Verlieren Tiere ihr Leben nicht im Schlachthaus oder in der Veterinärpraxis, sind die Freunde aller Vierbeiner schnell empört. Doch ein altes jagdrechtliches Urteil zeigt, dass Freiluft-Tötungen einfach mehr Aufmerksamkeit erzeugen.
Der Jagd fallen in Deutschland jährlich einige Zehntausend Hirsche, mehr als eine halbe Million Wildschweine, mehr als eine Million Rehe und vielleicht 100.000 Waschbären zum Opfer – nicht zu reden von Hunderttausenden Füchsen, Wildenten, Feldhasen sowie Wildkaninchen.
Fraglich ist, ob dies für den Tierfreund schon Grund genug ist, ein trauriges Gesicht aufzusetzen. Denn die Leistungsbilanz des waidmännischen Tötungshandwerks sieht im Vergleich zu jenem der landwirtschaftlichen Produktion bescheiden aus, lassen in Deutschland doch jährlich rund 3,6 Millionen Rinder, über 59 Millionen Schweine und mehr als 630 Millionen Hühner ihr Leben.
Dass die rund 380.000 deutschen Jägerinnen und Jäger mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen als die vielleicht 110.000 Fleischwirtschafts-Beschäftigten, wird gewiss am weniger farbenfrohen Auftreten der Letztgenannten liegen. Die Mitarbeiter der Schlachthäuser stehen eben abends selten vor ihrem Arbeitsplatz und stoßen ein fröhliches „Halali“ ins Jagdhorn.
Hinzu kommt, dass auch die Geschichte des Jagdrechts manche Blüte hervorgebracht hat – beispielsweise das Reichsjagdgesetz von 1934.
Das tragische Schicksal eines Deutsch-Drahthaars
Jahrestäglichen Anlass, sich mit diesem ersten einheitlichen deutschen Jagdgesetz zu befassen, gibt eine der frühen Entscheidungen, die das Reichsgericht auf seiner Grundlage traf (Urt. v. 31.8.1937, Az. III 52/37). Der Sachverhalt:
"Am Nachmittag des 1. November 1935 gegen 16 Uhr ging der Kläger mit seinem Jagdhund, einem dunkelbraunen, mit langen Behängen versehenen Deutsch-Drahthaar-Rüden, nach seiner in Gemarkung G. gelegenen Jagd. Hinter dem Dorfe O., auf der Hauptstraße nach G., macht er den Hund von der Leine frei, damit er sich lösen sollte. Der Hund hetzte nun einen unmittelbar an der Straße liegenden Hasen hoch, den er in den nahen Staatswald verfolgte. Dort wurde er in einem lichten Fichtenbestand von dem staatlichen Hilfsförster H. aus einer Entfernung von 75 bis 80 m als wildernder Hund erschossen. Der Kläger behauptet, der Hund sei bei dem noch hellen Tageslicht durchaus als Jagdhund erkennbar gewesen und habe deshalb, da er sich bei der Verfolgung des Hasen nur vorübergehend der Einwirkung seines Herrn entzogen gehabt habe, nicht getötet werden dürfen."
Um diesen Einblick ins forstliche Idyll von seiner ästhetischen Seite richtig zu würdigen, muss man wissen, dass das Reichsgericht sonst eher sparsam in der Sachverhaltsdarstellung war – und die Deutschen des Jahres 1937 in vielen anderen Angelegenheiten gelernt hatten, nicht gar zu genau hinzuschauen.
Wann ist ein Jagdhund als solcher zu erkennen?
Der schießende Hilfsförster hatte im preußischen Staatswald gestanden. Es mag nicht ihr wichtigstes Interesse gewesen sein, aber die Richter dürften kein Bedürfnis gehabt haben, die Aufmerksamkeit von Hermann Göring (1893–1946) auf sich zu ziehen – der nationalsozialistische Multi-Funktionär hätte sich hier als Reichsforstmeister und preußischer Ministerpräsident einerseits und als Reichsjägermeister andererseits zur Einmischung berufen fühlen können.
Das Landgericht Marburg und das Oberlandesgericht Kassel gaben dem Klageanspruch auf 200 Mark Schadensersatz statt. Beim Reichsgericht war man anderer Ansicht.
