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Juristische Dissertationen: Zwischen Praxisrelevanz und verkitschter Tierliebe

von Martin Rath

16.03.2014

Doktorhut und Doktorarbeit (Symbolbild)

© MAST - Fotolia.com

Wird nicht gerade ein CSU-Politiker beim Abschreiben ertappt, ist – Hand aufs Herz – das öffentliche Interesse an juristischen Dissertationen gering. Der Gedanke, dass es nur um die karriereförderlichen zwei Buchstaben gehe, ist weit verbreitet. Das ist nicht ganz fair, findet Martin Rath mit Blick in vier frische Elaborate juristischen Forschungsdrangs.

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Aus der Praxis der Mietnomaden

Nicht fürs Juristenleben, fürs Staatsexamen lernt der studentische Nachwuchs. Bis zu welchem Grad dieser Satz der Wahrheit entspricht, ist zwar ein Gutteil vom individuellen Anspruch an das rechtswissenschaftliche Studium abhängig, doch dürfte der Eindruck kaum täuschen, dass jedes drittklassige Repetitorenskript bessere Chancen hat, Aufmerksamkeit zu erhalten, als die beste rechtswissenschaftliche Doktorarbeit – solange sie sich nicht als Plagiat herausstellt und politische Ambitionen vermessener Jungpolitiker durchkreuzt.

Wie überaus bedauerlich dies sein kann, belegt die Dissertationsschrift von Ulrich C. Haselhoff. "Der Schutz des Vermietervermögens in Mietnomadenfällen" zeigt, dass mit dem Stoff von Anfängerklausuren eine Dissertation bestritten werden kann, sofern er mit Interesse am Detail auf einen sozial relevanten Tatbestand angewendet wird.

Praxisrelevantes Promovieren: Mietnomadentum

Die Zahl sogenannter Mietnomaden, von vornherein zahlungsunwilliger Wohnraummieter, schätzt Haselhoff auf 12.000 bis 15.000 Fälle, den jeweils angerichteten Schaden auf rund 30.000 Euro. In der volkswirtschaftlichen Summe sei dies zwar unbeachtlich, für die besonders bedrohten kleinen Vermieter jedoch eine erhebliche Gefährdung beispielsweise der erhofften Alterssicherung. Zu welchen Mitteln wollen, zu welchen Mitteln dürfen Vermieter nun greifen, um ihre Mietansprüche zu sichern bzw. die ungeliebten Mieter gleich loszuwerden?

Haselhoffs Dissertation zeichnet das Panorama eines von Beginn an gestörten zivilrechtlichen Austauschverhältnisses, was sich spannender liest als mancher Regionalkrimi: Ist beispielsweise das Abdrehen von Wasser und Heizung ein Fall von verbotener Eigenmacht? Welche schützenswerte Interessen hat der nachweisbar von Beginn an zahlungsunwillige Mieter? Hat er nur ein Recht auf die reine Unterkunft oder muss diese trotz ausbleibender Zahlungen gleichwohl beheizt werden? Die juristischen Instrumente, die Haselhoff vorführt, sind die allergrundsätzlichsten des Vertrags- und Sachenrechts sowie des Strafrechts. Nur die sozialrechtlichen Regelungen, in denen der Autor den Vermieter gegenüber widerwilligen Mietern ähnlich alleingelassen sieht, wie durch das Zivilprozessrecht, gehen über den Stoff juristischer Erstsemester hinaus.

Dass dieser Gang durch die Welt der agonalen Mietverhältnisse mit Mitteln bestritten wird, die jeder angehende Jurist bereits in den ersten Semester zu hören bekommt, schadet der Doktorarbeit nicht – im Gegenteil: Ein realistischer Tatbestand wird in seiner materiell-rechtlichen und zivilprozessualen Dimension aufbereitet, unter Berücksichtigung strafrechtlicher Aspekte und ohne das Sozialrecht außer Acht zu lassen. Die Relevanz von "herrschender Meinung" und "anderer Auffassung" entwickelt sich dabei an der Frage, welche sozialen Interessen mit ihnen verfolgt werden. Genauso wie diese Dissertation könnte rechtswissenschaftlicher Unterricht aussehen, zumindest als didaktisches Angebot neben den ubiquitären Gutachtenstilblütenübungen.

