Während die deutsche Justiz gegenüber Außerirdischen unfreundliche Ignoranz an den Tag legt, finden sich bei ausländischen Juristen andere Auffassungen zu Aliens – zwischen Naturrechtsdiskurs und Quarantänerecht.
Es sollte kein allzu eigenwilliger Humor vonnöten sein, um die Komik darin zu sehen, eine junge Jura-Studentin bei der Lektüre von Ted Chiangs Short Story "Die Geschichte deines Lebens" zu beobachten.
Inzwischen wurde diese Geschichte, die vordergründig vom ersten Kontakt zwischen Außerirdischen und zwei menschlichen Linguisten handelt, unter dem Titel "Arrival" verfilmt.
Wie es sich für Pointen gehört, wird am Ende verraten, warum sich jedenfalls die Lektüre dieser Science-Fiction-Geschichte von einem E.T.-Erstkontakt selbst für Jura-Studenten lohnen könnte, die Aliens für Unfug halten.
Das LG Berlin fand E.T.-Vergleiche gar nicht witzig
Eine bodenständig unfreundliche Haltung gegenüber Aliens ließ namentlich das Landgericht (LG) Berlin in seinem Urteil vom 19. Januar 2010 (Az. 27 O 1050/09) erkennen.
In der Sache ging es um einen Unterlassungsanspruch des Berliner Rechtsanwalts Johannes Eisenberg (1955–) gegen den Springer-Verlag. Die Bild-Zeitung hatte Eisenberg in E.T.-Nähe gerückt.
Indem es den Schutz der Bild-Leute durch das Grundrecht der Kunstfreiheit, Artikel 5 Abs. 3 Grundgesetz (GG) ausschloss, steigerte sich das LG Berlin regelrecht in Alien-unfreundliche Positionen:
"Zwar handelt es sich bei der Äußerung. 'Sind die Aliens schon unter uns?', um Satire, denn bei dem Antragsteller handelt es sich ersichtlich nicht um einen Außerirdischen. Tatsächlich steckt in der Äußerung das Werturteil, das Vorgehen des Antragstellers als Rechtsanwalt sei auffällig – eben eines Aliens würdig –, weil er bei seinem Kampf gegen investigative Medien wie von einem anderen Stern argumentiere."
Für wie beleidigend es das LG Berlin hielt, mit einem E.T. verglichen zu werden, ließ es klar erkennen: Anwalt Eisenberg bewege "sich – anders als Karl Lagerfeld, Claudia Roth und Lorielle London, die sich möglicherweise die Frage, ob die Aliens schon unter uns sind, gefallen lassen müssen – nicht derart in der Öffentlichkeit, dass allein schon seine Person öffentliches Interesse erweckt".
Reines Ignorieren ist auch hM
Niemand macht sich wohl gerne die Mühe eines Lichtjahre durchquerenden Anflugs auf den Planeten Erde, nur um vor dem LG Berlin mit Karl Lagerfeld und Claudia Roth verglichen zu werden. Aber es kommt noch schlimmer.
Mit Urteil vom 13. Mai 2014 befand das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main über den urheberrechtlichen Unterlassungsanspruch einer amerikanischen Stiftung gegen einen deutschen Verein wegen der Veröffentlichung von Auszügen des Buches "A Course in Miracles" – es handelte sich hierbei um den deutschen Ausläufer einer in den USA langjährig geführten Copyright-Streitigkeit.
Der beklagte Verein räumte zwar schuldrechtliche Vereinbarungen mit der Stiftung ein, argumentierte aber, diese seien unerheblich, weil die Klägerin keine Rechte an dem Werk habe begründen können: Der Text sei nicht etwa von der amerikanischen Psychologin Helen Schucman (1909–1981) verfasst, sondern ihr wortwörtlich von Jesus diktiert worden, sodass dieser als Urheber in Betracht zu ziehen sei – es habe gegen den Verhandlungsgrundsatz verstoßen "wenn sich das Landgericht über den als unstreitig geltenden Vortrag der Parteien, Jesus von Nazareth habe den Kurs Wort für Wort erdacht, hinweggesetzt habe".
