­da­re (m/w/d) al­le Fach­be­rei­che

Oppenhoff , Frank­furt am Main

Logo von Deutsche Rentenversicherung Bund
Pro­fes­sor*in für So­zial­ver­si­che­rungs­recht (m/w/div) mit Schwer­punkt...

Deutsche Rentenversicherung Bund , Ber­lin

Logo von Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg
Staats­an­wäl­tin (Rich­te­rin auf Pro­be) / Staats­an­walt (Rich­ter auf Pro­be)...

Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg , Neu­rup­pin

Logo von Oppenhoff
As­so­cia­te Ar­beits­recht (m/w/d)

Oppenhoff , Köln

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Matchwinner Verfahrensrecht

26.05.2025

Logo von Deloitte Legal Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Das EU-Geldwäscheprävention-Maßnahmenpaket

28.05.2025

Der Umgang mit Betriebsprüfern und Steuerfahndern

28.05.2025

Logo von Leuphana Universität Lüneburg
Triff Möhrle Happ Luther auf der FOR YOUR CAREER in Lüneburg

27.05.2025, Lüneburg

Krisenland. Finanzielle Restrukturierung durch StaRUG-Verfahren.

05.06.2025, Frankfurt am Main

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH