Kulturkritiker beschweren sich zwar oft, dass Ostern zum "Hühner- und Hasenfest" degeneriert sei. Juristen meiden indes zu recht die schwierigen Fragen des Osterfestes. Wäre die Auferstehung heute etwa unter "Störung der Totenruhe" zu subsumieren? Mit Hühnern, Eiern und dem Hasen kennt sich der Jurist hingegen aus. Eine Hühnerauswahl von Martin Rath.
Für Diskussionen unter Ausschluss der Öffentlichkeit, also für ein Universitätsseminar oder einen Festschriftartikel, wäre das schon eine hübsche Frage: Als Jesus zu Ostern von den Toten auferstand, beging er damit eine "Störung der Totenruhe" nach § 168 Absatz 2 Strafgesetzbuch (StGB)? In unseren kulturell ausgeglichenen Zeiten müsste sich natürlich die Frage anschließen, wie die Himmelfahrt des Propheten Mohammed luftverkehrsrechtlich zu würdigen ist. Dann wäre bestimmt flugs wieder jemand beleidigt.
Also lieber bei den Fragen bleiben, zu denen Juristen erstaunliche und manchmal auch etwas gruselige Erkenntnisse gewonnen haben, bei denen sie sich aber auf sicherem Terrain bewegen – dem Gebiet rechtlicher Besorgnis um Hühner und Hasen.
Hühner- und Hausfrauenversteher vom OLG Stuttgart
Ein fast schmerzhaft komisches Urteil, in dem das Huhn eine Hauptrolle spielte, verkündete der Bundesgerichtshof (BGH) am 27. Juni 1961 (Az. I ZR 135/59) in einer wettbewerbsrechtlichen Sache. Seit 1956 hatte, so die Feststellung des Berufungsgerichts, "ein Hersteller von Eierteigwaren, die unter Verwendung von Trockenei hergestellt werden" Radio-Werbesendungen geschaltet, in denen der Reklametext von Hühnergegacker begleitet wurde. Ein Konkurrenzunternehmen forderte Unterlassung dieser Rundfunkreklame, weil durch das "verwendete Hühnergegacker der unzutreffende Eindruck erweckt werde, die angepriesenen gewöhnlichen Eierteigwaren seien aus Frischei hergestellt".
Das Begehren wurde auf folgenden Gedanken gestützt: "Da erfahrungsgemäß die Hühner, insbesondere nach dem Legen eines Eies, gackerten und das Eierlegen der den Menschen am Huhn am meisten interessierende Vorgang sei, denke der Hörer beim Gackern in der Werbesendung sogleich ans Eierlegen." Das zwinge zur Assoziation eines Frischei-Produkts. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart folgte dem nach eingehenden Überlegungen, ob sich für den Radiohörer das "Legegegacker" vom gewöhnlichen "Konversationsgegacker" unterscheide. Es stellte auch fest, dass die OLG-Richter aus eigener Sachkunde in der Lage seien, das eine vom anderen zu unterscheiden.
Aber nicht nur Empathie zum Huhn zeigten BGH und OLG. Bei der Frage, ob sich der etwaige Käufer durch das Gackern im Radio im Frischei-Gehalt des Produkts getäuscht sehen könnte, ließ der BGH die – männliche – Sachkunde genügen: Weil es sich bei Eierteigwaren um einen Gegenstand des täglichen Bedarfs und nicht um einen auf die besonderen Bedürfnisse von Frauen ausgerichteten Spezialartikel handele und das Gegacker ein Vorgang des täglichen Lebens sei, hätten sich die OLG-Richter ein eigenes Urteil von der Täuschungsanfälligkeit der umworbenen Eierteigwaren-Käufer machen dürfen – selbst wenn das Produkt sonst "meist von der Hausfrau gekauft" werde.
Schrecknisse des Hühnerlebens aus der Luft
Von so viel richterlicher Empathie ins Hühnerleben konnte das Federvieh im niedersächsischen Wilsum knapp 50 Jahre nach der südwestdeutschen Gackerjuristerei nur träumen. Mit Urteil vom 4. Mai 2007 (Az. 5 O 2657/05) wies das Landgericht (LG) Osnabrück die Klage eines Hühnerzüchters ab, dessen Betrieb im Spätsommer 2004 von einem Heißluftballon überquert worden war. Dem Ballonfahrer, dem Beklagten des Verfahrens, wurde vorgeworfen, die rund 20.000 Freilaufhühner des Klägers im Tiefflug erschreckt zu haben. Das "zischende bzw. fauchende Geräusch des Brenners" habe die Tiere in Panik versetzt: "Sie hätten entweder versucht, über den zwei Meter hohen Begrenzungszaun zu fliegen, oder hätten panikartig den Versuch unternommen, in den Stall zu flüchten, so dass sich die Tiere vor den 21 Zugangsöffnungen an den Stallseiten gestaut hätten bzw. fliegend gegen die Stallwand geprallt seien."
