Schickt der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer vorübergehend ins Ausland, muss er die Reisezeiten sowohl hin als auch zurück in der Regel vergüten, entschied das BAG. Martin Gliewe erläutert, warum es aktuell trotzdem noch Unwägbarkeiten gibt.
Arbeitnehmer international agierender Unternehmen gehen immer häufiger auf Dienstreise ins Ausland. Damit rückt auch die Frage in den Fokus, ob eine solche Reisetätigkeit zu vergüten ist. Gelegentlich finden sich hierzu Regelungen in Tarif-, bisweilen auch in Arbeitsverträgen. Was gilt aber, wenn – wie meist – eine klare vertragliche Regelung fehlt? Das Bundesarbeitsgericht (BAG, Urt. v. 17.10.2018, 5 AZR 553/17) hatte nun zu entscheiden, ob Reisezeiten, die über die reguläre Arbeitszeit hinausgehen, zu vergüten sind.
Dabei war auch zu klären, ob der einschlägige Rahmentarifvertrag für die Angestellten und Poliere des Baugewerbes (RTV-Bau) und die darin enthaltene Vergütungsregelung auch für Flugreisen ins Ausland gelten. Vor diesem Hintergrund ist auch nach der Entscheidung des BAG vom Mittwoch noch nicht klar, ob der Leitsatz des BAG, wonach Reisezeiten ins und aus dem Ausland in der Regel zu vergüten sind, ohne Einschränkung stehen bleiben kann.
Streit: Was passiert mit Reisezeit, die über Arbeitszeit hinausgeht?
Im vom BAG entschiedenen Fall machte der als Bauleiter auf verschiedenen wechselnden Baustellen tätige Arbeitnehmer die Vergütung von Überstunden für die Reise von Deutschland zu einem Projekt in China geltend. Für das Arbeitsverhältnis galt der RTV-Bau, der für die An- und Abreise zu bzw. von Arbeitsstellen ohne eine tägliche Heimfahrt ab einer bestimmten Entfernung vom Betrieb für die erforderliche Reisezeit einen Anspruch auf Fortzahlung des Gehalts vorsah. Die Arbeitgeberin zahlte für die Tage, an denen die Reisen nach China stattfanden, lediglich eine Vergütung für die reguläre Arbeitszeit von acht Stunden. Die Parteien stritten infolgedessen um die Vergütung der Reisezeiten, die über diese reguläre Arbeitszeit hinausgingen.
Das Arbeitsgericht Ludwigshafen wies die Klage des Arbeitnehmers noch mit der Begründung ab, die Regelungen des RTV-Bau zur Vergütung von Reisezeiten seien nicht auf Flugreisen ins Ausland anzuwenden. Zudem scheitere ein Anspruch aus § 612 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) auf eine nach den Umständen zu erwartende Vergütung daran, dass Reisezeiten, die über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehen, durch die übertarifliche Vergütung des Arbeitnehmers bereits abgegolten seien.
Wie LAG und BAG die Sache sehen
Dies sah das Landesarbeitsgericht (LAG) Rheinland-Pfalz anders (Urt. v. 13.07.2017, Az. 2 Sa 468/16). Der RTV-Bau, der räumlich für die Bundesrepublik Deutschland gelte, finde auch vorliegend Anwendung, weil es auf den Sitz des Betriebes und nicht den Tätigkeitsort des Arbeitnehmers ankomme. Die Regelung des RTV-Bau zur Vergütung von Reisezeiten sei anwendbar, insbesondere umfasse diese auch Flugreisen ins Ausland.
Deshalb bestehe ein Vergütungsanspruch aus dem Tarifvertrag. Aufgrund der speziellen Vergütungsregelung im Tarifvertrag scheide ein (weitergehender) Anspruch – hier auf die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen – aus § 612 Abs. 1 BGB allerdings aus.
Dieser Argumentation schloss sich das BAG nun – zumindest im Grundsatz – an. Entsendet der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer vorübergehend ins Ausland, erfolgen die Reisen zur auswärtigen Arbeitsstelle und von dort zurück ausschließlich im Interesse des Arbeitgebers und sind deshalb in der Regel wie Arbeit zu vergüten, so die Erfurter Richter.
Gleichwohl konnte das BAG nicht abschließend entscheiden: Mangels ausreichender Feststellungen des LAG zum Umfang der tatsächlich erforderlichen Reisezeiten des Klägers hat es unter Aufhebung des Berufungsurteils die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückverwiesen. Unklar ist nach der Entscheidung des BAG damit noch, worauf es den Vergütungsanspruch stützt. Hierfür bleiben die schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten, bisher liegt nur die Pressemitteilung vor.
Reisezeit als Arbeitszeit? Wie das BAG bisher entschied
Nach ständiger Rechtsprechung der Erfurter Richter kommt es bei der Frage nach der Vergütungspflicht von Reisezeiten zunächst einmal nicht darauf an, ob es sich bei der Reisezeit um Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes handelt (BAG, Urt. v. 25.4.2018, 5 AZR 424/17 und Urt. v. 11.7.2006, Az. 9 AZR 519/05). Die Frage der Vergütung sei vielmehr unabhängig davon zu betrachten.
