Alle Jahre kommt sie wieder, die Debatte um ein Anti-Doping-Gesetz. Ist die Zeit diesmal reif, um auf Worte Taten folgen zu lassen? Die wichtigsten Argumente für und gegen die strafrechtliche Sanktionierung der sportlichen Betrügerei stellt der Beitrag vor - in einem sportlichen Schlagabtausch zwischen einem Juraprofessor und einem früheren Bundesligaspieler und langjährigen Rechtsanwalt.
Eine strafrechtliche Sanktionierung von Dopingbetrug ist rechtlich möglich und kriminologisch sinnvoll. Die Verbände allein sind mit dem Problem überfordert, die Glaubwürdigkeit auch der fairen Sportler steht auf dem Spiel. Der Staat, der in der Vergangenheit selbst an Dopingmitteln geforscht hat und den Sport weitgehend finanziert, ist in der Pflicht, ihn auch sauber zu halten, meint Prof. Jens Adolphsen.
Eins vorweg: Einer Bekämpfung des Dopingbetrugs mit den Mitteln des Strafrechts stehen keine rechtlichen Hindernisse entgegen. Zwar ist das Strafrecht in einer liberalen Rechtsordnung immer ultima ratio. Dennoch steht es dem Gesetzgeber frei, Rechtsgüter für schutzwürdig zu erklären und ihre Verletzung zu sanktionieren. Eine solche Entscheidung ist vom Bundesverfassungsgericht bislang noch in keinem Fall für verfassungswidrig erklärt worden.
Schutzwürdige Rechtsgüter fallen nicht vom Himmel. Sie werden entdeckt, rechtlich fixiert und dann mit den Mitteln staatlichen Rechts, auch mit denen des Strafrechts, geschützt. Im Bereich des organisierten Sportes ist dies einmal der wirtschaftliche Wettbewerb, aber es sind auch – schwerer greifbar, aber deshalb nicht weniger bedeutsam – Fairness und Chancengleichheit im sportlichen Wettbewerb.
Damit konzentriert sich alles auf die Frage, ob der Staat rechtspolitisch das Mittel des Strafrechts im Dopingkampf einsetzen soll. Gerade von den Vertretern des organisierten Sports, die sich seit Jahren dagegen wehren, den Sportler zu kriminalisieren, wird die Autonomie des Sports vorgeschoben. Diese hindert aber nicht Kooperation, wenn der Sport selbst überfordert ist.
Vorstellung eines staatsfreien Sports geradezu naiv
Dies ist im Dopingkampf aktuell der Fall: trotz verbesserter Regelwerke hat Doping ein Ausmaß angenommen, das die Glaubwürdigkeit auch der sauberen Sportleistung in Frage stellt. Zu Recht hat der Präsident des Deutschen Leichtathletikverbandes, Clemens Prokop, den Staat zur Hilfestellung mit den Mitteln des Strafrechts aufgefordert. Auch der Ehrenpräsident des DOSB, Manfred von Richthofen, hat unlängst ausdrücklich hervorgehoben, dass die Unabhängigkeit des Sports nicht dadurch verletzt wird, dass der Sport den Staat in einem kriminellen Bereich um Hilfe bittet. Er hat sich, wie auch Walther Tröger, langjähriger Präsident des Nationalen Olympischen Komitees (NOK), jüngst für ein Antidopinggesetz ausgesprochen.
Zudem ist die Vorstellung von einem staatsfreien Sport in Deutschland geradezu naiv. Die jüngsten Entwicklungen haben gezeigt, dass der Staat sogar Doping gefördert hat. Aktuell ist die ganze Finanzierung des Sports ohne den Staat völlig undenkbar. Der Sport versucht, wofür vom Standpunkt des Marketings aus sicher gute Gründe sprechen, den Sportler nicht zu kriminalisieren.
Trotzdem muss die rechtliche Lücke, die derzeit bei der Anwendung des Strafrechts für Sportler besteht, durch den Tatbestand des Sportbetruges geschlossen werden. Der Sportler ist nicht Opfer, er ist im Dopingsystem die Zentralgestalt des Geschehens und selber Täter. Die Versuche, über eine Anknüpfung im Arzneimittelgesetz das Problem zu lösen, mögen juristisch einfacher sein, sie sind jedoch nicht wirklich ehrlich. Es geht nicht um den Handel mit Arzneimitteln, sondern darum, dass der Sportler, der Dopingsubstanzen nutzt, seine Gegner, die Veranstalter und die gesamte Öffentlichkeit, die seinen Sport letztlich finanziert, täuscht. Dieses Vorgehen ist derzeit strafrechtlich nicht zu erfassen.