Das LG Osnabrück wollte, gestützt auf einen Sachverständigen, eine Kausalität zwischen dem Ballonschrecknis und einem Tage später ausbrechenden Lege-Ausfall auf 58 Prozent der Regel-Eierzahl nicht erkennen: "Da die Bildung eines Hühnereies vom Follikelsprung bis zur Eiablage etwa 23 Stunden dauere, sei bereits etwa ein bis zwei Tage nach einem derartigen Störereignis mit einer Minderung oder einem gänzlichen Stillstand der Legeaktivität – letzteres meistens bei nur einem Teil der Tiere – und/oder der Ablage dünnschaliger oder schalenloser Eier zu rechnen."
Hühner in der Gewalt der Fortbildungsbürokratie
Während das Osnabrücker Urteil nur von einem gewissen Abstand der Richterschaft gegenüber den natürlichen Lebensgrundlagen, zumindest in Hühnergestalt, zeugt, bilden sich die wahren Schrecknisse des Hühnerlebens im umfangreichen juristischen Schrifttum ab. Ein Beispiel dafür gibt der niedersächsische Runderlass zur "Sachkunde für Halterinnen und Halter von Masthühnern nach § 17 TierSchNutzV" aus dem Jahr 2010. Danach muss sich jeder niedersächsische Herr über mehr als 500 Masthühner in einem dreitägigen Lehrgang unter anderem mit juristischen Fragen befassen – eine Art hühnerrechtliches Schnellrepetitorium. Ein Zitat aus dem verordneten Lehrgangsprogramm verrät in seiner kryptischen Kürze wohl mehr vom realen Hühnerleben als jede Langform: "TierSchG: § 1 (Geflügel als Mitgeschöpf, vernünftiger Grund), § 2 (Tierhalternorm – Verantwortung der Halterin oder des Halters vom Einstallen bis zum Abschluss der Verladung zwecks Transport zum Schlachtbetrieb), § 4 (ordnungsgemäßes Töten von Geflügel unter Betäubung), § 6 (Amputationsverbot)".
Komisch an diesem Hühnerhalter-Erlass ist allenfalls noch der bürokratische Hinweis, die Lehrgangsteilnehmer sollten ihre Kenntnisse durch praktische Übungen "z.B. mittels Nachbildungen von Geflügel" vertiefen. Auf den Gedanken, Landwirten Geflügelkenntnisse mit anatomischen Puppen zu vermitteln, muss man erst einmal kommen.
Juristische Osterhasen-Topologie
Anders als die Schreckensbilder des Hühnerlebens sind einige juristische Topoi von Osterhase und Osterei möglicherweise von forensischem Nutzwert.
Einen klassischen Fehlgriff juristischer Rhetorik leistete sich beispielsweise nach Gerhard Wolf der etwas kryptische "Präsidialrat" des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG). Als dieser in seiner Regelung von TV-Aufnahmen im Gerichtsgebäude formuliert habe, "als Sitzungssaal" könnten auch neben „dem eigentlichen Saal" liegende Räume gelten, habe er ein Argument des Typs "als Weihnachtsmann im Sinne des Gesetzes gilt auch der Osterhase“ gebraucht (NJW 1994, S. 681-687).
Zu den Lebensmotiven von Gerhard Herdegen, des langjährigen und recht streitbaren Richters am BGH, zählt Rainer Hamm (NJW 2001, S. 2953), dass dieser "die Lehre des Philosophen und Erkenntnistheoretikers Karl Popper in die Sprache des Strafprozessrechts übersetzt und uns auf diese Weise gezeigt [habe], dass man 'die Wahrheit' nicht wie ein Osterei 'finden'" könne.
Diese wertvolle Skepsis vertieft Harald Mediger, ehedem Patentexperte der I.G. Farben, um die Frage, wie sich das "angenommene oder tatsächliche Vorauswissen eines Ergebnisses, das man eigentlich noch gar nicht kennen, sondern erst für sich erarbeiten soll", auf die "Unbefangenheit, die Voraussetzungslosigkeit" auswirkt, die man etwa von einem Richter erwarten darf (GRUR 1962, S. 68-72). Wohin zu starke Hypothesen, auch im juristischen Erkenntnisprozess, führen, fasste Mediger in dieses Bild: "Wir erinnern uns aus der Kindheit, als wir einmal heimlich beobachtet hatten, daß der Vater das schönste Osterei im dritten Busch von links versteckt hatte; wenn die Suche dann freigegeben wurde, schienen unsere Füße nicht fähig zu sein, uns zu einem anderen Ort als dem dritten Busch von links zu tragen, – oder, wenn man dem Vater den Spaß nicht verderben wollte, lief man überall hin, nur nicht zu dem dritten Busch."
Übertragen auf juristische Erkenntnisfindung möchte man das gar nicht wahr haben. Immerhin, bei so viel Skepsis gewinnt jene geradezu taoistische Weisheit an Gewicht, mit der Altbundeskanzler Helmut Kohl unsterblich geworden ist und für die man gottlob keine anatomische Hühnerpuppe zur Hand nehmen muss: "Entscheidend ist, was hinten raus kommt."
Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.
Martin Rath, Osterfragen und Juristenantworten: . In: Legal Tribune Online, 08.04.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5955 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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