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Kritik an Whistleblowing-Gesetzentwurf: Auf offenem Kon­fron­ta­ti­ons­kurs mit der EU?

von Dr. Markus Sehl

21.04.2022

Marco Buschmann

Wie sind die Reaktionen auf den BMJ-Entwurf zum Whistleblowing? Foto: picture alliance / photothek | Thomas Trutschel

Wer Missstände in Unternehmen oder Behörden meldet, soll arbeitsrechtlich besser geschützt werden. Zum BMJ-Entwurf melden sich kritische Stimmen. Wie gut schützt er Whistleblower? Und bricht der Entwurf mit Koalitionsvertrag und EU-Recht?

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Der rund 100-seitige Entwurf für ein neues Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) geht zahlreiche juristische Akteure etwas an: Unternehmen, die ein Meldesystem einrichten müssen, Anwaltskanzleien, die die Unternehmen dabei unterstützen dürfen, Behörden, die ebenfalls von dem Gesetz erfasst werden, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Missstände melden wollen und nicht zuletzt NGOs, die sich für den Schutz für Whistleblower einsetzen.

Von all jenen gibt es erste Reaktionen auf den Entwurf aus dem Haus von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Ziel des neuen Gesetzes: Wer Missstände in seinem Unternehmen oder in seiner Behörde meldet, soll künftig besser – etwa arbeitsrechtlich – vor Konsequenzen geschützt werden. Der Anstoß für das neue HinSchG kam ursprünglich aus Brüssel: Eine EU-Richtlinie nimmt die Mitgliedstaaten in die Pflicht, es Hinweisgebern einfacher zu machen.

"Entwurf weicht von Vereinbarungen im Koalitionsvertrag ab"

Doch die Idee für eine deutsche Umsetzung sieht sich bereits erster Kritik ausgesetzt. "Der vom BMJ vorgelegte Entwurf weicht von der Vereinbarung im Koalitionsvertrag ab, indem nur noch Verstöße gegen Rechtsnormen offengelegt werden dürfen, nicht aber auch sonstiges Fehlverhalten, an dessen Aufdeckung ein öffentliches Interesse besteht", sagt Dr. Simon Gerdemann, der an der Uni Göttingen im Auftrag der Deutschen Forschungsgemeinschaft zur Wirkung des deutschen und europäischen Whistleblowing-Rechts forscht. Gerdemann verweist auf den Fall der Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch, der sogar in der Begründung zum Gesetzentwurf ausdrücklich erwähnt wird.

Bei dem Fall, der 2011 schließlich vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entschieden wurde, ging es in erster Linie nicht um Verstöße gegen Gesetze, sondern um eine chronische Unterversorgung pflegebedürftiger Menschen, welche nach den Personalschlüsseln der damals geltenden Branchenregelungen allerdings noch rechtskonform war. Gerdemann sieht eine Lücke in der geplanten Regelung. "Gerade die Aufdeckung solcher 'formal' legaler Missstände hat sich für den demokratischen Diskurs und die journalistische Arbeit in der Vergangenheit als besonders wichtig erwiesen."

Auch David Werdermann, Verfahrenskoordinator bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), hält den Anwendungsbereich des Entwurfs für zu eng und sieht dadurch viele Whistleblower ohne Schutz. "Anders als im Koalitionsvertrag vereinbart, sollen Hinweise auf sonstiges Fehlverhalten, das nicht gegen geltendes Recht verstößt, nicht geschützt sein. Dabei kann auch bei ethisch fragwürdigem Verhalten ein erhebliches öffentliches Interesse an der Aufdeckung bestehen, auch um politische Diskussionen über Gesetzesänderungen anzustoßen. Das haben zuletzt die Enthüllungen von Frances Haugen zu Facebook gezeigt."

Der Entwurf biete auch keinen Schutz für Hinweise zu Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, die nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind. "Diskriminierung bei der Wohnungsvergabe, wie sie zuletzt bei der Bremer Wohnungsbaugesellschaft Brebau von einem Whistleblower aufgedeckt wurde, wäre nicht vom Anwendungsbereich erfasst", so der GFF-Jurist.

Lücken bei Fehlverhalten von Beamten und bei anonymen Hinweisen?

Werdermann sieht auch drohende Konsequenzen für die Aufdeckung von Missständen im öffentlichen Dienst. Die beamtenrechtliche Pflicht zu verfassungstreuem Verhalten sei nicht miterfasst. "Die Aufdeckung rechtsextremer Chats von Polizeibeamt:innen wäre nicht geschützt, sofern nicht die hohe Schwelle der Strafbarkeit etwa der Volksverhetzung erreicht ist", so Werdermann. Er kritisiert auch, dass der Entwurf das Aufdecken von Fehlverhalten bei den Nachrichtendiensten ausklammert.

