Vor 50 Jahren endete die vierte Kanzlerschaft des damals 87-jährigen Adenauer. Zugleich ging sein langjähriger Mitarbeiter und Staatssekretär Hans Globke in den Altersruhestand, der wegen seiner Kommentierung der Nürnberger Rassegesetze in Verruf geraten war. Unter den Historikern hat der Jurist Ankläger wie Verteidiger. Auf jeden Fall ist er auch für die Gegenwart von Interesse, meint Martin Rath.
Am 10. September 1963 vollendete Dr. iur Hans Josef Maria Globke das 65. Lebensjahr. Durch geschlossenen Rücktritt der FDP-Minister im November 1962 zeichnete sich das Ende der Kanzlerschaft Konrad Adenauers für den Oktober 1963 ab. Das Verhältnis zwischen Ludwig Erhard, dem amtierenden Wirtschaftsminister und designierten Nachfolger Adenauers, und dem Staatssekretär im Bundeskanzleramt war nicht besonders gut.
Das Erreichen der Altersgrenze und ein ungeliebter neuer Chef waren für einen politischen Beamten von schlechter Gesundheit Grund genug, in den Ruhestand zu treten. Die Medien der DDR unterstellten ihm bald jedoch andere Gründe: Am 23. Juli 1963 hatte das Oberste Gericht der DDR Globke nach einem zweiwöchigen Schauprozess in Abwesenheit zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, wegen seiner Tätigkeit im Preußischen bzw. im Reichs- und Preußischen Ministerium des Inneren (1929-1945).
Der Beck’sche Kommentar zur deutschen Rassengesetzgebung
Als Ministerialbeamter im Preußischen Innenministerium, das nach der Gleichschaltung Preußens 1934 mit dem Reichsinnenministerium fusionierte, war der 1898 in Düsseldorf geborene Jurist Hans Globke für das Personenstandswesen zuständig. Globke war damit zentrale Auskunftsperson für Fragen zu den 1935 erlassenen "Nürnberger Rassegesetzen", insbesondere zum sogenannten Blutschutzgesetz, das sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden verbot, und zum Reichsbürgergesetz, das die Staatsangehörigkeit nach rassistischen Kriterien differenzierte.
1936 erschien bei C.H. Beck als Band 1 der "Kommentare zur deutschen Rassengesetzgebung" der "Stuckart-Globke", der neben den judenfeindlichen Gesetzen aus dem Vorjahr auch die ersten Durchführungsverordnungen sowie die Vorschriften des Ehegesundheitsgesetzes erläuterte. Der NS-Politiker und Beamte Dr. iur. Wilhelm Stuckart besorgte das Vorwort, der parteilose Beamte Globke erledigte die eigentliche Kommentierung.
Der Kommentar birgt feinsinnige juristische Distinktionen. Zu § 3 des Blutschutzgesetzes, der Juden verbot, weibliche Staatsangehörige deutschen oder artverwandten Blutes unter 45 Jahren in ihrem Haushalt zu beschäftigen, erläutert Globke, dass es zwar noch nicht gegen das Verbot verstoße, wenn ein jüdischer Mann als Untermieter in einem arischen Haushalt wohne; sobald er aber an der Gemeinschaft teilnehme, zum Beispiel an gemeinsamen Mahlzeiten, verstoße dies gegen das Beschäftigungsverbot.
In Globkes Kommentierung zum Verbot des "außerehelichen Verkehrs", der vom Blutschutzgesetz nicht näher bestimmt wird, heißt es: "Unter Geschlechtsverkehr ist zwar nicht nur der Beischlaf, das heißt die natürliche Vereinigung der Geschlechtsteile zu verstehen, sondern auch beischlafähnliche Handlungen, z.B. gegenseitige Onanie. Im Hinblick auf den Zweck des Verbots, mischrassige Nachkommenschaft zu verhüten, verbietet sich aber jede hierüber hinausgehende Auslegung des Begriffs Geschlechtsverkehr; sonstige Handlungen erotischer Art, z.B. Küsse, Umarmungen, unzüchtige Berührungen, fallen nicht unter das Verbot."
Nachkriegskarriere dank guter Kontakte
Der spätere Spitzenbeamte unter Konrad Adenauer wurde 1898 in die Familie eines Düsseldorfer Textilgroßhändlers geboren. Er wuchs in Aachen auf, nahm als Artillerist am Ersten Weltkrieg teil und studierte nach Kriegsende Rechtswissenschaften in Bonn und Köln. Das erste Staatsexamen bestand Globke mit einem "ausreichend", im Referendariat bewährte er sich – so deutet sein jüngster Biograf Erik Lommatzsch (2009) an – durch Fähigkeiten, die seiner Karriere später dienten: großer Arbeitsfleiß und die Fähigkeit, komplexe Sachverhalte einfach darzustellen. Der alte Adenauer schätzte diese Eigenschaften.
Die Verbindung zu Aachen scheint entscheidend für den Karrierestart gewesen zu sein. Die Stadt blieb nach 1918/19 elf Jahre von belgischen Truppen besetzt. Die Polizeibehörde war daher ein Zwitterwesen aus preußischem Staat und kommunalem Amt. Globke, als praktizierender Katholik inzwischen Mitglied der Zentrumspartei, bewies sich in dieser Behörde als fast unersetzlicher Jungjurist. 1929 folgte die Versetzung ins Preußische Innenministerium, das von der Regierungskoalition aus SPD, Zentrum und der liberalen Deutschen Demokratischen Partei auch als Erprobungsstätte für einen republiktreuen Verwaltungsnachwuchs gesehen wurde.
Dass Globke nach 1945 seine Verwaltungslaufbahn nicht nur als Stadtkämmerer von Aachen fortsetzen, sondern als Stabschef des politisch reüssierenden Konrad Adenauer beschleunigen konnte, ohne dass ihm dabei der Kommentar zu den Rassengesetzen im Weg stand, hatte er seinen außeramtlichen Kontakten während der Kriegsjahre zu verdanken.
Martin Rath, Der Kommentator der Nürnberger Rassegesetze: . In: Legal Tribune Online, 29.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9693 (abgerufen am: 02.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag