In den vergangenen Tagen war von Konflikten zwischen den Behörden und selbsternannten Vertretern so genannter "Reichsregierungen" zu hören. Von Zeit zu Zeit berichten Medien davon, dass ältere Herren der Bundesrepublik Deutschland die Legitimität absprechen und sich selbst zu den wahren Inhabern der Staatsgewalt erklären. Martin Rath macht ein paar Vorschläge, wie die BRD mit dem Phänomen standesgemäß umgehen könnte.
In den "Wurfsendungen", winzigen Hörspielen von Deutschlandradio Kultur, taucht manchmal ein fiktives U-Boot der k.u.k Kriegsmarine auf – ein Unterseeboot der 1918 untergegangen Flotte Österreich-Ungarns, dessen Kommandant in diffusem Wienerisch maritime Phrasen radebricht und bekennt, das Kriegsende vor bald 100 Jahren nicht mitbekommen zu haben. Der Witz dieser oft genialen Rundfunkminiaturen lebt von einem charmanten Anachronismus: Ein Teil der einst sechstgrößten Kriegsflotte der Welt hat von den Verwicklungen des 20. Jahrhunderts schlicht nichts mitbekommen, weil das Funkgerät ausgefallen war.
Die Idee enthält kleine Realitätskerne. So erinnern sich rechtspopulistische Kreise in Ungarn gern an Miklós Horthy (1868-1957), der als vormalig österreichisch-ungarischer Admiral zwischen 1920 und 1944 unter der Bezeichnung eines "Reichsverwesers" Staatsoberhaupt des Königreichs Ungarn war. Und im harmloseren Reich der populären Medien ging bis weit in die 1980er-Jahre immer wieder die Meldung um die Welt, dass aus irgendeinem Dschungel Ostasiens der letzte japanische Soldat des Zweiten Weltkriegs hervorgekrochen sei.
Neue deutsche Reichsregierung mit wenig charmanten Hilfspolizisten
Hat der Gedanke an ein zähes, hochbetagtes Männlein, das 80-jährig aus dem Urwald Borneos oder Sumatras kriecht, weil es von der Kapitulation der japanischen Truppen im Sommer 1945 nichts mitbekommen haben will, noch einen gewissen Charme – ganz abgesehen vom fiktiven kaiserlich-österreichischen, königlich-ungarischen U-Boot-Kommandanten –, treten deutsche Anachronisten ganz kernseifig in die parfümierte Gegenwart. Und zu allem Überfluss gibt es die schrägen deutschen Männer wirklich – Schuld daran ist auch das deutsche Staats- und Staatsschutzdenken.
In der Frankfurter Rundschau berichtete Bernhard Honnigfort am 11. Dezember von der unangenehmen Begegnung eines Gerichtsvollziehers mit seiner "Kundschaft". Zwecks Schuldenbeitreibung musste er in Bärwalde bei Dresden die Polizei zwar nicht selbst zu Hilfe rufen. Das hatte der Schuldner schon getan. Doch erwiesen sich die herbeigeholten Polizisten als "Polizisten" des Deutschen Polizei Hilfswerks. Sie erklärten dem Gerichtsvollzieher kurzerhand, ihm fehle die Amtsgewalt und nahmen ihn mit Kabelbindern in Gewahrsam.
Honnigfort stellt die selbsternannten Polizisten in Beziehung zu weiteren Einzelpersonen und Gruppen, die landauf, landab in leichter Variation erklären, die Bundesrepublik Deutschland und ihre Länder übten keine Staatgewalt aus. Diese Leute erklären sich zu Staatsoberhäuptern oder hilfsweisen Verwaltern des Deutschen Reichs und phantasieren sich noch aus dem windigsten Papier eine eigene Staatslegitimität zurecht.
Bizarre Auslegungsmethoden
Die Spiegel-Autoren Dominik Cziesche und Markus Verbeet erzählten 2005 beispielsweise davon, woraus der "Reichskanzler" der "Kommissarischen Reichsregierung" mit Sitz in "Hildesheim, preußische Provinz Hannover" seinen Anspruch auf die Verwaltung der höchsten Staatsgewalt ableitete: Der seinerzeit noch für die polizeilichen Führungszeugnisse zuständige Generalbundesanwalt hatte infolge eines Versehens ein Führungszeugnis an die Adresse "Deutsches Reich, komm. Regierung, Der Reichskanzler, provisorischer Amtssitz, 14164 Berlin-Zehlendorf" geschickt.
