Veräußert ein deutsches Unternehmen einen Betriebsteil an eine Schwestergesellschaft in der Schweiz, kann dies ein Betriebsübergang sein. Kündigungen wegen "Betriebsstillegung" sind dann unzulässig. Arbeitgeber gehen auf Nummer sicher, wenn sie Mitarbeitern auch bei grenzüberschreitenden Verlagerungen eine Weiterarbeit anbieten. Von Markus Kappenhagen.
In dem Urteil vom 26. Mai 2011 befasste sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit einer Betriebsverlagerung über 59 km von Südbaden in die Schweiz (Az. 8 AZR 37/10). Dabei hatte das Unternehmen dem späteren Kläger mit dem Argument der Stilllegung eines Teilbetriebs gekündigt.
Auslöser war, dass der Arbeitgeber die Produktion von Ventilen einstellte. Sämtliche Maschinen und Werkzeuge sowie das Lager und die bestehenden Aufträge wurden auf die nur kurz hinter der Schweizer Grenze ansässige Schwestergesellschaft übertragen. Die Fahrtzeit dorthin betrug mit dem Auto 45 Minuten. Auch den Kunden war mitgeteilt worden, dass die Aktivitäten nunmehr in der Schweiz konzentriert würden.
Die Erfurter Richter entschieden, dass deshalb der Betrieb nicht stillgelegt, sondern von dem Unternehmen in der Schweiz fortgeführt wurde. Weil ein Arbeitgeber wegen eines Betriebsübergangs aber nicht kündigen darf, war die Kündigung des betroffenen Mitarbeiters unwirksam.
Frage der Betriebsidentität in der modernen Arbeitswelt umstritten
Die Entscheidung klingt wegen ihrer grenzüberschreitenden Wirkung spektakulär, wirklich neu ist die Haltung des BAG jedoch nicht. Schon 1989 hatte das Gericht einen Betriebsübergang ins Ausland für möglich gehalten - zumindest für die Arbeitnehmer, die bereit waren, den Umzug mitzumachen. Damals ging es sogar über eine Strecke von über 1.200 Autobahnkilometern von Berlin ins französische Lyon (Urt. v. 20.04.1989, 2 AZR Az. 431/88). 2003 bejahte das Landesarbeitsgericht Hamburg einen Betriebsübergang von Hamburg nach Irland (Urt. v. 22.05.2003, Az. 8 Sa 29/03).
Diese Rechtsprechung wurde in der arbeitsrechtlichen Literatur vielfach kritisiert. Urteile aus Frankreich und England (dort ging es sogar um eine Verlegung von Birmingham nach Israel) liegen allerdings auf der gleichen Linie.
Maßgeblich ist, dass die Beibehaltung der Identität eine Voraussetzung für einen Betriebsübergang darstellt. Dabei kann man sicher darüber streiten, ob die Identität eines Betriebes nicht auch durch die räumliche Situation und Lage geprägt wird und ob sie bei einer Verlegung nicht verloren geht - jedenfalls wenn es sich um eine erhebliche Wegstrecke von mehreren hundert Kilometern handelt.
Bei Produktionsbetrieben – wie in dem aktuell vom BAG entschiedenen Fall – wird die Identität außerdem nur gewahrt, wenn Maschinen und Werkzeuge vom Erwerber übernommen werden. Auf der anderen Seite ist zum Beispiel bei modernen Medien- oder Kommunikationsunternehmen nicht zu leugnen, dass die Tätigkeit grundsätzlich überall und unabhängig von einer bestimmten Betriebsstätte ausgeübt werden kann. In solchen Fällen kann man wirklich davon sprechen, dass der Betrieb bei einer Nutzung der gleichen IT-Infrastruktur an einem neuen Ort unter Wahrung seiner Identität im Wesentlichen unverändert fortgeführt wird.
Kein Betriebsübergang liegt hingegen vor, wenn ein Outsourcing-Dienstleister nicht die wirtschaftliche Einheit, sondern nur einzelne Tätigkeiten "übernimmt". Dann handelt es sich um einen bloßen "Funktionsübergang".
Kündigen oder Umzug anbieten?
Künftig müssen Unternehmen diese Überlegungen jedenfalls bei Betriebsverlagerungen und Unternehmenskäufen wohl in die Planungen einbeziehen. Wer auf Nummer sicher gehen will, darf keine Beendigungskündigung wegen Stilllegung aussprechen, sondern muss die Mitarbeiter über einen Betriebsübergang informieren – inklusive des Hinweises auf die "rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs" (§ 613a Abs. 5 Nr. 3 Bürgerliches Gesetzbuch). Bei einer größeren Entfernung zum Erwerberbetrieb wird wohl auch eine Änderungskündigung auszusprechen sein.
Fraglich ist, ob dies dann allerdings von den Arbeitnehmern als ernsthaftes Angebot zur Weiterarbeit verstanden wird. So hieß es bei der "Verlegung" des Bochumer Nokia-Werkes nach Rumänien Anfang 2008, Nokia habe den Mitarbeitern angeboten, in Rumänien weiterzuarbeiten. Die Betriebsratsvorsitzende hielt dies laut Medienberichten für "einen Witz".
Natürlich muss ein Umzug im Rahmen einer Betriebsverlagerung für den Mitarbeiter mit Familie und anderen privaten Lebensumständen vereinbar sein. Und selbstverständlich wird er wissen wollen, ob für sein auf einen ausländischen Arbeitgeber übergegangenes Arbeitsverhältnis künftig weiter deutsches Recht gilt oder ob er sich nach den für ihn oft weniger günstigen ausländischen Gesetzen behandeln lassen muss. Diese Frage musste das BAG im aktuellen Fall allerdings nicht entscheiden, so dass hier noch viele Fragen offen sind - zum Beispiel zu den Themen Sozialversicherung, Kündigungsschutz oder betriebliche Altersversorgung.
Auf Arbeitgeberseite schließlich sollte das veräußernde Unternehmen Gewissheit darüber haben, ob das andere Unternehmen überhaupt damit einverstanden ist, dass die Angelegenheit als Betriebsübergang behandelt wird. Über diese Frage können beide Unternehmen zwar keine Vereinbarung abweichend von der Sachlage treffen, Gleichwohl spielt sie für die Haftungs- und Kostenübernahme eine wichtige Rolle.
Dr. Markus Kappenhagen ist Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Baker & McKenzie in Düsseldorf.
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Markus Kappenhagen, BAG zum Betriebsübergang: . In: Legal Tribune Online, 16.06.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3522 (abgerufen am: 16.10.2024 )
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