Sportler ließen sich von Strafandrohung durchaus beeindrucken
Die Kooperation von Staat und Sportverbänden würde die Verfolgbarkeit von Dopingvergehen erheblich verbessern. In vielen Fällen wäre ein Anfangsverdacht für Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gegeben, wenn eine Dopingprobe des Sportlers positiv ist. Das Bewusstsein von Polizei und Staatsanwaltschaften, gegen Doping im Profisport und nicht nur im Fitnessstudio vorzugehen, würde dadurch geschärft.
Zudem heben Kriminologen, wie der Marburger Kollege Dieter Rössner, immer wieder hervor, dass Entdeckung, Aufdeckung und Verfolgungsdruck und nicht (nur) die drohende Strafe selbst die entscheidenden Punkte einer wirkungsvollen Prävention sind. Das gilt umso mehr, als es sich bei der Gruppe der dopenden Sportler nicht um eine Bande von Schwerkriminellen handelt, die sich von einem staatlichen Strafanspruch nicht beeindrucken lassen. Vielmehr entstammen die Sportler überwiegend einem bürgerlichen Umfeld und sind der Wirkung staatlicher Strafdrohung deutlich zugänglicher als zum Beispiel Täter im Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts.
Die Bundesregierung evaluiert nunmehr die verschiedenen Fassungen des Arzneimittelgesetzes seit fast 20 Jahren. Sie hat sich auch in ihrem letzten Evaluationsbericht nicht dazu durchringen können, das Strafrecht direkt gegen den dopenden Sportler einzusetzen. Es ist, um eine Formulierung aus dem Kanzlerduell vom vergangenen Sonntag zu verwenden, endlich an der Zeit, nicht länger ziellos im Kreisverkehr zu fahren, sondern die Kavallerie zu satteln.
Der Autor Prof. Dr. Jens Adolphsen ist Inhaber des Lehrstuhls für Sportrecht an der Justus-Liebig-Universität Gießen sowie Mitglied der Rechtskommission gegen Doping im Sport.
Doping ist ein beträchtliches Problem, es lässt den Sportler vom Vorbild zum Feindbild verkommen. Doch nicht alles, was gesellschaftlich oder moralisch unerwünscht ist, sollte strafbar sein. Sportliche Fairness ist kein Rechtsgut, das mit den scharfen Mitteln des Strafrechts verteidigt werden müsste; wirtschaftliche Interessen werden schon nach heutiger Rechtslage geschützt. Der Ruf nach einem neuen Straftatbestand ist verfehlt, meint Dr. Rico Kauerhof.
Nach jedem kleinen oder großen Dopingskandal wird der Ruf nach einem Antidopinggesetz laut und lauter und verhallt dann einige Zeit später wieder, bis zum nächsten Skandal. In diesen Ruf mischen sich Stimmen, die die Strafbarkeit des Selbstdopings oder die Schaffung eines Sportbetrugstatbestandes fordern. Gerade an diesen beiden Beispielen zeigt sich jedoch die schwierige Problematik, die hinter der Dopingdebatte steht und die man kurz mit folgender Frage umreißen könnte: Wo hört die Verantwortung des Staates für die (Sport)Gesellschaft auf?
Wir sind uns einig, dass Doping moralisch verwerflich ist und die faire Idealwelt des Sports gefährdet. Wir wissen auch alle, das Doping in bestimmten Formen (Handel, Besitz nicht geringer Mengen, Anwendung bei Minderjährigen, etc.) mit Strafe bedroht ist. Teilweise ist die Strafdrohung dem Strafgesetzbuch (StGB) und teilweise ist sie Spezialgesetzen wie dem Arzneimittelgesetz (AMG) oder dem Betäubungsmittelgesetz (BtMG) zu entnehmen. Das ist auch unbestritten gut so. Warum aber sollte das Selbstdoping erwachsener Sportler in diesen Kreis mit einbezogen werden?
Gründe hierfür werden vielfältige angeführt. Betrachtet man jedoch den Charakter des Strafrechts, so bleiben keine plausiblen übrig. Strafrecht ist seinem ureigenen Zweck nach ein Sanktionsrecht. Dies bedeutet, dass bestimmte Verhaltensweisen in einer Gesellschaft nicht geduldet werden, weil sie das staatliche Grundsystem gefährden. Du darfst nicht töten oder verletzen, du darfst keine Steuern hinterziehen, du darfst niemanden betrügen.
