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Nach Urteil gegen Gina-Lisa Lohfink: Alice Schwarzer, Sie sind ein Skandal

von Dr. Alexander Stevens

24.08.2016

Gina Lisa Lohfink vor der Urteilsverkündung am Montag

(c) dpa

Alice Schwarzer hält das Urteil gegen Gina-Lisa Lohfink für einen "Skandal". Tatsächlich ist diese Bewertung auf Grundlage falscher Zahlen, ohne Aktenkenntnis und ohne Sachverstand, ein Skandal. Und nicht der einzige, findet Alexander Stevens.  

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Alice Schwarzers Fakten – und die Polizeiliche Kriminalstatistik

Das Amtsgericht (AG) Tiergarten ließ sich davon, dass die Angeklagte noch während der Urteilsverkündung den Gerichtssaal verließ, nicht beirren. Vielleicht hatte Gina-Lisa Lohfink es ja auch nur besonders eilig, ihren TV-Dschungelvertrag mit RTL zu unterschreiben. Nachdem sie durch ihren eigenen Strafprozess wieder überregional bekannt wurde, verspricht der ihr schließlich eine Top-Gage.

Ebenso unbeirrt dürfte das Gericht auch vom jüngsten Statement von Alice Schwarzer bleiben. Die erklärte das Urteil des Amtsgerichts (AG) Tiergarten, mit dem Lohfink am Montag wegen falscher Verdächtigung zu 20.000 Euro Geldstrafe verurteilt wurde, zu einem "Skandal". Der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte sie, es sei "verständlich", dass "Gina-Lisa das Geschehen als Sex gegen ihren Willen empfindet", schließlich seien die beiden Männer "extrem brutal und verächtlich" mit ihr umgegangen.

Diese  Aussage gründet die Frauenrechtlerin übrigens auf angebliche "Fakten" wie zum Beispiel, dass nur jede zwölfte Vergewaltigung in Deutschland angezeigt werde und nur jede hundertste zu einer Verurteilung führe. Das sind Phantasie-Zahlen. Sie sind nirgends nachzulesen. Und mit der Realität haben sie nichts zu tun. 

Echte Zahlen aus der PKS

Macht man sich die Mühe, einmal in die polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zu blicken, stellt man fest, dass es im Jahr 2014 genau 7.350 Anzeigen wegen sexueller Nötigung / Vergewaltigung  gab. Zu einer Verurteilung kam es in 1.000 Fällen. Das von Alice Schwarzer angegebene eine Prozent ist also mehr als nur knapp daneben. Richtig sind 13,5 Prozent an Verurteilungen.

Im Vergleich zu anderen Straftaten wie Diebstahl (4,8 Prozent)  oder Körperverletzung (10,8  Prozent) ist das ziemlich viel. Insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass die Beweislage bei Vergewaltigung fast ausschließlich auf Aussage-gegen-Aussage-Konstellationen beruht und es daher besonders schwer zu beurteilen ist, wer von beiden die Wahrheit sagt: das angebliche Opfer oder der vermeintliche Täter.

Die vermeintlich erschreckend hohe Zahl an Sexualstraftaten beträgt übrigens tatsächlich gerade einmal 0,8 Prozent  der gesamtdeutschen Kriminalität, die Aufklärungsquote liegt bei 81 Prozent. Übrigens sind 7 Prozent  der wegen Sexualstraftaten Tatverdächtigen Frauen.

All das kehrt Alice Schwarzer ebenso unter den Teppich wie die Tatsache, dass die oben zitierte Zahl von Straftaten sowohl das Delikt der Vergewaltigung als auch sexuelle Nötigungen erfasst.  Der Anteil an Vergewaltigungen liegt bundesweit bei gerade einmal 1.445 Fällen. Zum Vergleich: Unser Nachbar Großbritannien hat bei lediglich zwei Dritteln der Bevölkerungszahl Deutschlands doppelt so viele angezeigte Vergewaltigungen, in Amerika sind es, auf die Einwohnerzahl hochgerechnet, sogar zehn mal so viele. 

