Die BILD hat Fotos und Kommentare von Facebook-Nutzern veröffentlicht, die zuvor gegen Asylbewerber gehetzt hatten. Warum die Zeitung ihr Persönlichkeitsrecht damit nicht verletzt hat, erklärt Niklas Haberkamm.
Mit ihrer jüngsten Aktion ist es der Bild-Zeitung in der ihr ureigenen Art wieder einmal gelungen, Angehörige ganz unterschiedlicher politischer Lager in Harnisch zu bringen – und eine Menge Aufmerksamkeit zu generieren. Einen Tag nachdem rund 20.000 Menschen in Dresden das einjährige Pegida-Jubiläum gefeiert hatten, veröffentlichte die Bild sowohl in ihrer Print-Ausgabe als auch online zahlreiche Facebook-Kommentare, aus denen unverhohlene Fremdenfeindlichkeit sprach. Damit ließ man es indessen nicht genügen, sondern veröffentlichte zusätzlich auch die Fotos und die Namen der Kommentatoren, die eine Identifizierung ohne Weiteres ermöglichen: "Wir stellen die Hetzer an den Pranger!"
§ 22 Kunsturhebergesetz (KUG) bestimmt, dass das "Bildnis" eines anderen nur mit dessen Einwilligung verbreitet werden darf. Ausnahmsweise entbehrlich ist diese nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG für Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte. Wiederum als Ausnahme von der Ausnahme ist die Einwilligung trotz zeitgeschichtlichen Bezuges doch wieder nötig, wenn durch die Verbreitung ein überwiegendes berechtigtes Interesse des Betroffenen verletzt wird – ein Prüfungsschema, das der Bundesgerichtshof (BGH) als "abgestuftes Schutzkonzept" betitelt hat (Urt. v. 31.05.2012, Az. I ZR 234/10).
Mehr Zeitgeschichte ist kaum möglich
Zunächst hatte niemand eingewilligt. Zu prüfen ist dann, ob die Veröffentlichung des Bild-Prangers in den Bereich der Zeitgeschichte fällt. Wurde früher bis zu einem klarstellenden Urteil des EGMR im Jahre 2004 (EGMR Urt. v. 24.06.2004, NJW 2004, 2647, Rn. 72). noch zwischen sogenannten relativen und absoluten Personen der Zeitgeschichte unterschieden, ist heute nach den Vorgaben des Bundesgerichtshofs eine Interessenabwägung zwischen den Rechten des Abgebildeten nach Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK auf der einen Seite und den Rechten der veröffentlichenden Medien nach Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK vorzunehmen. Bei dieser Abwägung geht es, wohlgemerkt, zunächst nur um die Frage, ob das Bildnis überhaupt dem Bereich der Zeitgeschichte zugeordnet werden kann.
Teil der "Zeitgeschichte" sind im Grundsatz sämtliche Fragen von allgemeinem gesellschaftlichem Interesse (BGH Urt. v. 28.05.2013 – VI ZR 125/12), insbesondere Vorgänge des politischen Meinungskampfes (vgl. BGH Urt. v. 11.06.2003 – VI ZR 209/12). Zweifellos ist das Interesse an den im Land antreffenden Flüchtlingsströmen und den Reaktionen innerhalb der Bevölkerung gewaltig. Speziell die Vielzahl fremdenfeindlicher Kommentare bei Facebook und die vom Justizminister beklagte, laxe Löschkultur des Konzerns waren in den letzten Wochen sogar ein Kernthema der öffentlichen Debatte.
Die Bildnisveröffentlichung erfolgte in diesem inhaltlichen und zeitlichen Kontext, auch die begleitende Textberichterstattung nimmt darauf Bezug (vgl. BVerfG Beschl. v. 26.02.2008, Az. 1 BvR 1602/07, Rn. 68). Die Abwägung fällt damit klar zugunsten des öffentlichen Informationsinteresses aus, das Persönlichkeitsrecht der abgebildeten Nutzer tritt dahinter zurück, ihre Einwilligung ist nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG aufgrund des zeitgeschichtlichen Bezugs hiernach ausnahmsweise überflüssig.
