Verstößt Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr gegen Datenschutzrecht? Außerdem in der Presseschau: Richtervorbehalt bei der Blutentnahme, keine Gerichtsentscheidung über Scala-Verträge und Humboldt hätte Staatsversagen attestiert.
Thema des Tages
VG Hannover – Videoüberwachung im ÖPNV: Ist Videoüberwachung im öffentlichen Nahverkehr mit Datenschutzrecht vereinbar? Darüber verhandelt am Mittwoch das Verwaltungsgericht Hannover. Die Hannoverschen Verkehrsbetriebe klagen gegen eine Untersagung der Videoüberwachung. Die niedersächsische Datenschutzbeauftragte verteidigt das Verbot und hält selbst das sogenannte Blackbox-Verfahren (Löschung der Aufnahmen nach 24 Stunden, wenn sie niemand anfordert) für rechtswidrig. Das berichtet die Samstags-taz (Melina Seiler).
Rechtspolitik
Elternnachzug: Familiennachzug soll nach dem Asylpaket II für Personen mit subsidiärem Schutz erst nach zwei Jahren möglich sein. Nun ist aufgefallen, dass das nach dem Wortlaut des Kabinettsentwurfs auch für den Elternnachzug bei minderjährigen Geflüchteten gilt. Die SPD wolle dies so jedoch nicht regeln, weshalb das Paket erneut aufgeschnürt werden müsse. Dazu schreiben u.a. Montags-taz (Christina Schmidt), Montags-SZ (Constanze von Bullion) und Montags-Welt (Daniel Friedrich Sturm).
Lebenspartnerschaft: Eine Gleichsetzung von Ehe und Lebenspartnerschaft wurde politisch verhindert und dafür gab es das Gesetz zur Bereinigung des Rechts der Lebenspartner. Rechtsprofessor Dieter Schwab hat in der Zeitschrift für das gesamte Familienrecht untersucht, ob und wie die Rechtsangleichung dennoch Fortschritte gemacht hat, schreibt die Samstags-SZ (Heribert Prantl). Trotz vieler Detailänderungen fehlen entscheidende Schritte der Angleichung weiterhin, etwa im Bereich der Adoption.
Richtervorbehalt bei Blutentnahme: Nach Plänen aus dem Bundesjustizministerium könnte es ab 2017 keinen Richtervorbehalt bei Blutentnahmen mehr geben, schreibt lto.de. Rechtsanwalt Jens Ferner kritisiert das auf ferner-alsdorf.de scharf.
"Bargeld-Bremse": Zur geplanten Einschränkung von Bargeldzahlungen und der Abschaffung des 500-Euro-Scheins schreibt die Samstags-FAZ (Philip Plickert/Joachim Jahn u.a.). Experten für die Schattenwirtschaft bezweifeln eine Beeinträchtigung illegaler Geschäfte, die die Freiheitseinschränkung durch die Maßnahme rechtfertigen könnte. Verschleierung von Geldflüssen und Geldwäsche sei bei elektronischen Zahlungsmitteln und Onlinebanking "verhältnismäßig einfach" heißt es auch vom Deutschen Richterbund. Die WamS (Steffen Fründt/Las-M. Nagel) erklärt Geldwäsche und warum eine solche Regelung ihr nichts anhaben könne. In einem Vergleich mit anderen europäischen Ländern zeigt spiegel.de (Stefan Simons/Hans-Jürgen Schlamp) auf, dass die Bargeld-Bremse dort wenig an der Schattenwirtschaft geändert hat.
Residenzpflicht: Der Spiegel (Markus Dettmer u.a.) befasst sich mit Überlegungen zu einer Residenzpflicht oder Wohnsitzauflagen auch für anerkannte Flüchtlinge, deren Ausgestaltung das Justizministerium prüft. Sie soll Konzentrationen von Flüchtlingen gleicher Herkunft vermindern und leerstehenden Wohnraum nutzen aber auch die Arbeitsmarktintegration berücksichtigen.
Flüchtlingsverteilung: Die Samstags-FAZ (Uwe Ebbinghaus) befasst sich mit der derzeitigen Verteilung von Flüchtlingen innerhalb Deutschlands nach dem Königsteiner Schlüssel und Verteilungsplänen in der EU. Konkrete auf die Flüchtlingsfrage angepasste Regelungen seien erforderlich, hinderlich sei jedoch der mangelnde politische Wille.