Ethik und Moral bleiben "gesetzlos"
Aber welche Rechtsgüter, die durch das Strafrecht geschützt werden, sollen durch eigenverantwortliches und selbstbestimmtes Doping verletzt sein? Die Gesundheit? Untauglich, denn sogar die Selbsttötung ist straffrei. Es leuchtet nicht ein, warum dann die Selbstverletzung mit gefährlichen Dopingsubstanzen strafbar sein sollte.
Vermögen? Sicher, das Vermögen genießt strafrechtlichen Schutz. Aber warum sollte derjenige, der durch einen "Dopingbetrüger" geschädigt wird mehr geschützt werden als derjenige, der einem Trickbetrüger zum Opfer fällt? Dies leuchtet ebenfalls nicht ein und lässt zudem außer Acht, dass § 263 StGB auch für den "Dopingbetrüger" gilt, wenn und soweit die Voraussetzungen der zugegebenermaßen dogmatisch schwierigen Norm vorliegen.
Die Gerechtigkeit im Wettbewerb? Was soll am sportlichen, im Gegensatz etwa zum wirtschaftlichen Wettbewerb so besonders sein, dass es die Schaffung einer eigenen Strafnorm nötig machen würde? Sportethik oder die sportliche Fairness? Auch hier ist nicht nachvollziehbar, warum derartige Rechtsgüter einen strafrechtlichen Schutz genießen sollen. Schließlich werden Verstöße gegen die Berufsethik auch in anderen Berufe nicht strafrechtlich sanktioniert.
Ethik und Moral bleiben eben "gesetzlos", das heißt moralisches Handeln kann nicht eingefordert, unmoralisches nicht gesetzlich bestraft werden. Schließlich wird noch die Effektivität im Dopingkampf ins Feld geführt, welche bei der Anwendung des Strafprozessrechts wesentlich erhöht wäre. Hierdurch wird jedoch das Ross zum Reiter gemacht: Das Strafprozessrecht soll dem effektiven Rechtsgüterschutz durch das Strafrecht dienen, nicht das Strafrecht die Voraussetzung für ein möglichst scharfes, strafprozessuales Vorgehen bilden. Logisch unhaltbar, juristisch unerträglich!
Autonome Eigenwelt des Sports für Sanktionierung zuständig
Zu den dogmatischen Erwägungen kommen zudem praktische Probleme hinzu, etwa beim Versuch, eine trennscharfe Begriffsdefinition von Doping überhaupt erst zu errichten. Bei genauer Beschäftigung mit der Problematik wird der Ruf nach dem Strafrecht also immer leiser. Aber warum stört uns alle – einschließlich mir selbst – das Doping derart, dass wir versucht sind, ihm dennoch zu folgen?
Der heroische Sportler, der durch Talent und Fleiß bewundernswerte Leistungen vollbringt, wird zum Dopingsünder und gesellschaftlich geächteten Täter. Er zerstört einen Mythos und wandelt sich vom Vorbild zum Feindbild für den Sport und die durch ihn transportierten Werte. Er stellt auch eine Gefahr für die Lobby des Sports mit allen ihren politischen und ökonomischen Verflechtungen dar.
Insofern ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Rettung im Strafrecht gesucht wird. Das darf das Strafrecht jedoch nicht leisten, es kann es auch nicht, ohne seine Grenzen zu sprengen und seine ureigene Funktion aufzuheben. Das Strafrecht würde sich sonst vom Rechtsgüterschutz abwenden und zu einem Interventionsrecht verkommen, mit unabsehbaren Folgen.
Seine recht verstandene Funktion besteht indes darin, die äußersten Grenzen erlaubten menschlichen Handelns abzustecken, nicht als Korrektiv für allerlei kleinere und größere gesellschaftliche Missstände. Solange aber durch das eigenverantwortliche Selbstdoping kein strafrechtlich geschütztes Rechtsgut verletzt ist, bleibt der Sport in seiner autonomen Eigenwelt für die Sanktionierung zuständig. Dies ist eine klare und gerechte gesellschaftliche Funktionsteilung, an der durch ein Antidopinggesetz nicht gerüttelt werden sollte.
Der Autor Dr. Rico Kauerhof D.E.A. (Paris Sorbonne) ist Partner der NWK Rechtsanwälte. Er ist auf das Sportrecht spezialisiert und gleichzeitig Vorstandsvorsitzender des Instituts für Deutsches und Internationales Sportrecht e.V.
Prof. Dr. Jens Adolphsen, Dr. Rico Kauerhof D.E.A. (Paris Sorbonne), Pro & Contra Anti-Doping-Gesetz: Überfällige Sanktionierung oder unzulässige Einmischung? . In: Legal Tribune Online, 03.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9481/ (abgerufen am: 05.06.2023 )
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