Tierschützer im Kaiserreich, Gutachten zur Schuldfähigkeit und ein Schmankerl

2/2: Genießbar nur für vegane Tierrechtsfanatiker

Während man solchen Dissertationen mehr Aufmerksamkeit unter Juristen wie Normalsterblichen wünscht, kühlt die soeben entwickelte Herzenswärme fürs juristische Jungdoktorenvolk deutlich ab mit Blick in Yi Hans Dissertation: "Gesetzlicher Tierschutz im Deutschen Reich". In dieser Kölner Arbeit zeichnet der inzwischen in Shanghai lehrende Yi Han die Entwicklung des Tierschutzrechts in den rund 70 Jahren zwischen den Anfängen des deutschen Kaiserreichs und dem apokalyptischen Ende nach, das in seinem Zusammenhang unter anderem durch Luftschutz-Vorschriften zur Behandlung von deutschen Tieren im Bombenkrieg oder das Brieftaubengesetz von 1938 erkennbar wird, letzteres eine Regel zur Verhütung nachrichtendienstlicher Nutzung von Tauben.

Das Reichstrafgesetzbuch von 1871 sah in § 360 Nr. 13 nur eine "Geldstrafe bis zu funfzig Thalern" oder milde Haft für den Tatbestand vor: "(W)er öffentlich oder in Ärgerniß erregender Weise Thiere boshaft quält oder roh mißhandelt", ein strafrechtspolitischer Liberalismus, der bereits zu Kaisers Zeiten die Tierschützer auf die Barrikaden trieb. Yi Han versucht zu zeigen, dass die mit der Machtübergabe an die Regierung Hitler 1933/34 einsetzende umfassende Tierschutzgesetzgebung kein NS-typisches Machwerk gewesen sei, selbst wenn es den braunen Tierschützern ein ganz besonderes Herzensanliegen war, den jüdischen Metzgern das rituelle Schlachten ("Schächten") zu verbieten.

Dieser rechtshistorische Versuch des chinesischen Doktors, die Tierschutzanliegen des NS-Gesetzgebers von ihren antisemitischen Aspekten zu dekontaminieren, schlägt mitunter in ihr Gegenteil um. Yi Han referiert beispielsweise ausführlich aus der Tierschutzpublizistik des Kaiserreichs und der Weimarer Republik, die in der Schlachtung nach jüdischem Ritualgesetz ihr zentrales Anliegen gefunden hatte. Frei von antisemitischer Polemik war schon diese Publizistik nicht, was Yi Han zwar zeigt, aber leider nicht würdigt. Dabei tritt hier fast schmerzhaft vor Augen, wie schmal der Grat zwischen verkitschter Tierliebe und – zunächst verhaltener – Menschenfeindlichkeit bereits vor der "Machtergreifung" war.

In den dissertationstypischen Danksagungen findet sich die erstaunliche Widmung, die sich als Ankündigung einer ganzen Reihe weiterer merkwürdiger Formulierungen herausstellt: "Schließlich wünsche ich allen Tieren ein glückliches Fest anlässlich des 80. Jahrestages des Reichstierschutzgesetzes am 24. November 2013."

"Nicht alles an den Nazis war schlimm. Gut, das mit den Autobahnen hätten sie nicht tun dürfen…", geht ein alter Kabarettistenscherz über die "grüne" Geschichtsinterpretation der "braunen" Liebe zu Mutter Natur. Zu befürchten steht, dass strikte Tierfreunde aus Yi Hans Dissertation entsprechenden Honig saugen werden – falls diese Metapher nicht bereits ihrem erweiterten Tierrechtsverständnis widersprechen sollte.