Justiz
BGH zu Strafen bei Steuerhinterziehung: In einem am vergangenen Freitag veröffentlichten Urteil hat der Bundesgerichtshof laut Samstags-FAZ (Joachim Jahn) entschieden, bei der Bestimmung eines besonders schweren Falls der Steuerhinterziehung nicht mehr nach Nichtabgabe (ab 100.000 Euro) und Falschangabe (ab 50.000 Euro) zu unterscheiden – 50.000 Euro ist bei beiden nun die Grenze. Die Unterscheidung habe sich an die Differenzierung zwischen eingetretenem Vermögensschaden und Gefährdungsschaden aus der Rechtsprechung zum Betrug angelehnt, die sich auf die Beeinträchtigung des Steueranspruchs nicht übertragen lasse.
BGH – Scala-Verträge: Im Streit der Sparkasse Ulm mit ihren Sparern um die sogenannten Scala-Verträge ist nun doch eine Einigung erfolgt. Nach mehreren Niederlagen der Sparkasse wird weder ein endgültiges Urteil des Bundesgerichtshofs ergehen noch eines der vorhergehenden in Rechtskraft erwachsen. Über den Inhalt der Vereinbarung ist Stillschweigen vereinbart, schreiben lto.de, Samstags-FAZ (Susanne Preuß) und Samstags-Welt.
OLG München – NSU: Am Oberlandesgericht München ist der Antrag, auch Hermann Borchert als Pflichtverteidiger beizuordnen, abgelehnt worden. Beate Zschäpe sei mit ihren bisher vier Pflichtverteidigern ausreichend verteidigt. Borchert gab an, trotz Zschäpes Mittellosigkeit bezahlt zu werden, von wem sagte er nicht. Es werde ein weiterer Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl folgen, schreibt spiegel.de (Wiebke Ramm). Auch die Samstags-SZ (Annette Ramelsberger) schreibt zu der ablehnenden Verfügung.
LG Hanau – Auschwitzprozess: Eine Jugendkammer des Landgerichts Hanau hat die Anklage gegen einen heute 93-Jährigen wegen Beihilfe zum Mord im KZ Auschwitz zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet. Die Verhandlung soll im April beginnen, meldet spiegel.de.
LG Hannover – Salzhemmendorf: Der Prozess gegen das Trio, dass den Brandanschlag mit einem Molotowcocktail auf eine Flüchtlingsunterkunft in Salzhemmendorf gestanden hat, beginnt am Mittwoch vor dem Landgericht Hannover, schreibt die Samstags-taz (Andreas Speit). Der Vorwurf laute auf versuchten Mord, zu ihren Motiven hätten sich die Angeklagten nicht geäußert.
LG Potsdam zu Datenspeed-Drosselung: Verspricht ein Mobilfunkanbieter "unbegrenztes" Datenvolumen, darf er die Datengeschwindigkeit nicht nach Überschreiten eines Limits drosseln, entschied das Landgericht Potsdam laut lto.de, Samstags-FAZ (Thiemo Heeg) und spiegel.de. Die Verbraucherzentrale hatte wegen des Tarifs "Allnet Flat Base all-in" von E-Plus geklagt.
LG Berlin – Dussmann-Erbe: Witwe und Tochter des verstorbenen Unternehmers Peter Dussmann streiten vor dem Landgericht Berlin darum, ob er nach einem Schlaganfall noch "lichte Phasen" hatte und testierfähig war, als er seiner Frau einen größeren Erbteil zusprach. Das wird das Gericht nun begutachten lassen, schreibt der Spiegel (Jürgen Dahlkamp) und außerdem darüber entscheiden, ob die Witwe zu Recht die Macht im Konzern übernommen hat.
LG Traunstein zu Fahrlässiger Tötung: Nachdem ein Feuer in einem als Herberge genutzten alten Bauernhof sechs Menschen tötete und zwanzig verletzte, ist der Betreiber vom Landgericht Traunstein zu drei Jahren Haft wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt worden. Er hatte Brandschutzvorschriften nicht eingehalten und selbst nach behördlichem Hinweis weiter Gäste beherbergt, schreiben spiegel.de und Samstags-FAZ.