Was man selbst öffentlich macht, ist nicht intim oder privat
Zu beachten ist aber noch die Rückausnahme nach § 23 Abs. 2 KUG:Falls überwiegende berechtigte Interessen des Betroffenen der Veröffentlichung entgegenstehen, ist sie trotz zeitgeschichtlichen Bezuges unzulässig. Auch in diesem Prüfungspunkt sind wiederum alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigten und gegeneinander abzuwägen (vgl. BVerG Beschl. v. 26.04.2001 – 1 BvR 758/97). Dabei kommt die sogenannte Sphärentheorie zur Anwendung. Ihr zufolge ist die Schutzwürdigkeit des Betroffenen unterschiedlich ausgeprägt, je nachdem, in welcher Sphäre (Intim-, Privat-, Sozial- oder Öffentlichkeitssphäre) der Eingriff stattgefunden hat (BGH, Urt. v. 20.12.2011, Az. VI ZR 261/10). Die Betroffenen wurden von der Bild-Zeitung gerade deshalb an den Pranger gestellt, weil sie ihre fremdenfeindlichen Ansichten zuvor bei Facebook in für jedermann sichtbaren Kommentaren veröffentlicht hatten. Damit kommen Eingriffe in die Intim- und Privatsphäre von vornherein nicht in Betracht. Die Sozialsphäre ist der Bereich, in dem sich die persönliche Entfaltung von vornherein im Kontakt mit der Umwelt vollzieht. Dies ist vorliegend der Fall. Bei der Kundgabe einer politischen Meinung auf Facebook ist die Sozialsphäre mit Sicherheit betroffen, wenn der Verfasser sie sämtlichen Nutzern des Netzwerks (und nicht nur seinen Freunden) sichtbar macht (vgl. BGH, Urt. v. 20.12.2011, Az. VI ZR 261/10).
Eine Veröffentlichung von Bildnissen aus der Sozialsphäre ist immer dann zu unterlassen, wenn dadurch schwerwiegende Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht des Abgebildeten drohen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, ob die Veröffentlichung in zutreffender und sachlich gehaltener Art und Weise erfolgt ist und welche Nachteile der Betroffene aufgrund der konkreten Art und Weise der Berichterstattung zu erdulden bzw. zu befürchten hat.
2/2: "Wer Hass sät, wird Gewalt ernten"
Der Artikel der Bildzeitung ist in etwa so sachlich, wie man es von ihr gewohnt ist. Ein Satz sticht aus der Berichterstattung aber deutlich heraus. Die Bild nimmt Bezug auf den offen ausgesprochenen Hass in den Kommentaren und führt fort: "Und wer Hass sät, wird Gewalt ernten". Man kann ihn als Mahnung verstehen, die öffentliche Hetze könne in Gewalt gegen Flüchtlinge (und ihre Sympathisanten) umschlagen, wie dies beispielsweise im Fall der Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker ja auch geschehen ist. Der Satz könnte aber auch als Drohung verstanden werden - linksradikale Aktivisten etwa könnten die "Vorarbeit" der Bild nutzen, um die identifizierten und an den Pranger gestellten Facebook-Nutzer körperlich anzugreifen. Einen Tag nach der Veröffentlichung legte die Bild-Zeitung noch einen drauf und suchte die Kommentaren auf. Dabei wurde neben den Namen auch der Wohnort aufgezeigt. Die Erfahrung zeigt, dass solche Berichte das Risiko potenzieller Angriffe durch die noch einfachere Identifizierbarkeit weiter verstärken.