Dies wies das OLG von sich, indem es sich der herrschenden Auffassung anschloss, dass "jenseitige Inspirationen rechtlich uneingeschränkt ihrem menschlichen Empfänger zuzurechnen" seien.
"Anderenfalls müssten derartige Schöpfungen", begründete das Gericht, "urheberrechtlich schutzlos bleiben, weil 'außerirdische Wesen' nicht Rechtssubjekte sein können".
Und wenn sie doch kämen?
Das Frankfurter Urteil nimmt nicht wunder, unterfällt das Außerirdische doch schlechthin nicht dem Realitätsprinzip deutscher Juristen. Zu denken ist hier beispielsweise auch an den berühmten Siriusfall (BGH, Urt. v. 5.7.1983, Az. 1 StR 168/83).
Hier führte die langjährige Behauptung des Angeklagten, er sei ein Bewohner des Sterns Sirius und gehöre einer dem Menschen philosophisch überlegenen Rasse an, bekanntlich auch nicht dazu, ihn einem astrobiologischen Gutachterteam zuzuführen.
So bodenständig und insoweit grundsympathisch dieses Realitätsprinzip deutscher Juristen ist, raubt es ihnen doch die Chance, sich dem Gegebenen aus der spekulativen Perspektive des Möglichen zu nähern.
Dies kann, eher weniger fruchtbar, auf dem Gebiet des positiven Rechts geschehen. Durchaus sinnvoll scheint aber die Diskussion um ein Recht, das auch für Außerirdische gelten könnte.
2/2 Atmosphärischer Kontakt mit außerirdischen Körpern?
Der US-General Sam C. Phillips (1921–1990) ordnete in seiner Funktion als Direktor des Apollo-Programms mit Schreiben vom 8. Juli 1969 an, dass die von der ersten Mondlandung zurückkehrenden Astronauten Neil Armstrong (1930–2012), Buzz Aldrin (1930–) und Michael Collins (1930–) unter Quarantäne zu nehmen seien.
Das US-Recht nahm diese Regelung als sogenanntes "Extra-Terrestrial Exposure Law" in den "Code of Federal Regulations" auf (14 C.F.R. 1211). Die 1969 erlassene Norm ermächtigte die US-Raumfahrtbehörde NASA, Personen, Eigentum, Tiere, Lebensformen oder sonstige Dinge, die in direkten oder atmosphärischen Kontakt mit außerirdischen Körpern gekommen waren, unter Quarantäne zu nehmen.
Obwohl die Regelung seit 1977 außer Anwendung gesetzt und im Jahr 1991 aus dem "Code of Federal Regulations" entfernt wurde, gibt sie bis heute in Kreisen von UFO-Gläubigen und anderen Esoterikern Anlass zu der Unterstellung, der US-Gesetzgeber habe den Bürgern schlechthin den Kontakt zu etwaig landenden Reisenden von fremden Planeten untersagt.
Metalaw: Menschen sollen Außerirdischen nicht schaden
Zur Ehre der normverarbeitenden Berufe ist festzuhalten, dass nicht die in eine seuchenpolizeiliche Vorschrift gegossene Ansteckungsfurcht den Beginn juristischen Denkens über außerirdische Lebensformen machte.
So formulierte der amerikanische Anwalt und kurzzeitige Militärjurist Andrew G. Haley (1904–1966) das sogenannte "Metalaw", das sich grob übersetzt mit folgenden drei Sätzen wiedergeben lässt:
"1. Menschen sollen Außerirdischen nicht schaden.
2. Außerirdische und Menschen sind Gleiche.
3. Menschen sollen das Interesse Außerirdischer anerkennen, zu leben und hierzu einen sicheren Raum zu haben."
Nicht im Bundestagspräsidium oder der Pariser Modewelt, sondern im Umfeld des SETI-Programms, der von Anwalt Haley mit initiierten wissenschaftlichen "Search for Extraterrestrial Intelligence", werden die "Metalaw"-Regeln bis heute diskutiert (PDF). Dem österreichisch-australischen Weltraumrechtler Ernst Fasan (1926–) fiel etwa folgender Katalog ein:
"1. Kein Partner des Metalaws soll eine Unmöglichkeit verlangen.
