Unzulängliche Zivilverfahren – ein Plädoyer für die Reform der ZPO. Außerdem: (Un)sichere Maghrebstaaten, EuGH legitimiert Vermittlung privater Sportwetten und das größte weltweite Handelsabkommen TPP.
Thema des Tages
Reformbedürftige Zivilprozesse: "Eine bürgernahe Rechtspflege sollte [...] sein: effektiv, schnell, billig und human. Das ist so ziemlich das Gegenteil des heutigen Zustands", moniert Rechtsanwalt Luc Weinmann in einem zeit.de-Gastbeitrag über den Zivilprozess. Das deutsche Zivilprozessrecht richte sich nicht nach den Bedürfnissen der rechtsuchenden Bürger, sondern verkomme zu einer "privaten Rechtsfortbildung von Anwälten und Richtern". Weinmann bringt seinerseits Vorschläge zur Verbesserung des Zivilverfahrens. Nachdem bisherige Reformen "immer viel zu halbherzig" ausfielen, wäre eine Überarbeitung der Zivilprozessordnung ein "erster Anfang".
Rechtspolitik
Sichere Maghrebstaaten? Nachdem das Bundeskabinett beschlossen hat, Algerien, Tunesien und Marokko zu sicheren Herkunftsländern zu erklären, sammelt die SZ (Moritz Baumstieger/Jan Bielicki) Gründe, die dagegen sprechen, die Maghrebstaaten als rechtsstaatlich und sicher anzuerkennen.
In einem weiteren Beitrag klärt die SZ (Jan Bielicki - eingeschobener Beitrag) kurz darüber auf, warum der Nutzen der sicheren Herkunftsländer für die Lösung der Flüchtlingskrise umstritten sei.
Flüchtlinge in die Heimat? focus.de (Ida Haltaufderheide) analysiert, wie realistisch Angela Merkels Aufforderung an Flüchtlinge ist, freiwillig in die Heimat zurückzukehren, sobald die Umstände es zulassen. Der Beitrag erläutert auch rechtliche und tatsächliche Hindernisse einer Abschiebung ehemals aufenthaltsberechtigter Flüchtlinge – insbesondere im Falle geflüchteter Syrer.
Obergrenzen: Rechtsprofessor Andreas Funke stellt auf verfassungsblog.de klar, dass die flüchtlingspolitische Diskussion zwischen der Obergrenze als inhaltliche Beschränkung des Flüchtlingsschutzes und der Obergrenze als Einreisebeschränkung differenzieren müsse. Er führt aus, weshalb die Einreise von Flüchtlingen bisher nicht begrenzt wurde.
Bargeld-Limit: Im Leitartikel gibt Holger Steltzner (FAZ) wieder, warum Bargeld, gerade in der digitalen Zeit, "geprägte Freiheit" sei und warnt vor staatlicher Kontrolle und Negativzinsen. Er bezweifelt zudem, dass es der Terrorabwehr nutze, Barzahlungen ab 5.000 Euro zu untersagen.
Yasmin Osman (Hbl) moniert, "der Kampf gegen Kriminelle, das Totschlagargument aller Kontrollfreaks, ist ein zu schwaches Argument, als dass man dafür alle Bürger einschränken sollte." Zudem bringe eine Obergrenze für Bargeldgeschäfte auch finanzielle Risiken – etwa, wenn eine Bank pleite gehe.
EZB gegen 500 Euro-Schein: Die EZB plant, den 500 Euro-Schein abzuschaffen. Die FAZ (Philip Plickert/Joachim Jahn) gibt Reaktionen wieder und beleuchtet das Vorhaben auch mit Blick auf das geplante deutsche Bargeld-Limit. Kritiker warnten vor dem "gläsernen Zahler", Befürworter sehen Vorteile für Kriminalitätsbekämpfung und Negativzins.
Reform der Abschlusspüfung: Die Wirtschaftsprüfer Martin Wambach und Bernd Keller stellen auf lto.de die Reform der Abschlussprüfung dar, welche der Bundesrat nun gebilligt hat. Die EU-Kommission gab nach der Finanzkrise von 2008 mit der Abschlussprüferrichtlinie vor, die Qualität der Abschlussprüfungen zu verbessern.
Justiz
EuGH zu Sportwetten: Private Vermittler von Sportwetten dürfen wegen ihrer Tätigkeit nicht strafrechtlich verfolgt werden. Dies entschied der Europäische Gerichtshof; die "Experimentierklausel" des Glücksspielstaatsvertrags, welche ein Konzessionsverfahren für private Vermittler vorsah, sei gescheitert und habe damit die unionsrechtlichen Defizite des Staatsmonopols nicht aufgelöst. Die SZ (Wolfgang Janisch/Jan Willmroth) erläutert die rechtliche Grauzone privater Sportwetten – die EU-Kommission erwäge ein Vertragsverletzungsverfahren.
OLG München zu Unterhalt für behindertes Kind: Die Eltern eines Mädchens mit Trisomie 21 haben keinen Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen die Frauenärzte, die die Schwangerschaft begleiteten. Dies entschied das Oberlandesgericht München – der Embryo habe keine Auffälligkeiten gezeigt, die Ärzte hätten die Eltern also nicht aufklären können. Die Kläger gaben an, dass sie das Kind nicht bekommen hätten, hätten sie von der Behinderung gewusst. Die Welt (Sarah Maria Brech) und FAZ fassen den Fall zusammen.