Ein Aufruf zur Gewalt würde ohne Zweifel dazu führen, dass die berechtigten Interessen der Betroffenen auf körperliche Unversehrtheit überwiegen und einer zulässigen Berichterstattung entgegenstehen. Da die Bild sich in ihren weiteren Ausführungen aber klar gegen die Gewaltaufrufe durch die fremdenfeindlichen Facebook-Nutzer positioniert und zudem als Zweck ihrer Pranger-Berichterstattung ein Tätigwerden der zuständigen Staatsanwaltschaft statt eines aufgebrachten Lynchmobs fordert, ist diese Lesart wohl eher fernliegend.
Die Tatsache, dass aufgrund des Artikels möglicherweise staatsanwaltliche Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet werden, tangiert die schützenswerten Interessen der Abgebildeten indessen nicht, da die Verfolgung von (etwaigen) Straftaten in einem Rechtsstaat gerade gewollt ist.
Konfrontation haben die Hetzer selbst gesucht
Geht man davon aus, dass die Kommentatoren sogar nur in der Öffentlichkeitssphäre betroffen sind, weil sie sich mit ihren Kommentaren gezielt der Öffentlichkeit zugewendet haben, um ihr Gedankengut zu verbreiten, wäre ein überwiegendes berechtigtes Interesse der Abgebildeten sehr schnell zu verneinen. Dieser Bereich verdient nach den Vorgaben der Rechtsprechung den geringsten Schutz; das Persönlichkeitsrecht hat dort grundsätzlich zurückzutreten.
Als weiteres Argument für die Zulässigkeit der Veröffentlichung der Bilder könnte die Zeitung vorbringen, dass die Berichterstattung einen besonderen Bezug zum demokratischen Prozess in Deutschland hat (BVerfG, Beschl. v. 26.04.2001, Az. 1 BvR 758/97). Es ist durchaus vertretbar, dass die immer stärker werdende Hetze gegen Fremde und Fremdes bei Facebook ein Thema ist, welches die Öffentlichkeit mit Rücksicht auf die für die Demokratie wichtige öffentliche Meinungsbildung wesentlich betrifft (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21.08.2006, Az. 1 BvR 2606/04).
Abschließend ist hinsichtlich der Veröffentlichung die Rolle und das Verhalten der Abgebildeten von Bedeutung. Es ist insofern Sache des Betroffenen selbst, zu bestimmen, was seinen sozialen Geltungsanspruch in der Öffentlichkeit ausmachen soll. Durch die freiwillige Preisgabe ihres eindeutigen Gedankenguts bei Facebook in konfrontativer Art und Weise, haben die Hetzer sich ihrer Privatsphäre selbst begeben. Auch wenn es bei der Prüfung auf den jeweiligen Inhalt und Kontext des einzelnen Kommentars ankommt, kann man zumindest in Bezug auf die heftigsten und strafrechtlich relevanten Kommentare ohne jeglichen Zweifel von einem Zurücktreten des Persönlichkeitsrechts ausgehen. Dies gilt auch in Bezug auf die veröffentlichten Namen, welche von den Nutzern zuvor ebenfalls freiwillig preisgegeben wurden. Das Namensrecht nach § 12 BGB tritt aber aufgrund der aufgezeigten Vorgaben ebenfalls zurück (vgl. BGH Urt. v. 18.11.2010 – I ZR 119/08). Wer durch sein konkretes Verhalten bewusst Anlass für eine kritische Berichterstattung gibt, muss sich diese Kritik auch in erhöhtem Maße gefallen lassen. Auch wenn es mit den Mitteln der Bildzeitung geschieht.
Der Autor Dr. Niklas Haberkamm, LL.M. oec. ist Partner der Kanzlei Lampmann, Haberkamm & Rosenbaum in Köln. Er ist spezialisiert auf Medienrecht und dort insbesondere auf das Reputationsmanagement sowie den Schutz des Persönlichkeitsrechts.
Niklas Haberkamm, Der "Pranger der Schande" bei Bild und das Persönlichkeitsrecht: Gehetzte Hetzer – Rache der Gerechten? . In: Legal Tribune Online, 22.10.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17296/ (abgerufen am: 21.09.2023 )
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