Gutachten zur Schuldfähigkeit – leider ein Dauerbrenner

Schmerzhaft nicht in der Darstellungsform, aber nicht ganz schmerzfrei in den Ergebnissen: "Die Schuldfähigkeitsbegutachtung in Jugendstrafverfahren – Eine Bestands- und Qualitätsanalyse". In ihrer 2013 vorgelegten, jetzt verfügbaren kriminalwissenschaftlichen Dissertation überprüfte die Bonner Doktorandin Alissa Schöttle die Übereinstimmung psychologischer Gutachten mit relevanten Kriterien, die an ein prozess-, wenn nicht lebensentscheidendes Testat anzulegen sind.

Ihre Ergebnisse führen uns zwar nicht in die Abgründe des Gutachtenwesens, die 2013 im "Fall Mollath" zu Tage traten, ihre Zahlen deuten jedoch auf Defizite hin. Beispielsweise fehlt in circa 45 Prozent aller Gutachten zur Schuldfähigkeit der Hinweis auf die Vorläufigkeit der gutachterlichen Erkenntnis, nur rund ein Drittel der Gutachten berücksichtigt bzw. dokumentiert die frühere psychologisch-psychiatrische Behandlung des Begutachteten adäquat.

Ein Bemühen der Gutachter, für Laien verständlich zu sein, attestiert Schöttle nur rund der Hälfte der von ihr untersuchten Gutachten. Fünfzig Prozent, das wäre viel, ginge es nur um die Handschrift eines Arztes. Für Gutachten im Jugendstrafprozess scheint das ein bisschen dürftig.

Schöttle kommt zu dem Fazit, dass "ein Großteil der erstatteten Schuldfähigkeitsgutachten sowohl formal-methodisch als auch materiell hinter dem wissenschaftlichen Standard" zurückblieben und wegen der hohen Übernahme ins gerichtliche Urteil zur Fehlerquelle würden.

And Now for Something Completely Different

Mit der Erlaubnis des Lesers wechseln wir das Thema barsch: Warum in den 1970er-Jahren ausgerechnet Schwedinnen im Ruf besonderer erotischer Reize standen, war ja noch nie recht verständlich – im Hintergrund sang im Zweifel "Abba". Doch selbst für Liebhaber nordländischer Schlagermusik ist nun dank einer neuen rechtswissenschaftlichen Dissertation der Konnex von "Schweden" und "Erotik" vollends zerstört.

Nach der beunruhigenden Erkenntnis zum schlechten Einfluss der Gutachter auf die Justiz, nach der reichlich ulkigen Widmung einer Dissertation zum Wohl des deutschen Tiers und nach dem vergeblichen Loblied auf die induktive Methode am Beispiel des Mietnomadismus – eines sind wir zum Schluss ja noch schuldig: ein Schmankerl.

Wir finden es bei Alexandra Maschwitz, die 2013 in Bonn die Weihen des Doktorgrads erfuhr mit einer Arbeit über "Die Form der Eheschließung – eine rechtsvergleichende Untersuchung der fakultativen und der obligatorischen Zivileheschließung am Beispiel Deutschlands und Schwedens".

Nach den Vorschriften des "Äktenskapsbalken", dem schwedischen Ehegesetz, müssen die heiratswilligen Nordländer eine amtliche Prüfung der Ehehindernisse beantragen. Das ist weiter nicht ungewöhnlich. Doch welche Behörde ist in Schweden für diese Prüfung zuständig?

Das Finanzamt. Wie liebreizend.

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Martin Rath, Juristische Dissertationen: Zwischen Praxisrelevanz und verkitschter Tierliebe . In: Legal Tribune Online, 16.03.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/11340/ (abgerufen am: 29.03.2023 )

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