Neben einer internen Meldestelle soll es laut dem Entwurf mit dem Bundesamt für Justiz auch eine externe Meldestelle für Hinweise geben. Werdermann gibt zu bedenken, dass auch solche Whistleblower:innen geschützt werden sollten, die sich an eine andere Behörde wie eine Staatsanwaltschaft, den Zoll oder die Gewerbeaufsicht wenden würden. Diese müssten zur Weiterleitung an das Bundesamt verpflichtet werden.

Auch sieht der Entwurf vor, dass anonym abgegebene Hinweise nicht bearbeitet werden müssen. "Dabei ist die Anonymität für viele potenzielle Whistleblower:innen ein wichtiger Schutz und Voraussetzung für eine Meldung, wie vergangene Skandale von Wirecard bis zur Abgasmanipulation gezeigt haben", sagt Werdermann. Jedenfalls bei der externen Meldestelle sei die Ermöglichung und Bearbeitung anonymer Meldungen geboten.

"Medienverhinderungsgesetz" nennt Hendrik Zörner vom Deutschen Journalisten-Verband den Entwurf. Drei bis sogar sechs Monate müssten vergehen, bis ein Whistleblower sich direkt an die Öffentlichkeit wenden darf. Zeit genug, befürchtet Zörner im Gespräch mit dem Deutschlandfunk, etwa für Unternehmen, nicht nur gegen den Whistleblower vorzugehen, sondern auch noch eine Kommunikationsstrategie vorzubereiten. Die Frist müsse deutlich verkürzt werden, fordert er.

Auf Konfrontationskurs mit EU-Kommission und EuGH?

Mit dem Gesetz kommen auf deutsche Unternehmen Kosten zu. Um die Meldestellen einzurichten, rechnet das BMJ laut Entwurf mit einmaligen Kosten für die Wirtschaft in Höhe von 190 Millionen Euro sowie einem jährlichen laufenden Aufwand von rund 200 Millionen Euro. In der Begründung zum Gesetzentwurf schätzen die BMJ-Beamtinnen und -Beamten, dass rund 44.000 Unternehmen von den rund 90.000 Unternehmen, die unter das Gesetz fallen, bereits ein Hinweisgebersystem eingeführt haben.

Recht zufrieden mit dem Entwurf scheinen Unternehmensvertreter. Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs über die Vorgaben der Richtlinie hinaus lehnt der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ab. "Die EU-Whistleblower-Richtlinie muss aus Unternehmenssicht rechtssicher und praktikabel umgesetzt werden," sagt Iris Plöger, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung.

Für sinnvoll hält die Juristin, dass Hinweisgebersysteme zentral im Konzern eingerichtet werden können. Die Regelung im Entwurf befreit Konzerne davon, nicht in jedem Tochterunternehmen ein eigenes Meldesystem einzurichten. Damit werden Kosten für große Konzerne gespart. Allerdings ist der BDI mit der Regelungstechnik im Gesetzentwurf nicht glücklich. Im Gesetzestext wird diese Option nämlich bisher nicht erwähnt, sondern nur in der Begründung zum Entwurf. Eine etwas verdruckste Lösung?

Eben dieses neue Konzernprivileg sieht der Rechtswissenschaftler Gerdemann kritisch - und den deutschen Entwurf deshalb auf Konfrontationskurs mit der Europäischen Kommission. "Die für die Umsetzung der Richtlinie zuständige Abteilung bei der EU-Kommission hat diese Auslegungsvariante ausdrücklich in mehreren Stellungnahmen als schlicht unvertretbar ausgeschlossen", so Gerdemann. Er befürchtet ein Vertragsverletzungsverfahren wegen mangelhafter Umsetzung der Richtlinie. Spätestens vor dem Europäischen Gerichtshof dürfte seiner Auffassung nach die deutsche Sonderregel für Konzerne mit sehr großer Wahrscheinlichkeit keinen Bestand haben.

Frist für Stellungnahmen bis 11. Mai

Beim Deutschen Anwaltverein (DAV) beugen sich derzeit gleich mehrere Ausschüsse über den Entwurf, nämlich die für Arbeitsrecht, Corporate Social Responsibility und Compliance sowie Strafrecht. "Das Thema hat viele Facetten rund um das Spannungsfeld Aufdeckung von Missständen vs. Schutz von Betriebsgeheimnissen. Auch den Berufsgeheimnisträgerschutz haben wir als DAV natürlich immer im Blick, wenn es generell um Geheimnisse geht", sagt Swen Walentowski, Leiter Politische Kommunikation & Medien beim DAV. An einer Stellungnahme werde noch gearbeitet. Auch der Bundesverband der Unternehmensjuristen arbeitet noch an einer Stellungnahme.

Der Entwurf erreichte vergangene Woche die Verbände und Länder, Zeit für Stellungnahmen haben sie noch bis 11. Mai.  Dann wird sich zeigen, wie zügig der Entwurf durch das Gesetzgebungsverfahren kommt. Angepeilt ist eine Verkündung noch in diesem Jahr.

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Kritik an Whistleblowing-Gesetzentwurf: Auf offenem Konfrontationskurs mit der EU? . In: Legal Tribune Online, 21.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48205/ (abgerufen am: 27.09.2023 )

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