Die Auslegung dieser Fehladressierung ist erstaunlich. Auf eine vergleichbare Verwaltungspanne übertragen: Sollte beispielsweise das Meldeamt der Stadt Köln durch einen Eingabefehler eine "Frau Stefan Raab" führen, müsste der bekannte Fernsehmann nach der Logik der "Kommissarischen Reichsregierung" nicht nur an seiner biologischen Grundausstattung zweifeln, sondern auch noch mit einem Bruch in der bizarren Logik leben: Denn obwohl das Kölner Meldeamt nicht vom Freistaat Preußen oder dem Deutschen Reich beauftragt ist, Daten zu erheben, würde ein Eingabefehler Zweifel an Tatbeständen der biologischen Realität rechtfertigen. Es muss hierzulande Köpfe geben, in denen Sein und Sollen so munter durcheinanderpurzeln, dass es fast Spaß macht, dem zu folgen.
Erkannte selbst das BVerfG die Fortexistenz des Deutschen Reichs?
Einen weiteren Begründungsbaustein, der sich nahtlos in die bizarre Logik einfügt, lieferte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil über den Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik (Urt. v. 31.7.1973, Az. 2 BvR 1/73). Die bayerische Staatsregierung war seinerzeit gegen die Aufnahme quasi-diplomatischer Beziehungen und der daraus womöglich folgenden Anerkennung einer DDR-Souveränität vorgegangen. Das Bundesverfassungsgericht hielt an seiner ständigen Rechtsprechung fest, mit Worten, die – aus dem dogmatischen Zusammenhang gerissen – leicht die Selbstermächtigungsphantasie anregen können:
"Das Deutsche Reich existiert fort […], besitzt nach wie vor Rechtsfähigkeit, ist allerdings als Gesamtstaat mangels Organisation, insbesondere mangels institutionalisierter Organe selbst nicht handlungsfähig."
Für allein "handlungsfähig" erklären sich – folgt man der Presseberichterstattung: vor allem seit dem Untergang der DDR 1989/90 – heute obskure Einzelpersonen und Gruppen, stellen eigene Ausweispapiere her, gerne auch Führerscheine. Der jüngste Fall der Freiheitsberaubung eines sächsischen Gerichtsvollziehers ragt aus der Zahl der damit provozierten Rechtsprobleme heraus. Im Allgemeinen wird gegen die Vertreter der "Reichsregierungen" wegen Ausweisdelikten, Amtsanmaßung ermittelt oder weil die Herrschaften ohne bundesrepublikanische Fahrerlaubnis auf Autobahnen der BRD unterwegs sind.
2/2 "Reichsregierungen" – nicht mehr wert als eine "wegwischende Handbewegung"?
Die Verfassungsschutzämter halten die "Reichsregierungen" in ihrem pseudo-juristischen Paralleluniversum offenbar für überwiegend harmlos – fast möchte man vermuten, die "Schlapphüte" bräuchten solche obskuren Gruppen, um ihren Agentennachwuchs für größere Ziele am rechten Rand auszubilden. Zu Ausbildungszwecken dienen die "Reichsregierungen" jedenfalls im juristischen Studium, lassen sich doch anhand der privat produzierten Ausweispapiere die einschlägigen Straftatbestände durchprüfen.
Eine ernsthafte Infragestellung ihrer Legitimität wollen die Bundesrepublik Deutschland und ihre Länder in der herzigen Wühlarbeit der "Reichsregierungen" nicht sehen. Die sächsische Wissenschaftsministerin und Völkerrechtsprofessorin Sabine von Schorlemer findet laut einem Bericht in der tageszeitung nicht mehr als eine "wegwischende Handbewegung".
Bedenkt man, dass manche "Reichsregierung" beispielsweise sämtliche Staatsakte der Bundesregierung für null und nichtig erklärt und die Wahl der Bundeskanzlerin Angela Merkel für illegitim, wird fraglich, ob der deutsche Staat für seine selbsterklärten Regierungen nicht eine härtere Antwort formulieren sollte als eine "wegwischende Handbewegung".