LG München zu Gribkowsky: Das Landgericht München hat dem Antrag des ehemaligen bayerische Landesbankers Gribkowsky auf Aussetzung des restlichen Viertels seiner Haftstrafe zur Bewährung stattgegeben, schreiben WamS (Philipp Vetter) und HBl (Yasmin Osman).
LG Neubrandenburg – "Rabaukenjäger": Das Landgericht Neubrandenburg hat die Verurteilung eines Journalisten wegen Beleidigung durch die Bezeichnung "Rabaukenjäger" zu einer Geldstrafe im Berufungsurteil bestätigt, meldet die Montags-SZ. Der Journalist habe Revision angekündigt.
LG Essen zu Middelhoff: Das Landgericht Essen hat hinsichtlich einer weiteren Anklage gegen Thomas Middelhoff wegen Untreue die Verfahrenseröffnung abgelehnt, meldet die Montags-FAZ (Joachim Jahn). Es ging um die Anordnung einer Überweisung an eine Business School in Oxford, nachdem der Arcandor Konzern bereits in Schieflage war, die laut Middelhoff zum Gewinn qualifizierter Nachwuchskräfte gedient haben soll.
Middelhoff – ruinöse Anwälte?: Der Spiegel (Jürgen Dahlkamp u.a.) schreibt von den Vorwürfen des ehemaligen Middelhoff-Anwalts Holz gegen die Middelhoff-Anwälte Fromm und Holtermüller, zu ihrem eigenen finanziellen Nutzen den finanziellen Ruin ihres Mandanten riskiert zu haben. Einen von Holz "weitestgehend verhandelten Vergleich", nach dem Middelhoff mehrere Millionen geblieben wären, soll Fromm torpediert haben. Holtermüller soll es verstanden haben Middelhoffs Tendenz zum Griff nach den Sternen weiter anzuheizen.
GBA Frank im Interview: Der Spiegel (Dietmar Hipp u.a.) spricht mit Generalbundesanwalt Peter Frank über seine Sozialisierung in der bayerischen Justiz, den Umgang mit islamistischem Terrorismus, Anschläge aus dem rechten Spektrum und die Möglichkeit, die dritte Generation der RAF doch noch zu fassen.
StA mit Objektivitätsverlust: Der Spiegel (Gisela Friedrichsen) zieht Parallelen zwischen dem Deutsche-Bank-Prozess in München und dem Verfahren gegen Wiedeking und Härter in Stuttgart. In beiden Verfahren habe die Anklage den Moment der Einsicht verpasst und halte krampfhaft an einer vorgefertigten Version des Geschehens fest, die sich im Prozess nicht bestätigen ließen. "Sie beschädigen damit nicht nur sich, sondern auch das Ansehen einer Institution, die im Rechtsstaat ihresgleichen sucht."
Volksverhetzung: Die FAS (Markus Wehner) setzt sich mit dem Delikt der Volksverhetzung auseinander, der Anwendung durch die Justiz und mangelhafter Verfolgung durch Ermittlungsorgane insbesondere bei den massenhaften Vorkommnissen im Internet. Es müsse eine Berechtigung zur Konzentration der Ahndung auf schwere Fälle her, damit durch Strafverfolgungsdruck Abschreckung erzeugt und so der Hass eingedämmt werden könne. spiegel.de meldet Ermittlungen wegen Volksverhetzung durch einen Karnevalswagen in Panzerform mit der Aufschrift "Asylabwehr" und "Asylpaket III".
Recht in der Welt
GB – Assange: Zum nicht rechtsbindenden Votum eines UN-Gremiums, nach dem der Aufenthalt Assanges in der ecuadorianischen Botschaft in London willkürlicher Haft gleiche und zu entschädigen sei, schreiben nun u.a. auch lto.de, Samstags-FAZ (Jochen Buchmeister) und spiegel.de. Die Samstags-SZ (Heribert Prantl) kritisiert das Votum, denn nach dessen Argumentation könne "ein Mafia-Boss, der sich zwanzig Jahre vor der Justiz auf einem sizilianischen Bauernhof versteckt hatte, die Anrechnung dieser 'Haft' auf die Freiheitsstrafe beantragen, zu der er nach seiner Ergreifung verurteilt wird".
