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Rechtswissenschaftler veröffentlicht Buch über Gotham City: "Die Batman-Filme sind reich an ver­fas­sungs­recht­li­chen Pro­b­lemen"

Interview von Dr. Markus Sehl

27.03.2022

Robert Pattinson bei der Premiere von "Batman" am 1. März 2022 in new York

Robert Pattinson spielt den aktuellen "Batman", hier ist er bei der Premiere in New York. Wie nah an der Realität solcher globaler Megastädte ist Gotham City?  Foto: picture alliance / Everett Collection | Kristin Callahan/Everett Collection

Warum sich Juristen für die Batman-Stadt interessieren sollten, erklärt Daniel Damler im Interview. Zur Zukunft von Megastädten, der Architektur des Ausnahmezustands und einem staatsrechtlich problematischen Superhelden. 

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Herr Dr. Damler, vor einigen Wochen kam der neue Batman-Film ins Kino und Sie haben ein Buch über den Schauplatz Gotham City veröffentlicht.  Warum sollten sich Juristinnen und Juristen für die Batman-Stadt interessieren?

Daniel Damler: In Gotham City tauchen eine ganze Reihe von Phänomenen auf, die uns Juristen interessieren: Der Ausnahmezustand, das Versagen staatlicher Institutionen, Gefahren für die Demokratie und nicht zuletzt moralische Grenzfälle in der Entscheidung über Leben und Tod. In den Häuserschluchten tauchen Superbösewichte auf, die mit brutalen Einfällen die Stadtgesellschaft verunsichern und letztlich zerstören wollen. Ein Karnevalsumzug lockt Schaulustige mit Geldgeschenken an, nur um sie dann mit Giftgas zu bedrohen. Terrorakte animieren zu einer totalen Überwachung der Bürger. Gotham City steht als Schauplatz in allen Batman-Filmen und in den meisten Comics im Mittelpunkt der Geschichte und wirkt wie ein Brennspiegel von Entwicklungen, die wir in unserer Wirklichkeit beobachten können. 

Wie nah an der Realität globaler Megastädte ist Gotham City? 

In vielerlei Hinsicht ist Batmans Stadt wenig realistisch, aber es gibt Aspekte dieser Megastadt, die irgendwann real werden könnten. Gotham City ist eine Art Stadtstaat. Sie soll, das legen einige Filme nahe, zwar Teil der USA sein. Aber eigentlich spielt der Staat keine Rolle, die städtischen Institutionen sind auf sich gestellt. Gotham City ist eine Stadt ohne Hinterland. Wenn die Prognosen einiger Demographen zutreffen, wird in achtzig Jahren ein Viertel der Weltbevölkerung in den 100 größten Städten leben. Man kann sich vorstellen, dass urbane Zentren mit 80 Millionen Einwohnern auch rechtlich eine Herausforderung darstellen. Darauf hat unlängst Ran Hirschl hingewiesen. Die stilbildenden Verfassungen der USA, Frankreichs oder das deutsche Grundgesetz sind für Flächenstaaten konzipiert. Sie berücksichtigen – wenngleich in unterschiedlichem Maße – föderale Strukturen, Länder, Gemeinden, sodass innerhalb des Staates vielfältige Machtbalancen bestehen. Wenn Stadt und Land, Metropolregion und Peripherie durch kein gemeinsames Band mehr verbunden sind, entsteht eine neue Situation, die möglicherweise staatsrechtlich neue Antworten erfordert.  

Daniel Damler, Foto: Privat

"Rechtgeschichtlich gibt es für Kriseninstitutionen mit außerordentlichen Befugnissen durchaus Vorbilder" 

Wie würden Sie die fiktive Stadt Gotham City beschreiben? 

Gotham City ist eine fortwährend bedrohte Stadt, sie befindet sich in einem permanenten Ausnahmezustand. Sie hat mit einer überwältigenden Kriminalität zu kämpfen. In den Straßen der Stadt wird zerstört, geraubt und gemordet. Die Polizei kommt kaum hinterher und ist auch noch überwiegend korrupt. Zu diesen Dauerkrisen gesellen sich punktuelle Gefährdungen, etwa Terrorakte. Die Schurken drohen damit, eine Atombombe in der Stadt zu zünden, öffentliche Gebäude zu sprengen oder ganze Stadtviertel zu verseuchen. Die ohnehin überforderten Institutionen geraten durch diese zusätzlichen Herausforderungen endgültig an ihre Grenzen – und so wird der Ruf nach einem außerstaatlichen Retter laut, dem Batman. 

