In den kommenden Wochen soll die Reform der Verfassungsrichterwahl beschlossen werden. Wird sich dadurch etwas ändern? Außerdem in der Presseschau: Union will den Soli abschaffen, Thomas Fischer ist gegen den Blasphemie-Paragrafen, LG Potsdam zu Filesharing-Fällen, IStGH legt Grundsätze der Opferentschädigung fest und warum man in Paris besser keine Drohnen fliegen lässt.
Thema des Tages
Verfassungsrichterwahl: In den kommenden Wochen entscheidet der Bundestag über eine Reform der Verfassungsrichterwahl. Christian Rath erläutert auf lto.de den bereits im Oktober vorgestellten Gesetzentwurf. Die vom Bundestag zu wählende Hälfte der Verfassungsrichter soll künftig im Plenum anstatt wie bisher von einem zwölfköpfige Gremium gewählt werden. Die geplante Abstimmung im Plenum des Bundestages werde nach Ansicht des Autors allerdings nicht viel ändern, da die Festlegung der Kandidaten wie bisher durch Absprache der großen Fraktionen erfolgen soll und weder eine Anhörung der Kandidaten noch eine Aussprache der Abgeordneten vorgesehen sei. Vielmehr sei es ein symbolischer Akt im Bemühen der Politik, dem Bundesverfassungsgericht zu zeigen, "wer das Sagen hat".
Rechtspolitik
Solidaritätszuschlag: Nach Informationen der SZ (Claus Hulverscheidt/Robert Rossmann) hat die Unionsführung den internen Streit über die Neuordnung der föderalen Finanzbeziehungen beigelegt und will den Solidaritätszuschlag bis 2030 schrittweise abbauen. Zuvor hatte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) eine Integration des Solis in die Einkommensteuer vorgeschlagen. Angesichts wachsender Staatseinnahmen habe sich die Union völlig zurecht für die Variante der Abschaffung des Solis entschieden, meint Claus Hulverscheidt (SZ) in einem separaten Kommentar.
Blasphemie: In seiner wöchentlichen Kolumne auf zeit.de befasst sich Thomas Fischer, Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof, diesmal mit dem Blasphemie-Paragrafen. Erläutert werden neben der Geschichte des Tatbestands des § 166 Strafgesetzbuchs seine Voraussetzungen und das Verhältnis zum Tatbestand der Volksverhetzung. Nach Meinung des Autors sollte der Paragraf gänzlich gestrichen werden.
Frauenquote: Nach Kritik am Gesetzentwurf zur gleichberechtigten Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen bei der Sachverständigenanhörung soll der Entwurf an den beanstandeten Punkten geändert werden, bevor der Bundestag am Freitag darüber abstimmt. Das Handelsblatt (Daniel Delhaes u.a.), die FAZ (Dietrich Creutzburg) und die taz (Heide Oestreich) stellen die Änderungen ausführlich dar. Die geplante Männerförderung soll nur noch bei Bestehen struktureller Benachteiligung greifen; bei der Flexiquote müssen die Unternehmen nicht mehr jährlich über die Umsetzung der Selbstverpflichtung berichten.
Selbstanzeige: Wie die FAZ (Joachim Jahn) berichtet, hat der Leiter der Steuerabteilung beim Bundesfinanzministerium Michael Sell angekündigt, eine Verwaltungsanweisung zu den Berichtserklärungen nach der Abgabenordnung zu erlassen. Sie soll eine sichere Abgrenzung zur Selbstanzeige bei Steuerhinterziehung schaffen und die bisherige Rechtsunsicherheiten bei der Berichtigung von Steuerklärungen beseitigen.
Justiz
LG Potsdam zu Filesharing: internet-law.de (Thomas Stadler) macht auf ein Urteil des Landgerichts Potsdam zur Darlegungslast in Filesharing-Fällen vom 8. Januar aufmerksam. Danach sei die Vermutung der Alleinnutzung des Anschlusses bereits dann widerlegt, wenn der Anschlussinhaber darlegt, dass Familienangehörige im Haushalt leben und freien Zugang zum Anschluss haben. Weitergehende Nachforschungspflichten bestehen nicht.
LAG Düsseldorf zu Bußgeldregress: Rechtsanwalt Michael Magotsch bespricht im Recht-und-Steuern-Teil der FAZ ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf zur Frage, ob Unternehmen für verhängte Geldbußen wegen Kartellabsprachen bei Vorständen und Geschäftsführern Regress nehmen können. Im konkreten Fall wollte Thyssen-Krupp von einem ehemaligen Bereichsvorstand unter anderem das vom Kartellamt in Höhe von 191 Millionen Euro verhängte Bußgeld erstattet haben. Das LAG Düsseldorf wies die Klage diesbezüglich ab, weil die Geldbuße gegen das Unternehmen der Abschöpfung des erzielten Vorteils dienen soll und dieser Zweck bei Weitergabe an den Mitarbeiter leerlaufen würde. Thyssen-Krupp habe bereits die Revision angekündigt.
BGH - Christian Köckert: Am heutigen Mittwoch verhandelt der Bundesgerichtshof die Klage gegen den ehemaligen Innenminister von Thüringen Christian Köckert wegen des Vorwurfs der Vorteilsannahme, stellt das Handelsblatt (Andreas Dörnfelder) in einem Prozessvorbericht dar. Köckert soll während seiner Zeit als ehrenamtlicher Beigeordneter des Eisenacher Stadtrats gleichzeitig für den Windparkbauer Juwi tätig gewesen sein und Entscheidungen des Stadtrats zugunsten des Unternehmens beeinflusst haben. Auch der Unternehmensvorstand sei bereits wegen möglicher Vorteilsgewährung angeklagt.