Meinung zur EU: Eine Meinungsumfrage zur Bewertung der EU durch ihre Bürger wird an diesem Montag veröffentlicht und die Montags-FAZ (Helene Bubrowski) gibt einen Überblick über die Zahlen. Ob die Mitgliedschaft des eigenen Landes eher positiv oder negativ bewertet wird, divergiere stark. Zusammengenommen überwögen die negativen Stimmen (ein Drittel) gegenüber den positiven (ein Viertel), und hielten sich mit denen, die gleichermaßen positives wie negatives sehen, die Waage (ein Drittel).
Niederlande – Assoziationsabkommen/Ukraine: Das derzeit vorläufig anwendbare Assoziationsabkommen der EU mit der Ukraine bedarf der Ratifikation aller EU-Mitgliedstaaten. Die Niederlande lassen darüber abstimmen, was zu einer pro/contra-EU-Abstimmung stilisiert wird, zwar ohne rechtliche Bindung aber politisch kaum zu ignorieren. Bleibe die niederländische als einzige Ratifikation aus, sei unklar ob und wie sich das Abkommen halten lasse, schreibt die Samstags-FAZ (Helene Bubrowski).
USA – Anwalt Feinberg: Im Interview mit der FAS (Roland Lindner) spricht Staranwalt Kenneth Feinberg über das deutsche und amerikanische Rechtssystem, seine honorarfreie Arbeit bei der Verteilung von Unglücksfonds und seine Arbeit für Unternehmen wie GM, BP und derzeit VW, für die er Vereinbarungen mit potentiellen Klägern zur Vermeidung langwieriger Gerichtsprozesse sucht.
Sonstiges
Staat nach Humboldt: Mit Blick auf die Frage nach heutigem Staatsversagen schreibt die FAS (Rainer Hank) über Humboldts Staatstheorie, nach der der Staat auf die "Sicherstellung der Bürger gegen sie selbst und gegen auswärtige Feinde" beschränkt sein sollte und die den Wohlfahrtsstaat des 19. Jahrhunderts als rückwärtsgewandte Neuauflage der höfischen Zeit betrachtete. "Der deutsche Staat ist als wehrhafter Rechtsstaat zu schwach, als überbeanspruchter Sozialstaat ist er es auch. 'Staatsversagen' hätte Humboldt diagnostiziert."
Rechtskultur: Unter dem Titel "Kultur des Rechts" meint Reinhard Müller (Montags-FAZ), dass über Rechtmäßigkeit durchaus gestritten werden sollte, selbst wenn "Unbelehrbare" den Vorwurf des Rechtsbruchs zur Delegitimierung des "Systems" zu nutzen suchten. So unterminiere auch der Rechtsbruch eines Mitgliedstaates nicht die EU, wenn er vor dem EuGH überprüfbar bleibe. Es gehe um die überprüfbare Begründung des Handelns, um Macht einzuhegen und ein friedliches Zusammenleben zu ermöglichen.
Kind als Schaden: Aus Anlass des jüngsten Verfahrens vor dem Oberlandesgericht München wegen Schadensersatzforderungen einer Mutter gegen die Ärzte, die die Trisomie 21 ihrer Tochter nicht erkannten, befasst sich die Montags-FAZ (Oliver Tolmein) mit den Voraussetzungen eines Schwangerschaftsabbruchs bei Behinderung des Kindes und dem "Kind als Schaden". Auch krahnert-medizinrecht.de (Sebastian Krahnert) schreibt dazu.
Rechtsprechung im Internet: Das Portal rechtsprechung-im-internet.de bringt Zugang zu mehr als 30.000 Entscheidungen der höchsten deutschen Gerichte und die juris GmbH verdient daran. Daran sei zwar nicht prinzipiell etwas auszusetzen, meint Jost Müller-Neuhof (Tsp), es hätte aber nicht auf das Gedeihen eines Geschäfts gewartet werden dürfen. Es wäre erste Pflicht des Staates in der digitalen Revolution gewesen, Gesetze und Gerichtsentscheidungen zugänglich zu machen.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 6. bis 8. Februar 2016: Überwachung im ÖPNV / gierige Middelhoff-Anwälte? / verrannte StA . In: Legal Tribune Online, 08.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18370/ (abgerufen am: 02.05.2024 )
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