Ein Milliardär, der auf Zuruf in eine Fledermausausrüstung schlüpft und die Stadt und ihre rechtstreuen Bürgerinnen und Bürger rettet – sich aber nicht an Gesetze halten muss. Staatsrechtlich ein eher suspektes Subjekt, oder? 

Ja und nein. Rechtgeschichtlich gibt es für Kriseninstitutionen mit außerordentlichen Befugnissen durchaus Vorbilder. In Rom konnte in existentiellen Notlagen ein Diktator eingesetzt werden, ein außerordentliches Amt, das mit keinem der regulären Staatsorgane zu vergleichen und nicht an die normalen Verfahrensabläufe gebunden war. Die Dauer seines Einsatzes war streng begrenzt, dafür hatte der Amtsinhaber umfassende Vollmachten.  

Aus unserer heutigen Perspektive eine gruselige Vorstellung. 

Ich würde auch nicht für die Einrichtung einer solchen Institution plädieren. Für Rom muss man aber wohl sagen, dass die Diktatur eine Zeit lang die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt hat.  Die bei militärischen Konflikten essentielle Beschleunigung der Verfahren und der Entscheidungsfindung wurde erreicht, ohne dass sich aus der Diktatur eine langfristige Alleinherrschaft entwickelte. Der in der Mitte des 5. Jahrhunderts v. Chr. zum Diktator ernannte Cincinnatus soll sein Amt in dem Moment niedergelegt haben, in dem er die ihm übertragenen Aufgaben erfüllt hatte, obwohl seit seiner Ernennung nur wenige Wochen vergangen waren.  Erst in der späten Republik geriet das Amt in Misskredit, doch das lag weniger an dem Amt selbst als an den geänderten gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen. Auch der Staatsphilosoph Niccolò Machiavelli hat noch zu Beginn der Neuzeit ein solches Institut neben den regulären Staatsorganen empfohlen. Auf unser modernes demokratisches System unter dem Grundgesetz lässt sich das nicht übertragen. Aber andere westliche Staaten mit Präsidialsystemen wie etwa die USA sind deutlich stärker auf die Macht einer Person zugeschnitten. In Krisenzeiten kann das unter Umständen von Vorteil sein, so dass Anpassungen nicht ganz auszuschließen sind.  

Wie könnte das aussehen? 

Wir können am Beispiel sowohl der Coronapandemie als auch des Ukraine-Krieges besichtigen, wie schnell politische Grundsätze über den Haufen geworfen werden, wenn es an die Substanz oder sogar Existenz des Staates geht. Und – zum Glück – haben wir in Deutschland noch nicht ausprobieren müssen, ob sich im Kriegsfall die im Grundgesetz vorgesehenen Strukturen bewähren. Die Fantasien des Außergesetzlichen, die in Hollywood-Filmen durchgespielt werden, dürfen wir nicht aus den Augen verlieren. Auch weil solche alternativen Modelle im Kino einem Massenpublikum vorgeführt werden. Das sollten wir ernst nehmen. 

"Auch Filme können in der Bevölkerung Rechtsvorstellungen erzeugen" 

Sie sehen also eine Gefahr, wenn der Batman als letzte außerrechtliche Rettung vorgestellt wird? 

Die Figur des Batmans ist offenkundig hoch problematisch, da sie im Graubereich zwischen Rache, Selbstjustiz und zivilgesellschaftlichem Engagement operiert. Eine wirkliche demokratische Legitimation kann Batman nicht vorweisen. Es handelt sich zwar nur um Filme, aber immerhin um Filme, die ein Millionen- und Milliardenpublikum erreichen. Auch Filme können in der Bevölkerung Rechtsvorstellungen erzeugen, die langfristig das Rechtsbewusstsein prägen. 

Sie sind Rechtswissenschaftler und haben sich für Ihr Buch die Architektur der fiktiven Stadt genauer angeschaut. Was kann man aus Bauwerken über Normen und Normativität erfahren?  