2. Eine Metalaw-Regel muss nicht eingehalten werden, wenn dies anderenfalls praktisch zum Untergang der aus ihr verpflichteten Lebensform führen würde.
3. Alle intelligenten Lebensformen des Universums haben grundsätzlich gleiche Rechte und Werte.
4. Jeder Partner von Metalaw hat das Recht auf Selbstbestimmung.
5. Jede Handlung, die einer anderen Lebensform Schaden zufügt, ist zu vermeiden.
6. Jede Lebensform hat Anspruch auf ihren eigenen Lebensraum.
7. Jede Lebensform hat das Recht, sich gegen jede schädliche Handlung einer anderen Lebensform zu verteidigen.
8. Das Prinzip der Erhaltung einer Lebensform hat Vorrang vor der Entwicklung einer anderen Lebensform.
9. Im Schadensfall muss der Schadenersatz die Integrität der geschädigten Partei wiederherstellen.
10. Metalegal-Vereinbarungen und Verträge müssen eingehalten werden.
11. Der anderen Lebensform durch eigene Aktivitäten zu helfen, ist kein legales, sondern ein ethisches Grundprinzip."
Nießbrauchsrecht für interstellaren Raumverkehr?
In seiner australischen Wahlheimat wird Fasan mit den Aborigines unschwer auf Menschen stoßen, deren Vorfahren es vor 200 Jahren wohl gern gesehen hätten, wären die Briten einst mit diesem Katalog aus ihren Schiffen gestiegen.
Nicht nur hierin erinnert der Versuch, Rechtsprinzipien aufzustellen, an die sich auch "Wildfremde" gebunden fühlen könnten, an das alte Vernunft- bzw. Naturrecht, wie es beispielsweise Bartolomé de Las Casas (ca. 1484–1566) für die indigenen Völker der neu entdeckten amerikanischen Kontinente formulierte.
Im englischsprachigen Raum finden sich darüber hinaus Gedankenspiele vom Typ: Gesetzt den Fall, ein Wurmloch diente für interstellaren Raumverkehr, wie wäre ein etwaiges Nießbrauchsrecht daran zu formulieren?
Das mag zugegebenermaßen von geringer Examensrelevanz sein und auch sonst eher fantastisch. Allerdings mag man das rein erdbefangene Prinzip des Nießbrauchs – in ökonomischer, rechtlicher und ethischer Dimension – vielleicht besser verstehen, wenn man es gedanklich einmal in der "Sandbox" von Berechtigten und Verpflichteten durchgespielt hat, deren Interesse am rechtlichen Institut ganz exotisch erscheinen muss.
Dass darüber grundlegende Prinzipien klar werden können, hat Paul Krugman, immerhin Nobel-Gedenkpreisträger für Wirtschaftswissenschaften des Jahres 2008, für sein Fach am Beispiel des interstellaren Handelsverkehrs illustriert (PDF).
Und selbst wenn man von allem gar nichts hält
Selbst wenn man dies alles für überflüssigen Zeitvertreib hält: In "Die Geschichte deines Lebens" erlebt die Hauptfigur in einer erzählerisch sehr geschickt gemachten Anwendung der ethnologischen Sapir-Whorf-Hypothese, wie sich durch den Kontakt mit einer außerirdischen Sprache ihr gesamtes Denken komplett umstrukturiert.
Wie man auch zu Aliens stehen mag: Wer nicht sehen will, worin der Witz dieser Geschichte für angehende Juristinnen und Juristen liegt, muss dringend an seinem Selbstreflexionsvermögen arbeiten.
Martin Rath arbeitet als freier Journalist und Lektor in Ohligs.
Martin Rath, Außerirdische: Was E.T. von Rechts wegen zu erwarten hat . In: Legal Tribune Online, 19.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25589/ (abgerufen am: 30.05.2023 )
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