Über die Frage der Schadensersatzverpflichtung des TÜV Rheinland wird nun der BGH entscheiden, kommenden Donnerstag ist Verhandlung. Außerdem in der Presseschau: Ausweiskontrolle und Fluggastdaten, Aufhebung von Unrecht im Rechtsstaat, Markenrechtsfragen zu Farben und Parodien, warum das BVerfG keine zweite Entscheidung zum Kruzifix trifft, was Udo Di Fabio vom Nudging hält und warum man manchmal besser nicht den Anwalt fragt.
Thema des Tages
BGH – TÜV und Brustimplantate: Am kommenden Donnerstag verhandelt der Bundesgerichtshof über eine Schadensersatzklage gegen den TÜV Rheinland, der über Jahre die Verwendung billigen Industriesilikons in Brustimplantaten durch die französische Firma PIP nicht entdeckt hatte. Französische Gerichte haben Schadensersatzklagen stattgegeben, deutsche sie bisher abgewiesen. Die Anwältin der Klägerin will wenn nötig eine Entscheidung über eine zugrundeliegende Richtlinie, die durch die Gerichte unterschiedlich interpretierte wird, durch den Europäischen Gerichtshof herbeiführen, berichtet die WamS (Lena Schipper).
Rechtspolitik
Fluggastdaten: Christian Rath (taz.de) kommentiert die von Innenminister Thomas de Maizière geforderte Ausweiskontrolle bei Flügen innerhalb der EU – dazu zeit.de (Lisa Caspari) – und die auf EU-Ebene geplante Fluggastdatenspeicherung. Rath hält die Maßnahmen für rechtswidrig und überflüssig und weist auf einen Zusammenhang hin: die Notwendigkeit der Ausweiskontrolle gerade für eine (scheinbar) gewinnbringende Fluggastdatenspeicherung.
Aufhebung von Verurteilungen Homosexueller: Wie soll mit den im Rechtsstaat ergangenen Verurteilungen homosexueller Männer nach § 175 Strafgesetzbuch umgegangen werden? Gegen ein Aufhebungsgesetz äußert der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages Bedenken: ein Verstoß gegen die Gewaltenteilung und ein gefährlicher Präzedenzfall gegen die Verlässlichkeit richterlicher Entscheidungen. Jost Müller-Neuhof (Tagesspiegel) macht in seiner Kolumne auf den Vorschlag des Rechtsprofessors Martin Löhning aufmerksam: ein neuer Wiederaufnahmegrund bei Verurteilung aufgrund eines "offensichtlich grund- und menschenrechtswidrigen" Tatbestands. Die Entscheidung bleibe so bei der Judikative, die gegenüber der Politik auch schneller entscheiden könne, und wenn der Rechtsstaat wieder Unrecht erkennt, gibt es bereits eine Regelung.
Reform des Vergewaltigungsparagraphen: Der Spiegel (Melanie Amann) schreibt zur wieder in Gang kommenden Reform des § 177 Strafgesetzbuch. Mit den Reformbefürwortern werden Schutzlücken aufgezeigt, mit den Gegnern bestritten. Die – mit der Reform allenfalls sich verschlimmernde – Beweisproblematik wird hervorgehoben, die besteht wenn nur mögliche Täter und Opfer das Geschehen kennen.
Justiz
EuGH – L-Bank gegen EZB: Die L-Bank, Baden-Württembergische Förderbank, klagt vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Europäische Zentralbank. Sie will, wegen des teuren Bürokratieaufwands, aus der Überwachung durch die EZB zurück in die nationale Kontrolle durch BaFin und Bundesbank. Obwohl sie die 30.000 Euro-Grenze für die EZB-Kontrolle überschreitet, will die L-Bank als Förderbank mit risikoarmen Geschäften unter eine Ausnahmeregelung fallen – wie etwa auch die KfW-Bank. Es berichtet das Dienstags-Handelsblatt (L. de la Motte u.a.).
BGH zu Markenparodie: Eine Markenparodie – hier "Pudel" mit Abbild eines springenden Pudels – ist als eigene Marke zu löschen, entschied laut lto.de der Bundesgerichtshof am vergangenen Donnerstag. Die Parodie der Marke "Puma" dürfe der beklagte Designer jedoch weiterhin verwenden, gaben die Richter an.
BGH – Farbmarke Blau: Nach gescheiterten Versuchen zur Löschung von Gelb (Langenscheidt) und Rot (Sparkasse) als Farbmarke, ist nun Blau an der Reihe – Unilever gegen Beiersdorf (Nivea). Der Bundesgerichtshof ließ erkennen, dass es ihm zur Anerkennung einer Farbmarke – wie bereits dem Europäischen Gerichtshof beim Sparkassen-Rot – genügen könnte, wenn eine Farbe statistisch von über 50 Prozent eindeutig mit einer Marke assoziiert werde, melden Samstags-SZ (Angelika Slavik) und Samstags-FAZ. Das Bundespatentgericht hatte 75 Prozent gefordert, bei einem ersten Test erkannten 58 Prozent das Nivea-Blau. Das Urteil wird für den 9. Juli erwartet.