Falschbeschuldigungen im Bereich Sexualstrafrecht

Nicht bekannt ist, das liegt in der Natur der Sache, wie hoch die Dunkelziffer der Sexualdelikte ist, die nicht zur Anzeige gebracht werden. Auch Alice Schwarzer ist das nicht bekannt.

Bekannt ist hingegen die Zahl der Vergewaltigungsanzeigen, die laut polizeilicher Kriminalstatistik in der Justiz als erwiesene Falschbeschuldigungen gewertet und strafrechtlich verfolgt werden. Sie liegt bei immerhin 7 Prozent.

Dabei sprechen  zahlreiche - ideologisch gänzlich unverdächtige - Studien dafür, dass die wirkliche Zahl sogar noch deutlich darüber liegen dürfte: So konnte etwa das rechtsmedizinische Institut Hamburg, das die größte deutsche Opferambulanz betreibt, eine Falschbelastungsquote von 27 Prozent nachweisen. Nachweisen meint den Nachweis, dass die angeblich Vergewaltigten sich ihre Verletzungen selbst zugefügt hatten.

Selbst Polizeibehörden gehen davon aus, dass die Falschbelastungsquote bei Sexualdelikten deutlich höher liegt als bei den statistisch erfassten 7 Prozent. So ergibt etwa eine Sachbearbeiterbefragung des LKA Bayern, dass die Ermittler den Anteil der Vortäuschungen und falschen Verdächtigungen an allen Anzeigen nach § 177 Strafgesetzbuch im Durchschnitt auf ein Drittel schätzen.

Falschbeschuldigungen und andere echte Skandale

2/2: Was ist hier eigentlich der Skandal?

Dass ihr neuer Schützling Gina-Lisa Lohfink, sonst nicht gerade eine Ikone der Frauenrechtsbewegung, eine Vergewaltigung frei erfunden hat, scheint Alice Schwarzer nicht weiter skandalös zu finden.

Zur Erinnerung: Wie auch schon die Staatsanwälte in dem Ermittlungsverfahren gegen die beiden Männer, das mangels Tatverdachts eingestellt wurde, ist auch das AG Tiergarten zu dem Ergebnis gekommen, dass nichts für die von Lohfink behauptete Vergewaltigung sprach. Nach dem Sachverständigengutachten war eine Manipulation durch KO-Tropfen ausgeschlossen. Das vermeintliche Opfer Lohfink war in der umfassend auf Video festgehaltenen Nacht wach, ansprechbar und vollständig orientiert. Sie selbst hatte zunächst von einvernehmlichem Sex gesprochen, dann von einer Vergewaltigung, schließlich  von K.o.-Tropfen. Die von ihr als "geschockt" über ihre Wunden zitierte Gynäkologin, die sie direkt nach der angeblichen Tat aufgesucht haben wollte, bescheinigte nach vier Jahren, dass es bei einem Termin mehr als zehn Tage nach der angeblichen Vergewaltigung keine körperlichen Merkmale gegeben habe.

Ob Frau Lohfink ihre Sexualpartner einer Vergewaltigung bezichtigt hat, um nach der Verbreitung der Sexvideos ihren Ruf zu schützen, so wie es die Staatsanwaltschaft vermutete? Ob sie umso weniger zurück konnte, je lauter die öffentliche – und gar politische – Unterstützung für sie wurde? In ihrem letzten Wort betonte die Angeklagte, sie habe mit dem Verfahren  nicht  berühmt werden wollen – nun ja, zu spät.

