Sollte man kennen: 7 Entscheidungen des BAG aus 2020

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Es dauert eine Zeit, bis gesetzliche und gesellschaftliche Veränderungen an den obersten Gerichten ankommen. In diesem Jahr entschied das BAG nun erstmals zum EntgTranspG und über den Arbeitnehmerstatus von Crowdworkern.
Crowdworker sind (manchmal) Arbeitnehmer:innen
Das Urteil des BAG zum Crowdworker war einer der Kracher des Jahres 2020. Der Mann bekam seine Aufträge per App und kontrollierte dann Waren in einem Supermarkt. Nach Unstimmigkeiten beendete das Unternehmen die Zusammenarbeit mit ihm, der Mann erhob Kündigungsschutzklage. Nachdem er in den beiden Vorinstanzen unterlegen war, erklärte das BAG ihn zum Arbeitnehmer (Urt. v. 01.12.2020, Az. 9 AZR 102/20).
Es ist nicht das Ende dieses Geschäftsmodells, bei dem Menschen nach entsprechendem Auftrag per App Taxi fahren, Supermarktregale kontrollieren oder E-Roller einsammeln. Nach dem BAG ist die – von den Plattformen weitgehend erhoffte - Annahme der Selbstständigkeit bei diesem Personenkreis aber nicht zwangsläufig, im Gegenteil. Auch bei Crowdworkern kommt es für die Abgrenzung zwischen Selbstständigkeit und Arbeitnehmereigenschaft auf die im Arbeitsrecht üblichen Kriterien an: die Leistung von weisungsgebundener und fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit.
Freie Mitarbeiter:innen fallen (manchmal) unter das EntgTranspG
Die ehemalige Frontal-21 Redakteurin Birte Meier hat Rechtsgeschichte geschrieben: Auf ihre Klage hin hat das BAG entschieden, dass auch arbeitnehmerähnliche Beschäftigte wie freie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen unter das Entgelttransparenzgesetz (EntgTranspG) fallen können (Beschl. v. 25.06.2020, Az. 8 AZR 145/19).
Meier geht es um die finanzielle Gleichstellung. Die preisgekrönte Journalistin hatte erfahren, dass sie schlechter bezahlt wird als männliche Kollegen mit kürzerer Betriebszugehörigkeit und Berufserfahrung. Doch die Vorinstanzen entschieden, sie habe als feste Freie schon keinen Auskunftsanspruch gegen ihren Arbeitgeber nach dem EntgTranspG. Ohne diesen Anspruch kann sie vom Arbeitgeber aber keine Informationen über die Höhe der Gehälter in vergleichbaren Positionen bekommen – und damit auch keine strukturelle Diskriminierung nachweisen. Das BAG hingegen billigte ihr diesen Anspruch zu, zwar gegen den Wortlaut des Gesetzes, aber mit Blick auf das Ziel der zugrunde liegenden europäischen Richtlinie.
Pauschales Kopftuchverbot ist diskriminierend
Der Dauerbrenner Kopftuch-Verbot ist noch immer nicht für alle Arbeitsbereiche geklärt. Fest steht aber jetzt: Das pauschale Verbot religiöser Kleidungsstücke in Schulen, wie es im Berliner Neutralitätsgesetz geregelt war, ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in die Religionsfreiheit (BAG, Urt. v. 27. 08.2020, Az. 8 AZR 62/19). Geklagt hatte eine Lehrerin, die wegen ihres Kopftuchs nicht in den Schuldienst eingestellt worden war. Sie sah darin eine Diskriminierung und klagte auf Entschädigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Wegen der Verfassungswidrigkeit der Norm im Berliner Neutralitätsgesetz war die Regelung verfassungskonform so auszulegen, dass das Verbot nur im Fall einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität gilt. Eine solche Gefahr hatte das Land Berlin aber nicht dargelegt. Das hatte das Bundesverfassungsgericht bereits in einer Entscheidung klargestellt, die sich auf ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen in Nordrhein-Westfalen bezog.
Fahrzeiten sind im Außendienst Arbeitszeit
Die Fahrt zur Arbeit ist für die meisten Arbeitgeber keine Arbeitszeit. Anders jedoch ist das bei Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen im Außendienst: Selbst, wenn diese von zuhause aus sofort zum ersten Kunden fahren, muss der Arbeitgeber diese Zeit zumindest teilweise vergüten. Diese Regel darf auch nicht durch eine Betriebsvereinbarung abbedungen werden, entschied das BAG (Urt. v. 18.03.2020, Az. 5 AZR 36/19).