BAG zu Kündigungsschutz bei künstlicher Befruchtung: blog.beck.de (Markus Stoffels) macht auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 26. März aufmerksam, in welcher der maßgebliche Zeitpunkt, für das Eingreifen des Kündigungsschutzes wegen Schwangerschaft, bei künstlicher Befruchtung, festgestellt wurde. Der Zeitpunkt ist danach die Einsetzung der befruchteten Eizelle und nicht erst die Nidation.
VG Mainz zu Beförderung bei Disziplinarstrafe: Eine auferlegte Disziplinarstrafe darf, nach Entscheidung des Verwaltungsgerichts Mainz von Ende März, nicht zum Ausschluss von einem Beförderungsverfahren führen. Erst bei der Auswahlentscheidung dürfe die Disziplinarstrafe Beachtung finden. Das meldet lto.de.
VG Schleswig zu Diskriminierung: Das Verwaltungsgericht Schleswig hat mit Entscheidung vom 26. März einer Bewerberin für den Bundespolizeidienst, die mit 1,58 Meter Größe die Mindestanforderungen nicht erfüllte, Entschädigung nach Allgemeinem Gleichbehandlungsgesetz zugesprochen, meldet blog.beck.de (Markus Stoffels). Die Größenregelung schließe Frauen in höherem Maße von der Einstellung aus und das Gericht habe keinen ausreichenden Beleg für ihre Begründung gefunden. Die Berufung ist zugelassen.
Richterbesoldung: Rechtsanwalt Martin Steiger (steigerlegal.ch) weist auf den Bericht der Europäischen Justizeffizienzkommission (CEPEJ) von 2014 hin, dem sich entnehmen lässt, dass deutsche Richter absolut betrachtet weniger als ihre österreichischen und um mehr als die Hälfte weniger als ihre schweizerischen Kollegen verdienen. Auch bei relativer Gehaltsbetrachtung stehen deutsche Richter um einiges schlechter da.
BVerfG zu Kruzifix: Von einer Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Kruzifix im Klassenzimmer, die es nun doch nicht geben wird, berichtet taz.de (Christian Rath). Der Lehrer, der nicht "unter dem Kreuz" unterrichten wollte und deshalb gegen das bayerische Gesetz vorging, welches das Kreuz als Zeichen der "kulturellen und geschichtlichen Prägung Bayerns" in jedem Klassenzimmer obligatorisch macht, hat seine Verfassungsbeschwerde zurückgenommen. Es dauerte alles zu lang und nun wird er pensioniert.
BVerfG und EuGH: Die Samstags-FAZ (Reinhard Müller) beleuchtet das Verhältnis von Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof, auch mit Blick auf die erste Vorlage des BVerfG an den EuGH – zum OMT-Programm der EZB.
Recht in der Welt
Frankreich – gesetzlicher Zwang zur Fairness: Frankreich verpflichtet seine transnationalen Unternehmen nur mit Partnern zu arbeiten, die Menschenrechts- und Umweltstandards einhalten. Thomas Hanke (Dienstags-Handelsblatt) begrüßt den Schritt und fordert ihn auf europäischer Ebene. Nur der Staat könne ein Umfeld schaffen, in dem der, der Menschen und Umwelt achte, nicht der (scheinbar) wirtschaftlich Dumme sei.
Österreich – Hypo-Sondergesetz: Die Gläubiger der Hypo Alpe Adria – unter anderem die BayernLB – sind vom Verfassungsgerichtshof (VGH) Österreich auf den ordentlichen Rechtsweg verwiesen worden. Sie wehren sich gegen die Enteignung durch das "Hypo-Sondergesetz", mit dem eine Bad Bank geschaffen und so Anteilsinhaber enteignet wurden. Das Gesetz werde aber dennoch, auf Klage der österreichischen Opposition, vom VGH überprüft, berichtet das Dienstags-Handelsblatt (Hans-Peter Siebenhaar) – (handelsblatt.com-Artikel zum Thema).
USA – Religionsfreiheitsgesetz: Die Dienstags-FAZ (Patrick Bahners) nimmt sich der Aufregung um das "Gesetz zur Wiederherstellung der Religionsfreiheit" des US-Bundestaates Indiana an und rückt einige Fakten gerade, die dem Homophobie-Vorwurf den Wind aus den Segeln nehmen.
Juristische Ausbildung
BSG zu Sozialabgaben für Referendare: Das Bundessozialgericht hat am vergangenen Dienstag entschieden, dass nicht der Stationsausbilder sondern das ausbildende Land Sozialbeiträge für Zusatzzahlungen an Referendare zahlen muss. lto.de (Constantin van Lijnden) berichtet und setzt sich mit den möglichen Folgen der Entscheidung für die Referendarsvergütung auseinander.