Längst ist unter vielen auch EMMA-Herausgeberin Schwarzer auf den Zug aufgesprungen und instrumentalisiert das It-Girl fleißig, um pauschal gegen die Vergewaltiger-Spezies Mann zu konspirieren. Ist nicht das der Skandal? Dass Feministinnen, sogar nach einem Urteil, weiterhin eine Bewegung fortsetzen, die sich ohne Aktenkenntnis und ohne Sachverstand ein Strafverfahren zunutze machte, um eine Strafrechtsreform zu beschleunigen, die mit dem Verfahren nicht das Geringste zu tun hat. Dass Familienministerin Manuela Schwesig ihre Solidarisierung mit Lohfink nicht leugnen kann und selbst Bundesjustizminister Heiko Maas klarstellen muss, dass er "nicht zum #TeamGinaLisa gehört" habe - ist nicht das der Skandal?

Wie die Justiz mit Falschbeschuldigungen umgeht – und wieso

Aber zurück zum Fall: Skandalös am  Fall "Gina-Lisa" ist die Tatsache, dass Täter von Falschbeschuldigungen im Sexualstrafrecht quasi nie eine Strafverfolgung zu befürchten haben – im Gegensatz zu kleinen Schwarzfahrern und Kiffern, wo die Justiz mit aller Härte des Gesetzes zuschlägt.

Das hat einen Grund. Die Justiz will nämlich trotz der eklatanten Fallzahlen rund um Falschbeschuldigungen bei Sexualdelikten um jeden Preis vermeiden, dass wahre Opfer davon abgehalten werden, Strafanzeige gegen ihren Peiniger zu erstatten, weil sie fürchten, dass die Ermittler Zweifel am Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen haben könnten. 

So belegt eine Studie des LKA Bayern, dass Anzeigen wegen Vortäuschung oder falscher Verdächtigung - mit wenigen Ausnahmen – nur äußerst selten von der Polizei an die Staatsanwaltschaft abgegeben werden. Das geschieht nach dieser Studie nur dann, wenn das vermeintliche Opfer gesteht, den Sachverhalt falsch geschildert zu haben, oder die Beweislage bei Abschluss der Ermittlungen klar gegen die Aussagen des vermeintlichen Opfers spricht. Und selbst in diesen Fällen wurde noch rund ein Viertel der Strafverfahren ohne Folgen für die mutmaßliche Täterin eingestellt.

Eine milde Strafe per diskretem Strafbefehl – wohl nicht so ihr Ding

Dass die Berliner Justiz die Falschbeschuldigerin Lohfink strafrechtlich zur Verantwortung gezogen hat, war absolut richtig und vor allem das richtige Zeichen. Denn wer einen anderen unschuldig eines schweren, kaum nachweisbaren Verbrechens bezichtigt, um einen wie auch immer gearteten Vorteil daraus zu ziehen, sei es nur Rache oder eben eine Wiederbelebung der eigenen TV-Präsenz, der verdient es, dafür bestraft zu werden.

Fragen könnte man sich noch, ob es nicht ein Skandal ist, dass die Berliner Justiz Gina-Lisa Lohfink sogar noch mit einer milden Geldstrafe entgegenkam, die sie ihr zudem am liebsten ganz diskret mit einem postalisch zugestellten Strafbefehl auferlegen wollte. Wohlgemerkt für die falsche Verdächtigung wegen einer Straftat, für die im Falle einer Verurteilung die von ihr bezichtigten Männer bis zu fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe erwartet hätten. Aber diskret ist eben eher nicht Gina-Lisas Lohfinks Stil - gleiches gilt für Alice Schwarzer.

Der Autor Dr. Alexander Stevens ist Rechtsanwalt in München. Er ist spezialisiert auf die Vertretung von Tätern und Opfern in Sexualstrafsachen. Er ist außerdem Autor des Buchs "Sex vor Gericht".

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Dr. Alexander Stevens, Nach Urteil gegen Gina-Lisa Lohfink: Alice Schwarzer, Sie sind ein Skandal . In: Legal Tribune Online, 24.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20368/ (abgerufen am: 21.03.2023 )

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