Die Entscheidung hat erhebliche Auswirkungen auf Unternehmen mit Außendienstmitarbeitenden und Servicetechnikern. Wie deren erste An- und letzte Abfahrt vergütungstechnisch behandelt wird, ist regelmäßig Gegenstand von Diskussionen zwischen Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen auf der einenund dem Betriebsrat auf der anderen Seite und wird nicht selten in betrieblichen Vereinbarungen geregelt – die jetzt der Vergangenheit angehören dürften.
Keine Entgeltlisten für den Betriebsrat
Auch ein Betriebsrat zog wegen des EntgTranspG bis zum BAG. Er wollte die Entgeltlisten des Unternehmens zur Auswertung haben, weil er meint, für die Durchsetzung der Lohngleichheit zuständig zu sein. Der Arbeitgeber gewährte dem Betriebsrat zwar Einblick in eine nach Geschlecht aufgesplittete Bruttoentgeltliste. Zur Auswertung überließ er die Liste dem Betriebsrat aber nicht.
Zu Recht, entschied das BAG (Beschl. v. 28.07.2020, Az. 1 ABR 6/19), dem Betriebsrat stehe nicht einmal ein Einsichts- und Auswertungsrecht der Entgeltlisten nach § 13 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG zu. Denn der Arbeitgeber habe die Auskunftsansprüche der Mitarbeitenden selbst beantwortet – damit treffe den Betriebsrat keine Auskunftsverpflichtung. In diesem Fall könne der Betriebsrat daher erst recht keine physische Überlassung der Listen über die Bruttolöhne und -gehälter vom Arbeitgeber verlangen, so das BAG.
Dass Einsichtsrechte des Betriebsrates wirklich lediglich Einblicksrechte sind und keinen Anspruch auf Überlassung der Entgeltlisten auf Dauer beinhalten, musste der Senat erst in einer dritten Entscheidung zum EntgTranspG urteilen (BAG, Urt. v. 29.09.2020, Az. 1 ABR 32/19). Diese Frage hatte der Senat bei seinem Beschluss im Juli noch offenlassen können.
Auskunftsanspruch zu Vermittlungsversuchen
Kündigungen werden häufig ausgesprochen - und sind oft unwirksam. Das Risiko der Lohnnachzahlung trägt in dem Fall der Arbeitgeber. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen sindt allerdings verpflichtet, sich anderweitig eine Erwerbsmöglichkeit zu beschaffen und dafür das Jobcenter zu konsultieren. Ob sie dies tatsächlich gemacht haben, konnte ein Arbeitgeber bisher nicht überprüfen.
Das BAG hat Arbeitgebern und Arbeitgeberinnen nun erstmals einen entsprechenden Auskunftsanspruch gegen ihre Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zugesprochen und seine bisherige Rechtsprechung dazu geändert (Urt. v. 27.05.2020, AZ: 5 AZR 387/19). So können diese ein böswilliges Unterlassen anderweitigen Erwerbs besser beurteilen und erforderlichenfalls auch beweisen. Für Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen wird es dadurch einfacher, die Höhe der Annahmeverzugslohnansprüche zumindest zu begrenzen.
Der Sportlehrer an der Mädchenschule
Und dann gab es vor dem BAG noch einen AGG-Fall, der schnell Eingang in eine mündliche Prüfung finden könnte: Eine Walddorfschule in Bayern suchte für den Sportunterricht der Mädchen explizit nach einer weiblichen Pädagogin. Das missfiel einem erfahrenen Lehrer – er klagte wegen Diskriminierung auf Entschädigung nach dem AGG. Und bekam vom BAG Recht: Auch ein Sportlehrer könne Mädchen unterrichten, entschied der 8. Senat (Urt. v. 19.12.2019 Az. 8 AZR 2/19).
Zwar gebietet der Lehrplan für bayerische Schulen eine geschlechtsspezifische Erteilung des Sportunterrichts, doch das vermochte die Entscheidung der Waldorfschule nicht zu retten: Die Ungleichbehandlung wegen des Geschlechts war hier nach Ansicht des BAG nicht gerechtfertigt. Zumindest habe die Waldorfschule nicht darlegen können, dass für die Stelle das weibliche Geschlecht eine wesentliche und entscheidende sowie angemessene berufliche Anforderung iSv. § 8 Abs. 1 AGG darstelle.