Denn die Wühlarbeit an der Legitimität der Bundesrepublik ist längst in Medien angekommen, die auch in der "Mitte der Gesellschaft" einigen Anklang finden. So führt vor allem das Satiremagazin Titanic die erschreckende programmatische Aussage in ihrem Impressum: "Die endgültige Teilung Deutschlands – Das ist unser Auftrag". Das staatsfeindliche Ziel wird offenbar auch vom politischen Arm der Zeitschrift, der Partei "Die Partei" verfolgt.
Vorschlag: Inhaftierung gemäß Reichsstrafgesetzbuch
Nachdem der Deutsche Bundestag sich dieser Tage endlich dazu durchgerungen hat, die seit über 40 Jahren weitgehend straffreie Unzucht mit Tieren wieder zu sanktionieren, keimt immerhin die Hoffnung, dass er sich alsbald auch der Staatsschutzdelikte annehmen könnte, die weit offenkundigere Strafbarkeitslücken aufweisen als das Tierschutzrecht.
Denn während die Existenz so genannter Tierbordelle, die bei der Wiedereinführung der Sodomie-Sanktion als Begründung herhalten mussten, sehr in Zweifel gezogen wird, steht die Wühlarbeit der "Reichsregierungen" im Licht der Öffentlichkeit, wird von ihren Protagonisten nicht bestritten und führte – im Opfergang des mit Kabelbindern gefesselten sächsischen Gerichtsvollziehers – inzwischen sogar zur Gewalt gegen eine Person.
Eine Sprache, die von den Vertretern der "Reichsregierungen" wohl verstanden wird, fände der Bundesgesetzgeber in älteren Vorschriften des Reichsstrafgesetzbuches, dessen § 80 Abs. 1 zwischen dem 2. Mai 1934 und dem 20. September 1945 lautete: "Wer es unternimmt, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt das Reichsgebiet ganz oder teilweise einem fremden Staat einzuverleiben oder ein zum Reich gehöriges Gebiet vom Reiche loszureißen, wird mit dem Tode bestraft." Daran könnte sich der Bundesgesetzgeber zumindest grob orientieren.
Und wo überall sonst noch gewühlt wird
Um zum Schluss aber noch einmal ernst zu werden: In der Stadt Köln existieren bewaffnete Truppen unter der Bezeichnung "Rote Funken". Dabei handelt es sich um eine Art bewaffneter Haufen, dessen Existenz nur unter der Prämisse sinnvoll erscheint, dass die Angehörigen dieser Truppe an die Fortexistenz des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation glauben. Denn weder das so genannte "Deutsche Reich" noch die so genannte "Bundesrepublik Deutschland" erkennen eine solche Streitmacht an. Rote Funken sind die Streitmacht der freien Reichsstadt Cöln. Anders ergibt eine derartige Truppe gar keinen Sinn.
Bald marschieren sie wieder durch die Straßen und jedenfalls in der "preußischen Rheinprovinz" (aka Nordrhein-Westfalen) brechen Chaos und Unzucht aus. Auch dagegen könnte die Staatsgewalt de lege ferenda einschreiten: Vor dem inneren Auge sitzen die selbsternannte Reichsregierung und uniformierte Karnevalssoldaten in Festungshaft.
Nun gut. Es weihnachtet. Man wird sich vom Bundestag doch noch etwas wünschen dürfen.
Literatur:
In "Napoleons Staatsgedanken auf St. Helena" (Berlin 2006, Duncker & Humblot) schwärmt der anerkannte bayerische Staatsrechtslehrer Walter Leisner so schulmädchenhaft vom korsisch-französischen Potentaten, dass jeder satirisch-schräge wie querulatorisch-irre Staatsgedanke dagegen harmlos erscheint. Grandiose Lektüre. Es gibt Schnittmengen zwischen Märchen und Staatsrecht, über die man wohl nicht lachen soll.
Martin Rath, Querulanten mit Kabelbinder: Neue deutsche Reichsbürger in Festungshaft . In: Legal Tribune Online, 23.12.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7857/ (abgerufen am: 04.05.2024 )
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