Gebäude sind mit bestimmten Institutionen verknüpft: Das gewaltige Rathaus, die Konzernzentrale, die furchteinflößende Psychiatrie und das Gefängnis. Sie sind im Stadtbild präsent und haben eine Wirkung auf die Stadtbevölkerung. Sie halten Normen und Institutionen präsent. Und umgekehrt kann ihre Umwidmung oder ihre Zerstörung Ängste erzeugen. In den Batman-Filmen vermitteln die Schauplätze wichtige Botschaften, sie transportieren einen Teil der Geschichte. Nehmen wir zum Beispiel Wayne Manor, ein riesiges Herrenhaus und der Rückzugsort Batmans. Oder den Wayne Tower, ein Wolkenkratzer, der an Fritz Langs berühmten "Metropolis"-Film erinnert. Aus diesem Unternehmen kommen die Ressourcen für Batmans Einsätze. Und dieser Konzernturm steht für die Vermischung von privaten und öffentlichen Belangen. Das Gebäude ist damit ein Sinnbild für die Verschmelzung politischer und ökonomischer Autorität, wie wir sie in der Wirklichkeit bei Großunternehmen kennen. 

"Erinnert fast an ein juristisches Lehrbuch" 

Sie haben sich bislang mit der Geschichte der europäischen Expansion in der frühen Neuzeit und mit den Wechselwirkungen zwischen Recht und Ästhetik beschäftigt. Wie kamen Sie auf Batmans Gotham City?

Als ich die Batman-Filme des Regisseurs Christopher Nolan sah, fiel mir auf, dass diese sehr reich an staats- und verfassungsrechtlichen Problemen sind und insoweit fast an ein juristisches Lehrbuch erinnern. Ein Beispiel: Der Joker, einer der Gegenspieler Batmans, will die Bürger gegeneinander ausspielen. Er stiftet Chaos in der Stadt und als sich einige Bürger im Hafen auf eine Fähre gerettet haben, erfahren sie, dass ihr Schiff vermint ist. Ebenso wie ein zweites Schiff auf dem Wasser, das Strafgefangene transportiert. Der Joker stellt beide Gruppen vor die Wahl. Sie können innerhalb einer halben Stunde per Fernzünder das jeweils andere Boot explodieren lassen und das eigene Leben retten bzw. zum Opfer der anderen Gruppe werden. Verstreicht die Frist ohne tödliche Entscheidung, wird der Joker beide Schiffe sprengen. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die Essenz eines demokratischen Systems: Bürger müssen einander ein Grundvertrauen entgegenbringen. Sonst ist kein Staat zu machen. Das sind zentrale Probleme, die auch am Anfang des Jurastudiums thematisiert werden oder jedenfalls thematisiert werden sollten, etwa in den Anfängervorlesungen im Öffentlichen Recht oder im Strafrecht.  

Campus Verlag

Im Prinzip leben die Batman-Filmen doch von diesem Muster: Wenn es der Stadt so richtig schlecht geht, muss Batman ran, eine deprimierende Einsicht für die Einwohner. Kann es in der Batman-Reihe überhaupt so etwas wie demokratische Hoffnung geben?  

In Gotham City scheint es leider notwendig, immer wieder diese staatsrechtlich hochproblematische Superheldenfigur einzusetzen. Es gibt aber in den Filmen von Nolan eine Zeit, in der die Stadt für acht Jahre ohne Batman auskommt. In dieser Zeit gewinnen die Verwaltung und die Polizei das Vertrauen in die eigene Stärke und Kompetenz wieder zurück. Die Stadt funktioniert wie eine normale Stadt. Dass das überhaupt thematisiert wird, finde ich schon beachtlich. Allerdings wird diese hoffnungsvolle Entwicklung wieder von den Zwängen der Dramaturgie eingeholt. Im dritten Teil der Nolan-Reihe sorgt das Auftauchen überlegener Terroristen dafür, dass die Bewohner wieder den berühmten Suchscheinwerfer anwerfen und Batman zu Hilfe rufen müssen. Das ist demokratietheoretisch nicht schön, aber dramaturgisch wohl zwingend. Ein Batman-Film ohne Batman funktioniert nicht. Allerdings, allein Batmans Existenz, seine Verfügbarkeit schwächt die regulären Institutionen, namentlich die Polizei. Auch wenn Batman Rettung verspricht, er schwächt die Stadt mit jedem Einsatz zugleich. Ein Teufelskreis.
 
Daniel Damler ist Privatdozent an der Juristischen Fakultät der Universität Tübingen und assoziierter Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Rechtsgeschichte und Rechtstheorie in Frankfurt am Main. Sein Buch "Gotham City – Architekturen des Ausnahmezustands" ist im März 2022 im Campus Verlag erschienen, Preis 25,00 Euro.

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Rechtswissenschaftler veröffentlicht Buch über Gotham City: . In: Legal Tribune Online, 27.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47952 (abgerufen am: 18.05.2025 )

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