Fraglich war, ob der Hilfsförster den frei laufenden Drahthaar-Rüden im Rahmen des sogenannten Jagdschutzes töten durfte. Die einschlägige Norm war im Stil der Zeit unklar formuliert. Jagdschutz-Berechtigte waren nach § 40 Abs. 2 Nr. 2 Reichsjagdgesetz berechtigt "Hunde, die im Jagdbezirk außerhalb der Einwirkung ihres Herrn, und Katzen, die in einer Entfernung von mehr als 200 Meter vom nächsten bewohnten Hause betroffen werden, zu töten. Dieses Recht erstreckt sich auch auf solche Hunde und Katzen, die sich in Fallen gefangen haben. Es gilt nicht gegenüber Hirten-, Jagd- und Blindenhunden, Sanitäts- und Meldehunden der Wehrmacht und Polizeihunden, soweit sie als solche kenntlich sind und solange sie vom Berechtigten zu ihrem Dienste verwandt werden oder sich aus Anlaß des Dienstes vorübergehend der Einwirkung ihres Führers entzogen haben."
Fraglich war, vereinfacht gesagt, ob die im Gesetz genannten, dienstlich gehaltenen Tiere eine Art objektivierten Schutz vor den Hütern der deutschen Forste genossen. Land- und Oberlandesgericht waren tatsächlich der Auffassung, dass der getötete Hund bereits durch seine Rassezugehörigkeit – Deutsch-Drahthaar – als Jagdhund erkennbar gewesen sei. Das machte den Weg frei, den preußischen Hilfsförster der Fahrlässigkeit zu zeihen, die Jagd- gleich Diensthundqualität des Tieres nicht hinreichend geprüft zu haben.
Dieser Auffassung widersprach das Reichsgericht; es solle vielmehr darauf ankommen, dass "der den Jagdschutz Ausübende bei gebotener Sorgfalt den Hund im Augenblick der Tötung als Jagdhund hatte erkennen können."
2/2: War der Hund im Dienst oder nicht?
Nach Auffassung des Landgerichts Marburg und des Oberlandesgerichts Kassel hätte der Hilfsförster wegen des Dämmerlichts im Wald nicht schießen dürfen, die Reichsrichter hielten dagegen, es habe nicht im sinnvollen Willen des Gesetzgebers gelegen, dass in den Dämmerstunden des deutschen Forstes nicht auf mutmaßlich wildernde Hunde geschossen werden dürfe.
Im Übrigen hätte nach Ansicht des Reichsgerichts "eine dienstliche Verwendung des Hundes" vorausgehen müssen, damit der Deutsch-Drahthaar-Rüde von § 40 Abs. 2 Nr. 2 Reichsjagdgesetz geschützt wird, der die Tötung von erkennbar und dienstlich verwendeten "Hirten-, Jagd- und Blindenhunden, Sanitäts- und Meldehunden der Wehrmacht und Polizeihunden" vom Tötungsrecht des Jagdaufsehers ausnahm.
Dieses Privileg sollten aber insbesondere nur "überjagende" Hunde genießen, "die, von ihrem jagdberechtigten Herrn auf die Fährte des jagdbaren Wildes gesetzt, sich aus diesem Anlaß vorübergehend der Einwirkung ihres Herrn entziehen und dabei auf fremdes Jagdgebiet geraten. Davon kann hier keine Rede sei" – Nur weil der Hundeeigentümer selbst auf dem Weg zu seinem Forst gewesen sei, sei der Deutsch-Drahthaar-Rüde nicht dienstlich hinter dem Hasen her gewesen.
Blütenlese: Reichsjagdgesetz
Über all den feinsinnigen Erwägungen, wann ein Hund in dienstlicher Verwendung wild durch den Wald laufen durfte, nimmt es fast wunder, dass dieser Schadensersatz-Prozess nicht noch auf ganz anderen Ebenen eskalierte.