Sonstiges
Middelhoff – Schlafentzug in Haft: Thomas Middelhoffs Anwälte erheben in der Bild am Sonntag Vorwürfe gegen die Justizvollzugsanstalt in der der Ex-Manager in U-Haft sitzt: Middelhoff sei wegen Schlafentzugs durch wiederholtes Wecken in der Haft erkrankt. Eine auch damit begründete Haftbeschwerde hatte das Oberlandesgericht Hamm bereits Mitte März abgelehnt. Das berichten welt.de (ott), spiegel.de (Lisa Erdmann) und die Dienstags-FAZ (Joachim Jahn), die sich auch mit den standardmäßigen Kontrollen zur Suizidprävention in Haftanstalten auseinandersetzen.
Zahlung für Privatkopien: Die Samstags-FAZ (Joachim Jahn) setzt sich mit der – zwischen Industrie und Verwertungsgesellschaften auszuhandelnden – Hersteller- und Importeurabgabe für Speichermedien auseinander, über welche die Urheberrechtsinhaber von legalen Privatkopien profitieren sollen. Der Streit zieht sich – auch gerichtlich – hin und nun will Justizminister Maas eine Verpflichtung der Unternehmen einführen, das mutmaßlich fällige Geld auf Sperrkonten zurückzulegen.
Weimarer Rechtsstaat: Die Samstags-taz (Niklas Wuchenauer) berichtet von fragwürdigen Methoden bei der Weimarer Polizei und der mangelhaften internen Ermittlungen. Diese seien in einem Prozess in den Vordergrund getreten, welcher eigentlich gegen diejenigen geführt wurde, die die Methoden angeprangert hatten.
Leutheusser-Schnarrenberger im Interview: Die ehemalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht mit der Samstags-taz (Meike Laaf/Daniel Schulz) über die Vorratsdatenspeicherung, Freiheit, politischen Einsatz für Bürgerrecht, Einzelkämpfertum, Kompromisslosigkeit in der Politik, das Recht auf Vergessenwerden, dessen Umsetzung, die FDP und ihren persönlichen Umgang mit der digitalisierten Welt.
Di Fabio zu Nudging: Im Interview mit dem Spiegel (Melanie Amann/Alexander Neubacher) begründet der ehemalige Bundesverfassungsrichter Udo Di Fabio, warum er Nudging ablehnt. Es stehe dem Bild des informiert frei entscheidenden Bürgers entgegen, und insofern auch dem demokratischen Rechtsstaat der auf dieses Menschenbild baue.
Portrait Max Schrems: Die Dienstags-SZ (Cathrin Kahlweit) porträtiert Max Schrems, den Wiener Jura-Doktoranden, der das derzeit vor dem Europäischen Gerichtshof verhandelte Vorlageverfahren zu Facebook und dem Safe-Harbor-Abkommen veranlasst hat. Auch weitere juristische Aktivitäten Schrems gegen Facebook werden dargestellt – wie eine "Sammelklage", bei der er sich die Ansprüche tausender Facebook-Nutzer hat abtreten lassen, über deren Zulässigkeit das Landgericht Wien entscheiden wird.
Buch zum Datenschatten: Die Dienstags-SZ (Bernd Graf) stellt das Buch von Malte Spitz "Was macht ihr mit meinen Daten?" vor. Der Autor dokumentiert den Umgang mit seinen Anfragen zu gespeicherten Daten, die enormen Datenmengen die er bereits mit den wenigen beantworteten Anfragen zusammentragen konnte und wie sich damit sein Persönlichkeitsprofil erstellen ließ.
Buch über Rechtsanwalt Vogel: Die Dienstags-FAZ (Günther Heydemann) rezensiert die Biografie "Mission Freiheit. Wolfgang Vogel, Anwalt der deutsch-deutschen Geschichte.", geschrieben von Norbert F. Pötzl. Vogel hatte während der deutschen Teilung, als Rechtsanwalt in Ost und West lizenziert, Gefangenenfreikäufe und den Austausch von Agenten begleitet und war so tief in staatliche und politische Machtstrukturen auf beiden Seiten gedrungen.
Buch zur Besetzung öffentlicher Ämter: Die Dienstags-FAZ (Christian Hillgruber) rezensiert die Disstertation von Christian Jasper "Religiös und politisch gebundene Ämter", welche die verfassungsrechtliche Rechtfertigung kirchlichen und politischen Mitsprache- oder Bestimmungsrechts bei der Besetzung öffentlicher Ämter untersucht.
Das Letzte zum Schluss
Juristisches Denken: Was passiert, wenn man – anstelle des Transporteurs – das Rechtsanwalts- und Steuerberaterbüro nach den Kosten für einen Klaviertransport befragt, berichtet r24.de. Bei Beachtung von Schadensrisiken, Vertragsgestaltung zur Absicherung aller Interessen, Versicherung, Risiko- und Gewährleistungsrückstellung und und und... ist man leicht bei 5.000 Euro für den Transport.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/krü
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 3. bis 7. April 2015: Schadensersatz für Brustimplantate? – Farb- und Parodie-Marken – Kein zweites Kruzifix-Urteil . In: Legal Tribune Online, 07.04.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15160/ (abgerufen am: 07.05.2024 )
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