Seine Blätter erinnern an Maiglöckchen, sein Geruch an Knoblauch, und seine heilende Wirkung war schon im Mittelalter bekannt und geschätzt: der Bärlauch. Seit einigen Jahren erlebt er als Gemüse und Gewürz eine Renaissance. Doch langsam droht aus dem neuen Trend ein Mainstream zu werden.
Es ist noch gar nicht so lange her, da kannten nur wenige Eingeweihte die krautige Pflanze, der seit einiger Zeit landauf, landab Küchenchefs und Hobbyköche zu Füßen liegen. Manche sogar wortwörtlich. Denn was ist authentischer, als sich die Trend-Würze direkt aus dem Wald zu holen? Kein Wunder, dass der Siegeszug des Bärlauchs durch die deutschen Küchen die Naturschützer auf den Plan rief: Von jeder Pflanzen solle man doch bitte nur einen Stengel ernten, empfiehlt der Naturschutzbund Deutschland.
Ein wenig Zurückhaltung ist aber nicht nur aus Umweltschutzgründen angebracht. Muss wirklich alles nach Bärlauch schmecken? Bärlauchsuppe, Bärlauchpesto - gut. Aber wenn das Kraut im gemischten Salat ebenso wie in Schupfnudeln, in Gnocchi wie in der Quiche seine Heimat gefunden hat, wenn er den Gourmet wirklich allüberall mit seinem Aroma begrüßt, dann hat er einen Status erreicht, der selbst den besten Geschmack zum Mainstream der Langeweile verkommen lässt.
Der Bärlauch ist kein Einzelfall. Immer wieder überschwemmen Geschmackswellen die Küchen jedes Niveaus.
"In den 70er Jahren machten die Töpfe hierzulande mit dem Knoblauch intensive Bekanntschaft. Seit Jahrhunderten war er den Menschen vertraut, doch dann wurde er zum Küchenstar", sagt Heinzrolf M. Schmitt, der viele Jahre das "Goldene Posthorn" in der Nürnberger Altstadt betrieb, das damals den ersten Michelin-Stern nach Deutschland holte. "Der unangenehme Geruch wurde zwar nicht wirklich salonfähig, aber zunehmend geduldet. Wer am nächsten Tag einen Termin hatte, verzichtete." Aber an allen anderen Tagen stellte der Knoblauch unter Beweis: Wir sind weltoffen. Wir liegen im Urlaub nicht nur am Strand und sehnen uns nach Eisbein, nein, wir greifen gern die kulinarischen Anregungen anderer Kulturen auf.
Weniger Mode, mehr Kochkunst
Und natürlich erkannte man bald: Knoblauch ist gesund. So gesund, dass er sogar den Titel der Arzneipflanze des Jahres ergatterte. Doch das war erst 1989, als eigentlich schon ein neuer Trend die Gourmets in Verzückung versetzte. Die Kräuter der Provence. "Die Mischung aus Lavendel, Lorbeer, Oregano, Rosmarin, Salbei und Thymian hielt in ländlich-romantischen Tontöpfen Einzug in die modernen Küchen der Republik", erinnert sich Heinzrolf M. Schmitt.
Vorausschauende Gourmets hoffen, dass nicht schon wieder die nächste Welle vor der Tür steht. Der Nürnberger Privatkoch Stefan Wagner etwa, der Anfang der 90er Jahre in Eckart Witzigmanns Restaurant "Aubergine" kochte, wäre froh, wenn in Zukunft seine Devise "Einfach ist mehr" das Kochen stärker beeinflussen würde - und weniger ein bestimmtes Gewürz oder Kraut. "Für mich besteht die Kunst des Kochens darin, den Charakter eines Grundprodukts - sei es Fleisch, sei es Fisch - hervorzuheben", so Wagner, "denn der wahre Gourmet, der vieles probiert hat, schätzt am Ende das Einfache".
Die Autorin Andrea Himmelstoß lebt als freie Journalistin und Texterin in Fürth. Sie ist Verfasserin zahlreicher Beiträge und Ratgeber u. a. zu den Themen Essen & Trinken, Reise und Wellness.
Andrea Himmelstoß, Trendgewürz Bärlauch: . In: Legal Tribune Online, 23.04.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/32 (abgerufen am: 11.10.2024 )
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