Beispielsweise schrieb § 39 Abs. 6 Reichsjagdgesetz vor: "Die Jagdaufseher müssen bei der Ausübung des Jagdschutzes Diensthut und Dienstabzeichen tragen." Nicht auszumalen, welche Bedeutung diese Norm in der deutschen Rechtsgeschichte hätte gewinnen können, wären in diesem Fall Förster und Jäger noch über ihre Kleidung zum Zeitpunkt des Drahthaar-Todesschusses in Streit geraten – immerhin war der Reichsjägermeister Hermann Göring ein Fan von schmucken Uniformen, wie man sie in jüngerer Zeit nur noch von Elvis Presley, Michael Jackson oder dem nordkoreanischen Generalstab kennt.
Solch wunderbare Fragen, wie jene, ob ein deutscher Förster, der seinen Diensthut nicht trägt, berechtigt ist, auf wildernde Hunde zu schießen – Fallabwandlung: der Hut fällt ihm vom Kopf, vor/während/nachdem er den Schuss abgibt –, sind der Rechtswissenschaft leider entgangen: Das Bundesjagdgesetz von 1952 kannte keine Diensthut-Regelung mehr. Vielleicht nehmen sich die in Bekleidungsrechtsfragen so erfreulich wettbewerbsföderalen Bundesländer ja auch dem Diensthut im Walde wieder an – mit der Föderalismusreform von 2006 erhielten sie bekanntlich Zuständigkeiten für das Jagdrecht zurück.
Eine pompöse Präambel
Einen besonderen Platz in der deutschen Rechtsgeschichte hat sich das Reichsjagdgesetz indes erobert. Es dürfte über die pompöseste Präambel aller Zeiten verfügt haben – man möchte sich das mit der aller-, allerpathetischsten Bruno-Ganz-Stimme vorgetragen denken:
"Die Liebe zur Natur und ihren Geschöpfen und die Freude an der Pürsch in Wald und Feld wurzelt tief im deutschen Volk. Aufgebaut auf uralter germanischer Überlieferung, hat sich so im Laufe der Jahrhunderte die edle Kunst des deutschen Waidwerks entwickelt. Für alle Zukunft sollen Wild und Jagd als wertvolle deutsche Volksgüter dem deutschen Volk erhalten bleiben, die Liebe des Deutschen zur heimatlichen Scholle vertiefen, seine Lebenskraft stärken und ihm Erholung bringen von der Arbeit des Tages.
Die Pflicht eines rechten Jägers ist es, das Wild nicht nur zu jagen, sondern auch zu hegen und zu pflegen, damit ein artenreicher, kräftiger und gesunder Wildbestand entstehe und erhalten bleibe. Die Grenze der Hege muß freilich sein die Rücksicht auf die Bedürfnisse der Landeskultur, vor allem der Landwirtschaft und Forstwirtschaft.
Das Jagdrecht ist unlösbar verbunden mit dem Recht an der Scholle, auf der das Wild lebt und die das Wild nährt. Die Ausübung des Jagdrechts aber kann nur nach den anerkannten Grundsätzen der deutschen Waidgerechtigkeit zugelassen werden. Treuhänder der deutschen Jagd ist der Reichsjägermeister. Er wacht darüber, daß niemand die Büchse führt, der nicht wert ist, Sachwalter anvertrauten Volksguts zu sein."
Ein kleiner Verdacht bleibt hängen
Vegetarier wird es nicht interessieren, omnivoren Zeitgenossen, die bei ihrer Fleischversorgung mehr ans Kühlregal denn an die Jagdstrecke denken, wird es aber vielleicht wundern: In der Tradition des pompösen Reichsjagdgesetzes (§ 39 Absatz 5) werden bis heute im Forst- und Jagdbetrieb tätige Menschen zu "Hilfsbeamten", im heutigen Sprachgebrauch: "Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft" mit strafprozessualen Privilegien ernannt.
Dass dies für das Aufsichtspersonal in der Fleischindustrie nicht, jedenfalls nicht an prominenter Stelle in der Norm-Hierarchie der Fall ist, mag dafür sprechen, dass okkulte Traditionen im Zweifel mehr wert sind als Verbraucher- oder Tierschutzbedürfnisse.
Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Solingen-Ohligs.
Martin Rath, Trauriges Ende eines Deutsch-Drahthaars: Angst vor dem Reichsjägermeister? . In: Legal Tribune Online, 27.08.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24145/ (abgerufen am: 30.04.2024 )
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