LG München I – Jürgen Fitschen: Die Zulassung der Anklage gegen Jürgen Fitschen und vier weitere ehemalige Vorstände der Deutschen Bank wegen versuchten Prozessbetrugs kommentiert Joachim Jahn in einem Leitartikel in der FAZ. Erfreulich sei einerseits, dass die Strafverfolger "nicht mehr vor Vorständen und Aufsichtsräten Halt machen". Andererseits wirkt der Vorwurf gegen Fitschen weit hergeholt, ein "Freispruch erster Klasse" sei nicht unwahrscheinlich.
OLG München – NSU: Im NSU-Verfahren vor dem Oberlandesgericht München darf nur noch an zwei Tagen im Monat gefilmt werden. Das habe der Vorsitzende Manfred Götzl auf Antrag der Verteidiger Beate Zschäpes verfügt, um die Persönlichkeitsrechte der Angeklagten zu wahren. Die SZ (Annette Ramelsberger) und lawblog.de (Udo Vetter) berichten.
Schwarzfahren: Gegen die Strafbarkeit des Schwarzfahrens wird häufiger durch offenkundiges Schwarzfahren protestiert und so nehmen auch Verfahren vor Gericht wegen Leistungserschleichung nach § 265 a des Strafgesetzbuchs zu, schildert die taz (Martin Kaul). Die Protestierenden treten hierbei mit einem deutlichen Hinweis auf den fehlenden Fahrschein auf und stützen sich auf die Argumentation, offensichtliches Schwarzfahren könne kein "Erschleichen" von Leistung im Sinne der Strafnorm sein. Christian Rath (taz) findet, diese Aktionen seien das Gegenteil von zivilem Ungehorsam, denn die Betroffenen bedienten sich eines "winkeladvokatorischen" Tricks, um sich den Folgen des Verstoßes zu entziehen anstatt diese zu tragen und zu kritisieren.
Recht in der Welt
IStGH zu Opferentschädigungen: Die taz (Dominic Johnson) stellt Regelung dar, die von der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag für die Entschädigung der Opfer des verurteilten kongolesischen Milizführers Thomas Lubanga aufgestellt wurden. Unter anderem sollen die Reparationen vom Verurteilten an konkret benannte Personen geleistet werden und die Schäden aufgrund der im Urteil genannten Straftaten erlitten worden sein. Bisher haben solche verbindlichen Regeln für die Leistungen von Reparationen gefehlt.
USA – Dzokhar Tsarnaev: Am heutigen Mittwoch beginnt in Boston der Prozess gegen Dzokhar Tsarnaev, der die Bombe beim Attentat auf den Bostoner Marathon 2013 gelegt haben soll, bei dem drei Menschen starben und Hunderte verletzt worden waren. Die FAZ (Andreas Ross) bringt einen ausführlichen Vorbericht und schildert das Attentat und die Prozessvorgeschichte, wie die Geschworenenwahl und die Bemühung der Verteidigung, den Prozess an einen anderen Ort zu verlegen.
Österreich – Achat Alijew: Den Fall des ehemaligen kasachischen Botschafters Achat Alijew greift die FAZ (Stephan Löwenstein) auf. Alijew saß wegen Mordverdachts in Österreich in Untersuchungshaft und wurde vergangene Woche erhängt in seiner Zelle aufgefunden. Der Autor schildert, wie Alijew's Verteidiger und der Opfervertreter Gabriel Lansky PR-Kampagnen rund um die Vorwürfe geführt und versucht haben, die jeweilige Seite öffentlich zu diskreditieren.
Singapur – Stockschläge für Graffiti: Gegen zwei in Singapur wegen Graffiti-Sprühens angeklagten Deutsche soll das Urteil an diesem Donnerstag ergehen. Ihnen drohen eine Geldbuße oder bis zu drei Jahren Haft und bis zu acht Stockhieben, mit denen Vandalismus in Singapur geahndet wird. Die SZ (Arne Perras) erläutert den historischen Hintergrund der Strafe mit Stockhieben und schildert in welchen Fällen, sie bereits verhängt wurde.
Sonstiges
Assistententagung: juwiss.de begleitet die 55. Assistententagung Öffentliches Recht, die bis Freitag in Augsburg zum Thema "Rechtsfrieden – Friedensrecht" stattfindet, mit einem Liveblog und führt in dem Zusammenhang ein Interview mit dem Bundesverfassungsrichter Ferdinand Kirchhof, der die Eröffnungsrede auf der Tagung gehalten hat. Themen des Interviews sind unter anderem die friedenssichernde Funktion der europäischen Integration, aktuelle Herausforderungen für Wissenschaftler des Öffentlichen Rechts und der Einfluss moderner Kommunikationsmittel auf die Wissenschaft.
Das Letzte zum Schluss
Teurer Drohnenflug: Reporter von Al Jazeera wollten einen Beitrag über mysteriöse Drohnenflüge über Paris drehen, die in der Nähe sensibler Einrichtungen wiederholt gesichtet wurden. Hierfür drehten sie in einem Pariser Park mithilfe einer Drohne und wurden deshalb selbst verhaftet, berichtet spiegel.de. Einer der Journalisten sei nun zu einer Geldstrafe verurteilt worden, denn Drohnenflüge seien über Paris verboten, es droht bis zu einem Jahr Haft.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/ms
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 4. März 2015: Reform der Verfassungsrichterwahl – Abschaffung des Soli – Thomas Fischer gegen Blasphemie-Paragrafen . In: Legal Tribune Online, 04.03.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/14842/ (abgerufen am: 08.05.2024 )
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