Fehlt es an einer gesonderten Regelung zur Vergütung von Reisezeiten, wird deshalb zwischen der Vergütung von Reisetätigkeiten während der regulären vertraglichen Arbeitszeit und solchen unterschieden, die über die reguläre Arbeitszeit hinausgehen. Eine Reisetätigkeit innerhalb der normalen Arbeitszeit ist deshalb grundsätzlich zu vergüten, wenn und weil die Reise auf Anweisung des Arbeitgebers erfolgt und der Arbeitnehmer infolgedessen nicht seiner eigentlichen Arbeitstätigkeit nachkommen kann.
Schwieriger gestaltet sich die Lage, wenn bei längeren Reisen die Reisezeit die reguläre Arbeitszeit überschreitet. Mangels einer speziellen gesetzlichen Regelung muss in diesen Fällen auf § 612 Abs. 1 BGB zurückgegriffen werden, der bestimmt: "Eine Vergütung gilt als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist." Angesichts dieser wenig konkreten Formulierung ist es nicht überraschend, dass in der Literatur höchst unterschiedlich beurteilt wird, ob bei einer Reisetätigkeit eine Vergütung zu erwarten ist. Teilweise wird angenommen, Reisezeiten seien aufgrund des Zeitaufwandes und der mit einer Reise verbundenen Anstrengungen immer zu vergüten. Nach anderer Meinung sei eine Vergütung für Reisezeiten in der Regel nicht zu erwarten, insbesondere nicht in Fällen, in denen sich der Arbeitnehmer zum Beispiel im Flugzeug ausruhen könne. Auch sei relevant, ob der Arbeitnehmer ein überdurchschnittliches Gehalt beziehe, sodass anzunehmen sei, das Gehalt decke Reisezeiten bereits mit ab.
Das BAG indes hat in der Vergangenheit zur Frage der Vergütung mehrfach festgehalten, dass es keinen Rechtssatz gebe, nach dem Reisezeiten stets oder regelmäßig zu vergüten seien. Eine Vergütungserwartung sei stets anhand eines objektiven Maßstabs unter Berücksichtigung der Verkehrssitte und des Einzelfalls zu beurteilen. Hiernach komme auch eine Vergütung nur eines Teils der Reisezeiten in Betracht (vgl. BAG, Urt. v. 03.09.1997, 5 AZR 428/96).
Vor diesem Hintergrund ist auch die nun vorliegende Entscheidung des BAG vorsichtig einzuordnen. Ohne die schriftlichen Urteilsgründe ist noch nicht klar, ob der dem Grunde nach zugesprochene Vergütungsanspruch auf die Regelungen des RTV-Bau oder aber die allgemeine Regelung des § 612 Abs. 1 BGB gestützt wird. Die Tatsache, dass das BAG die Sache zur weiteren Sachverhaltsaufklärung zur "Erforderlichkeit" der Reisezeiten an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen hat, deutet immerhin darauf hin, dass es die Regelung des RTV-Bau für einschlägig hält.
Was das nun für die Praxis heißt
Existiert – anders, als wohl im vorliegenden Fall – keine tarifliche oder vertragliche Regelung zur Behandlung von Reisezeiten, kann eine Vergütung für Reisezeiten allenfalls beansprucht werden, wenn hierfür eine Vergütungserwartung im Sinne des § 612 Abs. 1 BGB besteht. Um Unklarheiten und mögliche Streitigkeiten angesichts der offenen Gesetzesformulierung zu vermeiden, sind kollektiv- bzw. einzelvertragliche Regelungen zur Vergütung von Reisezeiten sinnvoll.
Doch auch dabei ist darauf zu achten, dass der Gestaltungsfreiheit Grenzen gesetzt sind. Bei einer individualvertraglichen Regelung – wie häufig – in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist beispielsweise das sogenannte Transparenzgebot nach § 307 Abs. 1 S. 2 BGB zu beachten. Entsprechend entschied das BAG in der Vergangenheit, dass eine Klausel, nach der Reisezeiten außerhalb der regulären Arbeitszeit mit der Vergütung abgegolten seien, intransparent sei, wenn nicht klar werde, welche Reisetätigkeiten genau davon erfasst werden (Urt. v. 20.04.2011, Az. 5 AZR 200/10). Auch darf durch derartige Regelungen nicht der Mindestlohn nach § 1 Abs. 1 Mindestlohngesetz unterschritten werden (vgl. BAG, Urt. v. 25.04.2018 – 5 AZR 424/17).
Der Autor Martin Gliewe ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht bei Noerr LLP in Frankfurt. Er berät Unternehmen in allen Fragen des Individual- und Kollektivarbeitsrechts, insbesondere im Rahmen von Umstrukturierungen und im Bereich Contractor-Compliance.
BAG zur Vergütung von Reisezeit bei Auslandsentsendung: . In: Legal Tribune Online, 18.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31581 (abgerufen am: 07.12.2024 )
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