OLG München – NSU: Nachdem Ralf Wohllebens Verteidigung angekündigt hatte weitere Befangenheitsanträge zu stellen, unterließ sie dies doch – allerdings ohne Begründung und nach einer zweistündigen Unterbrechung. spiegel.de (Gisela Friedrichsen) schreibt, die Anträge Beate Zschäpes und Ralf Wohllebens entwickelten sich zur "Prozessbremse". Dies sieht die SZ (Annette Ramelsberger) ebenso und informiert darüber, dass Wohllebens Verteidigung angibt, Carsten S. habe eine eigenständige Rolle im NSU gespielt.
LG Kiel – SS-Funkerin: Vor dem Landgericht Kiel könnte es unter Einschränkungen zu einem Strafverfahren gegen eine ehemalige SS-Funkerin kommen, da ein ärztliches Gutachten ihre Verhandlungsfähigkeit nicht generell ausschließe. Das Gericht prüft, ob das Hauptverfahren eröffnet werde, melden die Welt (Per Hinrichs - erweiterte Onlinefassung) und die SZ.
LG Verden – Revision wegen Familiendrama: Im Fall der verhungerten Frau hat die Verteidigung von Tochter und Mann des Opfers Revision eingelegt. Sie argumentiert, es habe "kein gelebtes Familienleben" gegeben und die Frau habe keinen Arzt sehen wollen, meldet ndr.de.
Saarland – schnellere Strafverfahren: Die FAZ (Justus Bender/Timo Frasch) stellt die Maßnahmen vor, mit denen das Saarland während der Fastnachtstage schnellere Strafverfahren gewährleisten will. Sollten sich die Schnellverfahren bewähren, könnten sie auch bei Risikofußballspielen zur Anwendung kommen.
Recht in der Welt
Neuseeland – TPP: In Neuseeland haben zwölf Pazifik-Anrainerstaaten – unter anderem Australien, USA, Neuseeland und Japan – das weltweit größte Freihandelsabkommen TPP (Transatlantische Partnerschaft) unterzeichnet. Nun steht die Ratifizierung aus. Die Meldung der taz gibt Ziel und Inhalt des Abkommens, wie auch kritische Stimmen wieder.
Frankreich – Verlust der Staatsangehörigkeit: Am heutigen Freitag wird das französische Parlament darüber verhandeln, durch eine Verfassungsänderung die Möglichkeit zu schaffen, Franzosen ihre Staatsbürgerschaft zu entziehen. Die SZ (Joseph Haniman) stellt die sich gegenüber stehenden Positionen zu dieser umstrittenen Maßnahme vor.
Polen – Polizeigesetz: Der polnische Präsident Andrzej Duda hat das neue Polizeigesetz unterzeichnet. Das Gesetz, welches Polizeibeamten mehr Überwachungsbefugnisse bringt, soll am Sonntag in Kraft treten, meldet die taz.
Niederlande – Mord an Els Borst: Ein Mann hat den Mord an der ehemaligen niederländischen Gesundheitsministerin Els Borst gestanden. Er habe den "göttlichen Auftrag" erhalten, sie zu töten, nachdem diese dazu beigetragen hatte, dass die aktive Sterbehilfe legalisiert wird, meldet spiegel.de.
Spanien – Investorenschutz: Das erste Schiedsgericht hat im Fall der spanischen Subventionen für Solarstrom entschieden, welche das Land sukzessive abgeschafft hatte und so Verluste für viele Solarprojekte bedingte. Die Schiedsrichter lehnten den Schadensersatzanspruch ab, da die spanischen Maßnahmen vorhersehbar gewesen seien. Die Rechtsanwälte Alexandra Diehl und Heiko Heppner beleuchten auf lto.de die Folgen der Entscheidung für die weiteren anhängigen Verfahren und TTIP.
Simbabwe – VerfG stärkt Pressefreiheit: Das Verfassungsgericht in Simbabwe hat ein umstrittenes Gesetz annulliert, wonach Journalisten wegen übler Nachrede strafrechtlich verfolgt werden durften, und so die Pressefreiheit gestärkt, meldet die taz.
Sonstiges
Thüringer Chef des VerfSch: spiegel.de (Jörg Diehl) spricht im Interview mit dem neuen Chef des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, darüber, wie er den "Scherbenhaufen" der Behörde nach den unzureichenden Ermittlungen im Fall NSU zu beheben gedenkt und über tiefgreifende Reformen des Verfassungsschutzes. Auch V-Leute und Beobachtungsschwerpunkte sind ein Thema.
Karneval im Büro: "Kann mir mein Chef verbieten, mich zu verkleiden?" lto.de beantwortet rechtliche Fragen rund um den Karneval im Büro.
Entzug der Staatsangehörigkeit: Darf man Terroristen die Staatsangehörigkeit entziehen? Nachdem Frankreich dies nun erlauben will und unter anderem Deutschland dies erwägt, befasst sich die SZ (Andreas Zielcke) mit dieser Frage. Der Beitrag stellt die Unterschiede der deutschen, französischen, britischen und US-amerikanischen Rechtslage sowie die völkerrechtlichen Vorgaben dar.
Das Letzte zum Schluss
Ehrlichkeit währt am Längsten: Eine neugierige Schülerin hatte im vergangenen Sommer im bayrischen Königssee etwas blitzen sehen - kurz darauf zog sie einen Goldbarren aus dem Wasser. Die ehrliche Finderin brachte ihren wertvollen Fund zur Polizei. Nachdem die Beamten den Eigentümer innerhalb der Frist von sechs Monaten nicht ausfindig machen konnten, darf die Glückliche den Goldbarren im Wert von ungefähr 15.000 Euro nun behalten, meldet die Welt.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.
Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/vb
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
Die juristische Presseschau vom 5. Februar 2016: Reformbedürftige ZPO / Private Sportwettangebote erlaubt / Verzögerungstaktik im NSU-Pro­ . In: Legal Tribune Online, 05.02.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18344/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
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