Bisher ist noch nicht endgültig geklärt, ob der Standort Gorleben als ein mögliches Endlager für hochradioaktive Abfälle geeignet ist. Die Bundesregierung hält deshalb allen Protesten zum Trotz an der Erkundung des Salzstockes fest. Bis es so weit ist, werden noch Jahre ins Land gehen – es fragt sich, ob die Eigentümer dies dulden müssen.
Die friedliche Nutzung der Atomenergie steht erneut im Blickpunkt von Politik und Öffentlichkeit. Ein zentraler Streitpunkt ist die Endlagerung des bei der Nutzung von Kernkraftwerken entstehenden hochradioaktiven Abfalls. Seit 1979 wird der Salzstock Gorleben, begleitet von massiven Protesten, auf seine Eignung als Endlager erkundet. Seit dem Jahr 2000 ist die Erkundung unterbrochen (sog. Moratorium), soll aber nach den Plänen der Bundesregierung nun fortgesetzt werden.
Das Bundesamt für Strahlenschutz geht heute davon aus, dass für die weitere Erkundung noch 15 Jahre benötigt werden. Im Jahr 2015 laufen allerdings die von den Grundeigentümern und Inhabern der Salzrechte eingeräumten Nutzungsrechte aus, und es ist nicht anzunehmen, dass sie alle einer Verlängerung der Nutzungsrechte zustimmen werden.
Die Bundesregierung hat deshalb einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der unter anderem die Wiedereinführung der Möglichkeit vorsieht, Grundeigentum und Salzrechte zum Zweck der Errichtung, des Betriebs und der Erkundung von Endlagerstandorten zu enteignen.
Politik hat das Entsorgungsproblem verschlafen
Bei der Erzeugung von Strom in Kernkraftwerken wird durch die Spaltung von Atomkernen Wärmeenergie erzeugt und in elektrische Energie umgewandelt. Bei der Kernspaltung werden die verwendeten Brennstoffe in hochradioaktive Elemente umgewandelt. Dieser Atommüll besteht aus teilweise hochgiftigen Stoffen, die eine Halbwertszeit von bis zu etlichen Tausend Jahren haben, Plutonium beispielsweise ca. 24.000 Jahre.
Diese Abfälle müssen daher für sehr viele Generationen sicher aufbewahrt werden, um zu verhindern, dass schädliche Strahlung oder die Stoffe selbst in die Biosphäre gelangen und dort erhebliche Schäden anrichten. Es liegt auf der Hand, dass dies eine extrem schwer zu lösende Aufgabe ist.
Die friedliche Nutzung der Kernenergie wurde in den 1950er Jahren mit den ersten Forschungsreaktoren aufgenommen und die ersten Kernkraftwerke gingen in beiden Teilen Deutschlands in den 1960er Jahren in Betrieb, ohne dass eine Möglichkeit der Endlagerung des Atommülls existierte. Die Politik ging davon aus, dass der zu erwartende technische Fortschritt eine Lösung des Endlagerproblems erbringen würde. Ein Endlager existiert allerdings auch heute noch nicht – 50 Jahre nach Inbetriebnahme der ersten Atomkraftwerke.
Vor der Endlagerung steht die Erkundung
Zur Beantwortung der Frage, ob ein konkreter Standort als Endlager nach derzeitigem Erkenntnisstand als geeignet erscheint, sind umfangreiche Erkundungen dieses Standortes erforderlich. Derzeit ist nur ein einziger Standort für ein Endlager im Gespräch, nämlich der Salzstock in Gorleben. Das Atomgesetz enthält keine Regelungen für die Erkundung möglicher Endlagerstandorte.
Die Erkundung des Salzstockes Gorleben ist deshalb durch einen bergrechtlichen Rahmenbetriebsplan genehmigt (Erkundungsbergwerk). Die Erkundung greift in sog. alte Salzrechte ein, deren Inhaber nach niedersächsischem Recht die Grundstückseigentümer sind. Diese Salzrechte unterliegen ebenfalls dem grundrechtlichen Eigentumsschutz des Art. 14 GG.
Die Inhaber haben der Erkundung des Salzstockes zugestimmt; jedoch laufen diese Zustimmungen im Jahr 2015 aus. Es stellt sich daher die Frage, ob auf die Salzrechte auch gegen deren Willen zugegriffen werden kann (Enteignung).
Hin und Her bei den gesetzlichen Enteignungsermächtigungen
Das Atomgesetz sah in seiner ursprünglichen Fassung keine Enteignungsmöglichkeit vor. Das Bundesberggesetz, nach dem sich die Erkundung richtet, enthält zwar Möglichkeiten, auf das Eigentum Dritter hoheitlich zuzugreifen. Allerdings gilt dieses Gesetz ausschließlich für die Erkundung, so dass Enteignungen für Errichtung und Betrieb eines Endlagers hierauf von vornherein nicht gestützt werden können.
Der Gesetzgeber hält die Regelungen des Bundesberggesetzes auch für die Enteignung zum Zweck der Erkundung für unzureichend. Er hat deshalb im Jahr 1998 mit §§ 9d und 9e Regelungen in das Atomgesetz aufgenommen, die es ermöglichten, zum Zweck der Errichtung und des Betriebs von Anlagen zur Endlagerung radioaktiver Abfälle sowie zum Zweck der "vorbereitenden Standorterkundung" Grundstücke sowie Bergbauberechtigungen (hierzu zählen auch die alten Salzrechte in Gorleben) zu enteignen.
Im Jahr 2002 wurden diese Vorschriften wieder aus dem Atomgesetz gestrichen. Nach der Gesetzesbegründung wurde "für die angestrebte Erkundung von Endlagerstandorten eine auf Akzeptanz gerichtete Vorgehensweise für ausreichend erachtet" – d.h. der Gesetzgeber ging davon aus, dass die Eigentümer mit der Erkundung potentieller Endlager einverstanden sein würden; Bau und Inbetriebnahme hat die Gesetzesbegründung in diesem Zusammenhang nicht thematisiert. Die derzeitige Bundesregierung teilt diese Auffassung offenbar nicht. Um die Erkundung auch nach dem Auslaufen der Nutzungsrechte 2015 fortsetzen zu können, hat sie deshalb einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der unter anderem vorsieht, die §§ 9d und 9e wieder in das Atomgesetz aufzunehmen.
Über Enteignung entscheiden letztlich die Behörden
Nach Art. 14 Abs. 3 Grundgesetz ist die Enteignung zum Wohl der Allgemeinheit zulässig, sofern sie auf einem Gesetz beruht, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Auf dieser Grundlage sehen die für Straßen, Eisenbahnen, Flughäfen und andere Fachplanungsvorhaben geltenden Gesetze die Möglichkeit vor, für die Anlage oder für naturschutzrechtliche Kompensationsmaßnahmen benötigte Flächen zu enteignen, wenn eine Einigung mit dem Eigentümer nicht zustande kommt.
Nach dem oben Gesagten hat die Allgemeinheit ein massives Interesse an einer ordnungsgemäßen und möglichst sicheren Entsorgung. Dies gilt auch für die Standorterkundung, ohne die die Sicherheit eines Endlagerstandortes nicht beurteilt werden kann. Die Wiedereinfügung der Enteignungsmöglichkeit der §§ 9d und 9e in das Atomgesetz verstößt daher nicht gegen Art. 14 des Grundgesetzes. Der Einwand, eine Endlagerung im Salzstock Gorleben sei unsicher und widerspreche deshalb dem Gemeinwohl, greift nicht: Durch die Erkundung soll gerade dieser Punkt geklärt werden. Potentielle Endlagerstandorte zu erkunden dient damit grundsätzlich dem Allgemeinwohl.
Ob dies auch für die konkreten Erkundungsmaßnahmen am Standort Gorleben zutrifft, ist keine Frage der Gesetzgebung, sondern der Gesetzesanwendung im Einzelfall. Hierüber haben die Behörden nach fachlichen Kriterien und gegebenenfalls die Gerichte zu entscheiden. Ergibt die Erkundung, dass der erkundete Standort als Endlager ungeeignet ist, kommt eine weitergehende Enteignung zum Zweck der Errichtung und des Betriebs eines Endlagers jedenfalls nicht in Betracht.
Der Autor Dr. Steffen Kautz ist Rechtsanwalt in einer auf die rechtliche Beratung bei Infrastrukturprojekten spezialisierten Anwalts-Boutique in München.
Steffen Kautz, Atommüll: . In: Legal Tribune Online, 29.10.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1824 (abgerufen am: 09.12.2024 )
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